Liebe Daisy,
da mich noch immer die Schlafkrankheit plagt und ich am liebsten den ganzen Tag zusammengekuschelt im Bett verbringen würde, habe ich mir ein dazu passendes Buch aus meinem Regal geschnappt: Silber. Das erste Buch der Träume von Kerstin Gier. Das ist schon seit 2013 auf dem Markt und der erste Teil einer Trilogie, die FJB verlegt.
Die Protagonistin ist Liv, 15 (aber beinahe schon 16), die das Leben lebt, von dem viele von uns irgendwann geträumt haben: sie darf alle paar Monate umziehen. Naja, ich sage darf, eher muss: ihre Mama ist Dozentin und muss für neue Lehraufträge regelmäßig in neue Länder ziehen. Ihren Papa besucht Liv zwar regelmäßig mit ihrer Schwester, aber auch er will nicht sesshaft werden. So kommt es, dass es Liv am Ende eines Sommers nach England verschlägt – mit dem Versprechen, dass sie dieses Mal länger dort verweilen werden. Ob das klappt? Und was, wenn Liv in eine Situation gerät, die sich ihr, von Sherlock Holmes geschärfter, Verstand im Traum nicht ausdenken hätte können? Für Liv steht fest: hierbei handelt es sich um ein Rätsel, das sie unbedingt lösen muss.
Du merkst schon, ich bin etwas vage in meiner Beschreibung. Das liegt nur daran, dass ich dir nichts vorweg nehmen möchte, weil es in diese Buch so viel zu entdecken und erkunden gibt. Kerstin Gier spinnt (wie wir das von ihr kennen) großartige Fäden, die sich am Schluss zu einem großen Ganzen zusammenfügen. Auf dem Weg dorthin finden sich allerlei Rätsel zum Knobeln und interkulturelle Referenzen zum Schmunzeln. Ob es sich um eine schräge Hamlet Inszenierung oder das Gefühl, eine Mischung aus Cat Woman und James Bond (S. 87) zu sein, handelt – es macht Spaß davon zu lesen. Die Schule, auf die Liv geht, hat zudem einen Klatsch und Tratsch Blog (genannt Tittle Tattle Blog – die Website dazu gibt es wirklich, inklusive aller Beiträge: http://www.tittletattleblog.de), der stark an Gossip Girl erinnert. Es gibt nämlich eine/einen annonymen Poster/in, die/der allerlei Geheimnisse über Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrerinnen und Lehrer ausplaudert. Die Identität dieser Person ist eines der vielen Rätsel, das Liv in dem Buch lösen möchte.
Das ist es auch, was Livs Charakter so interessant macht. Sie ist ein Teenie, wie er einem überall begegnen könnte: zwar etwas unsicher, aber immer optimistisch, alle Situationen meistern zu können und über alles abenteuerlustig und neugierig. Auch wenn sie manchmal bockig ist (gibt es Teenies, die das nicht sind?), kann man sich dank der Erzählung in der ersten Person wunderbar in sie hineinfühlen und kann nicht anders als sich über ihre sprunghaften und sarkastischen Gedanken zu freuen. Etwa, wenn sie in einer todernsten Situation steckt und der Kreis, den sie bilden, sie an den Bi Ba Butzemann erinnert, woraufhin sie glatt anfängt mental zu singen (S. 293). Oder wenn sie ihr eigenes Verhalten kommentiert:
„Das mit der Augenbraue konnte ich übrigens auch, und zwar ziemlich gut, aber ich wollte es mir für später aufheben. Mit solch beeindruckenden mimischen Kunststücken muss man sparsam umgehen, sonst büßen sie schnell ihre Wirkung ein.“ (S. 204)
Schön fand ich, dass nicht nur Liv, sondern auch die Nebenfiguren sehr vielschichtig gearbeitet waren. Es handelt sich ja um eine Trilogie, deshalb wage ich noch skeptisch einer Figur gegenüber zu verbleiben – ich habe das Gefühl, dass zu viele Hinweise gestreut wurden, als dass diese wirklich das wäre, was sie vorgibt. Ich wäre ja gespannt, ob es dir genauso geht – musst du unbedingt berichten, wenn du das Buch mal liest.
Toll fand ich auch, wie gut die Elemente der angloamerikanischen und deutschen Kultur herausgearbeitet worden sind. Es war nicht der Holzhammer, sondern immer wieder kleine Nebensätze, wie etwa das Erwähnen einer Telefonbox oder eines Doppeldeckerbusses (S. 135), die einem in Erinnerung gerufen haben, wo die Geschichte spielte. Aber keine Sorge, es ist nicht nur eine Hymne an die angloamerikanische Kultur (nicht, dass ich ein Problem damit hätte), es gibt auch einen deutschen Gegenpol: das ehemalige Au Pair Mädchen, das aus Bayern kommt. Sie bäckt Weihnachtskekse und erinnert einen immer wieder an die vielen schönen Facetten der deutschen Kultur.
Du merkst es schon: es handelt sich um ein wunderbares Wohlfühlbuch für mich. Runde Figuren, ein Mysterium, das gelöst werden will und das schönste aus englischer und deutscher Kultur. Wenn du also mal ein flottes, sympathisches Jugendbuch brauchst, ist das hier eine große Empfehlung.
Deine Daffy