Der Einstieg in den Roman ist sehr Holly Jackson-typisch: eine realistisch aussehende Skizze in einem alten Schulheft über einen Familienstammbaum, bei dem die Legende etwas seltsam anmutet - "Verstorben" und "Unbekannt" sind markiert, und "Unbekannt" bezieht sich auf die Mutter der Protagonistin Annabel/"Bel" Price. Wie man bereits am schönen Farbschnitt sehen kann, geht es um einen Film. Ein kleines Team dreht einen Dokumentarfilm namens "The Disappearance of Rachel Price"/Das Verschwinden der Rachel Price.
Annabel/Bel gefällt mir natürlich bisher am besten. Die Geschichte ist aus ihrer Perspektive erzählt. Sie war knapp 2 Jahre alt, als ihre Mutter spurlos und aus unerfindlichen Gründen verschwand. Bis heute weiß keiner, was passiert ist und Bel erinnert sich (natürlich!) an nichts, obwohl sie, falls ihre Mutter entführt worden wäre, den Entführer gesehen haben könnte, Aber - sie war erst 20 Monate alt. In der Leseprobe merkt man deutlich, wie sehr ihr das ganze Thema zu schaffen macht und wie sehr es ihr Leben überschattet hat. Sie kann den Begriff MOM nicht aussprechen, mit ihrer Großmutter mütterlicherseits besteht kaum Kontakt, sie flucht streckenweise recht derbe (immer ein Zeichen von Überforderung, die sich in Aggression äußert), sie setzt sich nicht auf den Rücksitz im Wagen ihres Vaters - als Mutter weiß ich, dass Kindersitze normalerweise immer hinten angebracht sind, weil der Beifahrersitz als unsicher gilt - und sie stiehlt beim Filmdreh eine Schachfigur, ebenfalls ein Indiz für Überforderung oder vielleicht sogar bei ihr eine übliche Verhaltensweise. Ich habe sehr viel Mitgefühl für Bel. Es muss unfassbar schrecklich sein, wenn man ohne Mutter aufwachsen muss und noch 1000 mal schlimmer, wenn man nicht weiß, was passiert ist mit der Mutter. Und dann ist die "Geschichte", die sie nicht kennt, nicht mal privat, sondern, wie es in der Leseprobe heißt, mit einer der bekanntesten True Crime Fälle überhaupt. Ich frage mich die ganze Zeit, warum sie sich auf diese Dokumentarfilmsache eingelassen hat. Bisher wurde nur erwähnt, dass es der Wunsch ihres Vaters war. Da an einer Stelle der Leseprobe ein Streit zwischen Vater und Schwiegermutter beschrieben wird, bei dem heraus kommt, dass der Vater des Mordes an seiner Frau angeklagt, aber freigesprochen wurde, ist das für mich ein mögliches Motiv für ihn, diesen Film zu drehen. Er könnte sich damit "reinwaschen" und seine Sicht der Dinge schildern.
Die weiteren vorkommenden Personen sind ebenfalls alle spannend - die schwierige Großmutter mütterlicherseits, die rebellische und wunderschöne Cousine Carter, die fast eine Schwester für Bel ist, Onkel und Tante, die so nahe bei Bel und ihrem Vater wohnen und ein enges Verhältnis zu haben scheinen und schließlich der Großvater väterlicherseits, der dement zu sein scheint.
Das Dokumentarfilm Team lernen wir ebenfalls kennen. Bei Ramsey bin ich nicht sicher, ob ich ihn mag oder nicht - da geht es mir wie Bel, die ebenfalls hin und her gerissen ist. Ash ist für mich auf jeden Fall ein potenzieller Flirt von Bel. Die Mikroansteckszene war sehr süß und so sehr, wie Bel ihn mustert und seine Klamotten kommentiert, ist klar, da könnte was kommen.
Der Stil ist wie immer sehr, sehr lesbar und ich bin super schnell durch die (lange!) Leseprobe geflogen. Allerdings muss ich bei Holly Jackson immer aufpassen, weil ich erwarte, dass es schon Hinweise gibt, die sich später auflösen werden - sie ist wirklich sehr gut mit Plot-Twists und dem Aufnehmen vermeintlich loser Erzählstränge, die später wieder aufgenommen werden und dann total klar scheinen.
Bisher tappe ich allerdings noch total im Dunkeln und bin mega gespannt auf die weitere Handlung. Der Klappentext und der Titel besagen ja, dass Bels Mutter, Rachel Price, wieder auftauchen wird und darauf und vor allem auf ihre Geschichte bin ich sooooo gespannt!
Bei Five Survive wäre ich niemals auf die Auflösung gekommen und bei AGGGTM habe ich ebenfalls so ziemlich jede Falle mitgenommen und immer die falschen Leute verdächtigt, bestimmt geht es mir bei Rachel Price genauso und ich muss sagen, das macht die Auflösung am Ende dann nochmal krasser und das Lesen wirklich zu einem sehr besonderen Genuss.
Noch zum Schluss ein paar Worte zum Cover - natürlich wieder ein absolutes Highlight! Holly Jackson Cover sind wirklich immer ein Highlight und Hingucker und mittlerweile sogar ein bisschen wie eine Reihe gestaltet, man erkennt also, wer hier schreibt und welche Art von Roman zu erwarten ist. Wirklich ganz groß!
Über die Teilnahme an dieser Leserunde würde ich mich unfassbar freuen und ich bin jetzt schon ganz hibbelig.