Wichtiger Inhalt, aber mangelhafte Umsetzung
Aufmachung:
Das Cover gefällt mir sehr gut. Man sieht die Silhouette einer Frau im klassischen 50er-Jahre-Dress, die Winkel einzeichnet und mit mathematischen Gleichungen beschäftigt ist – genau diese ...
Aufmachung:
Das Cover gefällt mir sehr gut. Man sieht die Silhouette einer Frau im klassischen 50er-Jahre-Dress, die Winkel einzeichnet und mit mathematischen Gleichungen beschäftigt ist – genau diese Tätigkeit machte Dorothy Vaughan, Mary Jackson, Katherine Johnson und Christine Darden zu so bedeutenden historischen Figuren. Dabei kann die Silhouette für jede der vier Frauen stehen, genauso gut allerdings für alle anderen unbenannten Frauen des NACA, die letztlich zur Mondlandung beigetragen haben. Der Rest des Covers ist sehr schlicht gehalten.
Im Kernschatten des Mondes: Die unbekannten Heldinnen der NASA ist ein ebenso gelungener Titel (wenngleich sehr lang). Ich finde tatsächlich sogar, dass er besser passt als der Originaltitel Hidden Figures, der, wie die Autorin auch in ihrem Nachwort schreibt, es eher so darstellen lässt, als seien die Frauen versteckt worden anstatt einfach nur nicht gebührend beachtet.
Mit der Aufmachung bin ich also sehr zufrieden! 😊
Meine Meinung:
Vorweg: Ich finde es sehr schwierig, eine Rezension über dieses Buch zu schreiben. Man ist hier als Leser gezwungen, das Buch aus zwei verschiedenen Blickwinkeln zu bewerten: einmal in Bezug auf den Inhalt und einmal die Umsetzung der Autorin.
Wenn ich nur den Inhalt bewerten müsste, würde Im Kernschatten des Mondes von mir zweifellos die volle Punktzahl bekommen. Es würde es wahrscheinlich sogar zum Monatshighlight schaffen, wenn nicht sogar zu einem meiner Jahreshighlights!
Denn die Informationen, die das Buch bereithält, sind – gerade in der heutigen Zeit zu BLM, aber auch in der Feminismus-Debatte – unfassbar wichtig und gut. Im Kernschatten des Mondes zeigt nicht nur die wesentliche Arbeit der vier o. g. Frauen beim NACA bzw. später bei der NASA und ihren Beitrag zum Fortschritt in der Flugtechnik und zur Mondlandung auf.
Es beleuchtet auch das ganze „Drumherum“, mit dem sich Schwarze, insbesondere schwarze Frauen während der 40er- bis 70er-Jahre herumschlagen mussten. Man bekommt einen Einblick in die Arbeitswelt und die soziale Situation der schwarzen Frauen zu der Zeit und erhält so eine winzige Vorstellung davon, wie es gewesen sein muss, für die Position, die einem eigentlich zustehen sollte und die (vor allem weiße) Männer wie selbstverständlich bekamen, zu kämpfen, und vor allem auch dafür zu kämpfen, in dieser Position zu bleiben.
Gleichzeitig umschreibt das Buch die Segregation und die Bürgerrechtsbewegung in allen möglichen gesellschaftlichen Situationen. Natürlich schneidet man als Schüler dieses Thema im Englischunterricht an. Aber bevor ich dieses Buch gelesen hatte, war mir gar nicht bewusst, wie riesig meine Wissenslücke in diesem Thema immer noch ist! Es wird nicht ansatzweise alles besprochen und eine richtige Vorstellung, wie weitgreifend die Rassentrennung gewesen ist, kann eigentlich keine weiße Person haben, glaube ich.
So werden beispielsweise die traditionellen Seifenkistenrennen für Kinder angesprochen. Jeder von uns hat das, denke ich, schonmal in amerikanischen Serien oder Filmen mitbekommen. Dass es für schwarze Jungen allerdings praktisch unmöglich gewesen ist, an diesen Rennen teilzunehmen, wird natürlich nicht kommuniziert. Ähnliches gilt für die Bildung. Ich schätze, jeder von uns weiß im Prinzip, dass Segregation auch bedeutete, dass schwarze Kinder nicht dieselbe Schule besuchen durften wie Weiße. Dass der Bildungsweg allerdings nicht bloß beschränkt war, sondern aktiv kurzgehalten wurde, wird in der Schule ebenfalls nicht diskutiert.
Weiterhin beleuchtet das Buch auch gut die Ambivalenz des US-Amerikanischen Verhaltens im Krieg gegen die Achsenmächte und später auch im Kalten Krieg gegen die UdSSR: Wie kann ein Land für sich beanspruchen, die Demokratie und Gleichberechtigung zu bewahren, wenn es Teile seiner eigenen Bevölkerung wie Menschen zweiter Klasse behandelt? Eine Frage, die offensichtlich ist, auf die ich aber weder im Englisch- noch im Geschichtsunterricht aufmerksam gemacht wurde und über die ich ehrlicherweise auch nie nachgedacht habe. Das ist dann wohl ein weiterer Aspekt meiner White Privileges.
Zusammengefasst zeigt Im Kernschatten des Mondes also sehr gut, was es bedeutete Schwarz und insbesondere eine Schwarze Frau in einem von Weißen dominierten und reglementierten Land zu sein.
Vieles davon ist auch aus heutiger Perspektive noch relevant. Nicht selten habe ich darüber nachgedacht, was sich im Vergleich zu damals alles geändert hat, und eigentlich immer bin ich zu dem Schluss gekommen: Nicht wirklich viel. Die Frage, die ich oben schon gestellt habe, kann man immer noch stellen, und zwar nicht nur in Bezug auf die USA!
Im Kernschatten des Mondes ist also unwahrscheinlich wertvoll in der eigenen Auseinandersetzung mit Rassismus, insbesondere im Hinblick darauf, wie fundiert Margot Lee Shetterlys Arbeit ist: Man merkt, dass sie sich mit Zeitzeugen und Angehörigen sowie einer Menge Fachliteratur auseinandergesetzt hat. All ihre Quellen sind übrigens auch im Anhang verzeichnet.
Aber leider bin ich ja immer noch hier, um das Buch als solches zu beurteilen und nicht nur seinen Inhalt. Heißt also, dass ich in meiner Bewertung auch die Umsetzung der Autorin berücksichtigen muss. Da kann man leider nur sagen: Im Kernschatten des Mondes ist schlicht nicht gut geschrieben.
Früh fällt auf, dass man für die gut 350 Seiten (ohne Anhang) länger braucht als für ein gewöhnliches Buch. Das ist in erster Linie nicht verwunderlich, denn es ist ja immer noch ein Sachbuch. Dennoch finde ich, dass auch ein Sachbuch für sich beanspruchen sollte, flüssig lesbar zu sein. Das kann dieses Buch nicht, was zunächst daran liegt, dass es sehr viele Details in Bezug auf Aeronautik und Physik enthält, was den Lesefluss gerade eines physikalischen Laien doch erheblich mindert.
Das ist natürlich einfach der Thematik geschuldet, allerdings geht es hier ja primär um die Arbeit und das Leben der vier Frauen – wie bestimmte Flugzeugmodelle aufgebaut sind und was die Schwierigkeiten des transsonischen Bereichs sind, sind meines Erachtens nicht so relevant, dass dies gleich auf mehreren Seiten beschrieben werden muss.
Ähnlich verhält es sich mit den „Anekdoten“ oder Erläuterungen der Autorin zum Umfeld der Protagonistinnen, die sie nahezu immer in die eigentliche Erzählung dazwischenschiebt. Natürlich ist es wichtig zu wissen, was auch außerhalb der Arbeit im NACA um die Frauen herum passiert, insofern ist es nachvollziehbar, dass diese Einschübe ihren Platz im Buch haben.
Allerdings sind sie dermaßen mit Details gespickt, die nicht immer relevant sind und das Buch daher nicht bereichern, dass es das Lesen zunehmend schwieriger macht. Es fiel mir oft schwer, den Faden beizubehalten, sodass ich teilweise nach zwei oder drei Absätzen eines solchen Einschubs schon nicht mehr wusste, was das eigentliche Thema war und worauf die Autorin hinauswollte. Sie driftet unheimlich schnell in ihren Erzählungen ab und verliert dadurch unterwegs den Leser.
Dies führt zum einen leider dazu, dass man nicht lange am Stück in Im Kernschatten des Mondes lesen kann und gezwungen ist, das Buch zwischendurch auf Seite zu legen.
Gleichzeitig hat ihre sehr sachliche, aber dadurch auch emotions- und farblose Darstellung und die Liebe zu vielen Details zur Folge, dass Dorothy Vaughan, Mary Jackson, Katherine Johnson und Christine Darden kein Leben eingehaucht wird. Ich hatte echt meine Schwierigkeiten, die vier Frauen auseinanderzuhalten, wobei ich jetzt im Nachhinein zu Dorothy Vaughan und Katherine Johnson immerhin ein bisschen was sagen könnte; über Mary Jackson und Christine Darden habe ich leider nichts behalten. Das ist wirklich schade, da sie alle sicherlich sehr beeindruckende Persönlichkeiten sind!
Fazit:
Im Kernschatten des Mondes ist ein wahnsinnig wichtiger Wissensfundus, der den Leser über das Leben Schwarzer, insbesondere schwarzer Frauen in den 40er- bis 70er-Jahren und ihren Beitrag zu (amerikanischen) Geschichte aufklärt. Gleichzeitig bewegt es einen dazu, Rückschlüsse auf die Gegenwart zu schließen und es fällt auf, dass sich leider sehr wenig geändert hat.
Man fragt sich nicht nur, wie – auch heutzutage und nicht nur in den USA – eine vermeintlich zivilisierte Gesellschaft von sich behaupten kann, Demokratie und Gleichberechtigung zu schützen und zu leben, während zur selben Zeit Teile dieser Gesellschaft wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden und diese Werte nicht zu spüren bekommt.
Außerdem fragt man sich auch die ganze Zeit, wieso einem die Informationen, die Im Kernschatten des Mondes bereithält, nicht in den Köpfen der Allgemeinheit ebenso bekannt ist, wie die Tatsache, dass Neil Armstrong der erste Mensch auf dem Mond war. Die Antwort ist klar: Weil wir in einer von Weißen, primär Männern, dominierten und reglementierten Welt leben. Das dürfte auch die Antwort auf die andere Frage sein.
In der Hinsicht ist das Buch von unschätzbaren Wert auch für die eigene Auseinandersetzung mit Rassismus.
Leider muss man auch erkennen, dass Margot Lee Shetterly hier keine schriftstellerische Glanzleistung hingelegt hat. Ihren Erzählungen ist durch seitenlange Erläuterungen, viele Einwürfe und teils unnötige Details gerade im Hinblick auf die physikalischen Aspekte nur sehr schwer zu folgen. Zudem fehlt es der Darstellung von Dorothy Vaughan, Mary Jackson, Katherine Johnson und Christine Darden an Emotionalität und Farbe, sodass sie kaum auseinanderzuhalten sind.
Dadurch kann man von dem eigentlichen Wert des Buches nicht mehr viel mitnehmen.
Deshalb kann ich Im Kernschatten des Mondes: Die unbekannten Heldinnen der NASA auch nur 2,5/5 Lesehasen geben, obwohl es allein für den Inhalt 5/5 Lesehasen verdient hätte.