Ein eher distanzierter Blick hinter die Kulissen
Sie ist noch nicht alt, aber jung ist sie auch nicht mehr. Juno Isabella Flock. Als freiberufliche Performancekünstlerin verdient sie mal mehr, mal weniger Geld. Mit über fünfzig ist sie nicht mehr ganz ...
Sie ist noch nicht alt, aber jung ist sie auch nicht mehr. Juno Isabella Flock. Als freiberufliche Performancekünstlerin verdient sie mal mehr, mal weniger Geld. Mit über fünfzig ist sie nicht mehr ganz so gefragt. Wäre da noch Jupiter, ihr Mann, der im Rollstuhl sitzt, der auf Hilfe angewiesen ist. Als Paar gibt es sie eher als Pflegebedürftigen und als Pflegerin. Er ist an Multipler Sklerose erkrankt, sein Bewegungsradius erschöpft sich weitgehend zwischen Pflegebett und Rollstuhl, sie hingegen lebt ihren Bewegungsdrang beim Tanzen aus. Und nachts, wenn sie nicht schlafen kann, chattet sie im Internet. Hier tummeln sich auch die Love-Scammer. Männer, die sich einsame Frauen herauspicken, ihnen Liebe vorgaukeln. Männer, deren Profilbild viel verspricht, deren Interesse jedoch ausschließlich monetärer Natur ist. Soweit, so bekannt. Wie wäre es, den Spieß einfach umzudrehen? Juno schreibt mit ihnen, beamt sich in eine Welt voller Lügen, auch sie erfindet Traumwelten. Ihre Wirklichkeit verschweigt sie.
Und dann trifft sie auf Benu, der im fernen Nigeria sitzt. Die Gespräche werden intensiver, beide wissen um die Lügen des anderen und doch bleiben sie in Verbindung. „Manchmal muss man lügen. Das geht nicht anders. Jeder lügt…“ Sätze, die Benu ihr schreibt, die aber auch von ihr kommen könnten.
„Hey guten Morgen, wie geht es dir?“ Schon der Titel kommt leichtfüßig daher, er verspricht unterhaltsame Stunden, auch war ich neugierig auf das Gewinnerbuch des Deutschen Buchpreises 2024. Martina Hefter stellt die Chats in den Vordergrund, sie lässt darüber hinaus den ganz normalen Alltag mit einfließen. Häusliche Pflege und die Überforderung dessen etwa. Sie vergisst schon mal, wichtige Arzneien für Jupiter zu besorgen, ist irgendwann auch tagsüber am Chatten. Diese Gespräche, auch Video-Calls, nehmen immer mehr Raum ein. Juno lässt sich Tattoos stechen, berichtet von Hexen, der Walpurgisnacht und Voodoo-Priestern, bringt in ihren Chats mit Benu Lars von Triers „Melancholia“ ins Spiel.
Martina Hefter zeigt eine Frau, die nach mehr an Leben lechzt. Dieses Mehr findet sie in einer Scheinwelt zwischen ihrem künstlerischen Dasein und der Pflege von Jupiter. Sowohl die Chats als auch das Drumherum, der berufliche und der privaten Alltag, lassen mich ein wenig ratlos zurück. Es ist ein autofiktionales Buch, vielleicht gewährt die Autorin auch deshalb diesen eher distanzierten Blick auf das Private, lässt nicht zu viel Nähe aufkommen. Und doch kann ich nur das bewerten, was bei mir ankommt. Die Themen sind eher angerissen, Juno und Jupiter und auch Benu blieben mir weitgehend fremd. Es ist ein durchaus unterhaltsamer Roman, der aber eher an der Oberfläche kratzt.