„Sie hatte nichts mehr. Je öfter sie sich den Satz vorsagte, desto unwirklicher wirkte er auf sie. Das war doch alles vollkommen surreal. Plötzlich war da ein Blubbern in ihrer Brust, dann in ihrer Kehle, ein seltsames Geräusch, das sie erst nach einer Weile als Lachen erkannte.“ (S. 108/109)
Frederike lebte in ihrer Kindheit in zwei Welten: in der einen wollte ihre Mutter sie zu einer erfolgreichen Musikerin formen, in der anderen lebte sie ihre freien Gedanken bei ihrem Großvater in Dänemark aus. Diese Zerrissenheit zieht sich wie ein roter Faden durch den neusten Roman von Kim Henry (dahinter stecken die Müncherin Nicole Wellemin und die Dänin Corinna Vexborg), denn Rikke (Frederike) erlebte ihre dänische Ferienzeit auch mit zwei Jungs, die unterschiedlicher nicht sein können: Sören, der Zielstrebige und Rasmus, der Träumer...
Nachdem sie Sören geheiratet und dieser sich nach seinem beruflichen Niedergang umgebracht hat, kehrt sie nach Fünen zurück, um das heruntergekommene Anwesen ihres mittlerweile verstorbenen Großvaters zu renovieren. Lange merkt man der Protagonistin ihre innere Zerrissenheit an, denn sie hatte nicht nur einmal in ihrem Leben alles verloren und dennoch immer wieder die Kraft, Neues aufzubauen. So thematisiert der Roman auch die Aufarbeitung der Vergangenheit, das Sich-Aussprechen und den Erhalt alter Freundschaften... eine bunte Mischung süßer Zuckerbonbons, die sicherlich jeder Dänemark-Liebhaber kennt und schätzt.
Die Bonbons haben in dem Buch einen besonderen Stellenwert: Oft beginnt ein Kapitel mit einem Bonbon-Rezept aus „Rikkes geheimen Rezeptbuch“ und stellt eine Verbindung zwischen Vergangenheit und dem jeweiligen Kapitel her. Eine gekonnte Zusammenführung und Aufklärung, so dass wir Leser immer auch verstehen, warum die handelnden Personen so fühlen und denken. Nach und nach bekommen wir weitere Hilfestellung in Form von Erzählungen aus Sicht von Rasmus, Rikkes Jugendliebe. Es ist spannend zu sehen, was aus dem jungen Träumer geworden ist und wie er trotz beruflichem Erfolg seinen heimatlichen Wurzeln treu geblieben ist.
Ich mag das Buch sehr! Es ist ehrlich geschrieben, voller Emotionen und eine gelungene Mischung aus Fantasie und Realität. Die gut verständliche, bildhafte Sprache lässt mich schnell in die Geschichte eintauchen und die verschiedenen Erzählebenen helfen, das Vergangene zu verstehen und beim zukünftig Entstehenden mitzufiebern. Vielleicht sind es auch die Bonbon-Rezepte, die mich an Dänemark und die kleine Bolcher-Manifaktur mit handgemachten Bonbons, die nie als Mitbringsel fehlen durften, erinnern und mich daher besonders empfänglich für diesen Roman gemacht haben... auf jeden Fall habe ich gerne über alte Freundschaften, nachbarschaftliche Hilfsbereitschaft, neue Ideen und Zukunftspläne, aber auch die Aufarbeitung alter Fehler und Missgefühle gelesen. Ein Buch, welches nicht nur prima in das Reisegepäck nach Dänemark passt, sondern auch wunderbar an einem hyggeligen Nachmittag mit Tee, Keksen und Kuscheldecke die Lesezeit versüßt... eine Empfehlung, die ich euch gerne ans Herz lege.