Bewegender Roman
„...Ich öffne die Augen ein kleines bisschen und schaue heimlich in das Gesicht des Mannes, der vor mir sitzt. Er trägt einen weißen Kittel, also ist er Arzt...“
Diesen Gedanken von Erich stehen unter ...
„...Ich öffne die Augen ein kleines bisschen und schaue heimlich in das Gesicht des Mannes, der vor mir sitzt. Er trägt einen weißen Kittel, also ist er Arzt...“
Diesen Gedanken von Erich stehen unter anderem zu Beginn des Buches. Erich ist Autist und im Jahre 1932 in die heilpädagogische Abteilung der Universitätskinderklinik in Wien gekommen.
Die Autorin hat einen bewegenden und erschütternden Roman geschrieben. Die Geschichte wird in zwei Handlungssträngen erzählt, wobei einer nochmals aufgegliedert wird.
Im Jahre 1986 ist Sarah nach Wien gekommen. Sie will Material für ihre Doktorarbeit über den Arzt Dr. Hans Asperger sammeln. Im zweiten Handlungsstrang beginnt 1932. Hier geht es um die Arbeit von Dr. Asperger und Schwester Viktorine. Außerdem gibt ab und an Erich seine Eindrücke wieder.
Der Schriftstil ist sehr exakt ausgearbeitet. Nur so ist ein Einblick in Erichs Gedankenwelt möglich. Gleichzeitig macht er das Grauen erlebbar.
Es kommt für Sarah unerwartet, dass sie in Wien bei ihren Forschungen zunehmend mit der Nazivergangenheit konfrontiert wird. Journalisten sind dabei, die Akten der Klinik im Spiegelgrund zu sichten. Dort wurden behinderte Kinder zu Tode gespritzt. Sarah geht der Frage nach, ob Dr. Asperger Schuld auf sich geladen hat.
Gut gefallen mir die wissenschaftlichen Fakten, die hier vermittelt werden.
„...Eine Krankheit ist im Idealfall heilbar, eine Behinderung nur therapierbar...“
Die heilpädagogische Abteilung in Wien galt als eine der fortschrittlichsten in Europa. Das hatte sie insbesondere Dr. Lazar zu verdanken.
„...Zum ersten Mal bekamen die Kinder im Krankenhaus Unterricht. Sie durften sich bewegen und mussten die Zeit nicht mehr ausschließlich im Bett verbringen...“
Das ändert sich, als Dr. Hamburger der neue Leiter wird. Jetzt zählt nur noch, welchen Wert die Kinder einmal für die Gesellschaft haben werden.
Eine besondere Rolle spielt Schwester Viktorine. Ihr gelingt es, Zugang zu Erich zu bekommen. Sie erkennt, dass der Junge mathematisch hochbegabt ist. Darauf baut Dr. Asperger 1938 seinen Vortrag über autistische Kinder auf. Doch für Erich tickt eine Zeitbombe. Auch sein Weg in die Klinik Am Spiegelgrund ist vorgezeichnet.
Deshalb recherchiert Sarah besonders sein Schicksal. Ein Freund äußert:
„...Wenn man den Nazis etwas nicht vorwerfen kann, dann ist es Schlamperei. Sie haben ihre Gräueltaten akribisch archiviert...“
Doch ab 1943 fehlt von Erich jede Spur. Dann aber bekommt sie eine Information, die ihr weiter hilft.
Das Buch hat mir ausgezeichnet gefallen. Es ist keine leichte Kost. Darin wird deutlich, wie gekonnt Österreich seine braune Vergangenheit unter den Teppich gekehrt hat.