Raffinierte Psychospannung
Die Studentin Cleo hat ein schlechtes Verhältnis zu ihrer Mutter Katrina, weil diese fast alles an ihr kritisiert. Doch Katrina hat kürzlich eingesehen, dass sie zu sehr damit beschäftig gewesen ist, ihre ...
Die Studentin Cleo hat ein schlechtes Verhältnis zu ihrer Mutter Katrina, weil diese fast alles an ihr kritisiert. Doch Katrina hat kürzlich eingesehen, dass sie zu sehr damit beschäftig gewesen ist, ihre Tochter zu formen, zu kontrollieren, anstatt sie zu lieben, zu unterstützen - denn: Cleo ist zunehmend rebellisch geworden. Zum Vater, der aus beruflichen Gründen viel unterwegs war/ist, hat Cleo einen guten Draht, was Katrina aufregt. Sie findet, dass es leicht ist, liebe- und verständnisvoll zu sein, wenn man fast nur Geburts- sowie Feiertage mit seinem Kind verbringt.
Katrina ist Anwältin, aber die unorthodoxe Aufgabe, die sie der Kanzlei innehat, ist streng geheim: Sie ist eine Problemlöserin, eine Mittelsfrau, die sich still und heimlich um die schmutzigen Probleme von angesehen Leuten mit viel Geld kümmert, sie hat allerdings Grenzen, sie lässt nicht alle mit ihrer Schuld davonzukommen ...
Vor dem Verschwinden: Katrina ist nach der Trennung von Cleos Vater gerade wieder einigermaßen glücklich, denn sie hat sich verliebt. Doch dann geht alles schief: prätentiöse Forderungen ihres Ex-Mannes in spe wühlen sie auf, bei der Arbeit läuft es nicht so, wie es soll, sie erhält Drohbotschaften, schließlich gibt es noch einen entsetzlichen, verdächtigen Vorfall – aber schlimmer geht immer ...
Nach dem Verschwinden: Als Cleo einer Einladung zum Abendessen ihrer Mutter folgt, findet sie in der Küche anbrennendes Essen, Scherben und einen blutigen Schuh vor – ihre Mutter wird vermisst. Cleo ist trotz der schlechten Beziehung zu ihrer Mutter am Boden zerstört und will der Polizei helfen sie zu finden. Sie durchsucht also das Haus und stößt auf Interessantes, auf Dinge, von denen sie nichts wusste, Dinge, die sie ihrer Mutter nicht zugetraut hat. Zudem muss sie feststellen, dass ihr Vater nicht so ist, wie sie dachte.
Sie folgt den Spuren: redet mit der Nachbarin, einer Mandantin und der besten Freundin ihrer Mutter. Sie zieht sogar in Betracht, dass Katrinas Verschwinden mit den Schwierigkeiten zu tun haben könnte, die sie sich an der Uni eingebrockt hat. Dann ist da noch die Assistentin ihrer Mutter, die sich sehr seltsam verhält ...
Der Handlungsaufbau ist großartig: Aus Cleos Sicht erfahren die Lesenden, was nach Katrinas Verschwinden geschieht, indem man sie bei ihren Nachforschungen begleitet. Aus Katrinas Perspektive, erlebt man, was wenige Tage zuvor passierte, nähert allmählich sich dem Abend ihres Verschwindens. Zusätzlich gibt es Einblicke in Katrinas grauenhafte Jugend, die erklärt (nicht rechtfertigt!), warum sie so kontrollsüchtig, aber eben auch souverän im Problemlösen geworden ist. Des Weiteren sind da noch Aktennotizen zu einer Zivilklage, Tagebucheinträge sowie Abschriften von aufgezeichneten Therapiesitzungen. Nach und nach entfalten sich tiefe dunkle Abgründe ...
Der lebendige, ausdrucksstarke Erzählstil ist mitreißend, die Handlung ist von Anfang an packend und ich habe durchweg mit den überzeugenden Protagonistinnen gefühlt, obwohl ich sie nicht besonders sympathisch fand. Es gibt zudem einige interessante bzw. verdächtige Nebenfiguren, die ebenfalls lebensecht, mit Tiefe, gezeichnet sind.
“Tochterliebe” ist ein fesselnder, vielschichtiger Pageturner: Die komplexe Handlung erforscht Mutterschaft in all ihrer Widersprüchlichkeit, was wirklich interessant gestaltet ist, und bietet raffinierte, vielschichtige Psycho-Spannung mit vielen erschütternden Enthüllungen. Die Auflösungen fand ich nicht hundertprozentig überzeugend, was mein Lesevergnügen allerdings kaum trübte.