» Da dieser Beitrag einen Reihenteil rezensiert, können Spoiler zu vorherigen Bänden nicht ausgeschlossen werden! «
"Das Herz des Verräters" ist der zweite Teil der „Chroniken der Verbliebenen“ und setzt direkt nach den Geschehnissen des ersten Bandes ein, was mich schon gleich am Anfang überzeugt hat. Gerade bei Geschichten, deren Handlung vordergründig und wichtig für den Leser ist und bei einem Ende wie bei „Der Kuss der Lüge“ finde ich einen nahtlosen Übergang sehr wichtig. Wie habe ich doch nach dem ersten Teil mitgefiebert und auf den zweiten Teil gewartet um eben genau die Geschichte zu erfahren, die sich dann abspielt? Rafe, ein Abgesandter von Dalbreck? Kaden, der Lia an den Komizar ausliefert? Was passiert mit Kaden, wo der Komizar ihm doch aufgetragen hatte, Lia zu töten? Was hat er vor? Was wird geschehen? Viele Fragen hat der erste Band in mir wachgerüttelt und mich auch ratlos zurückgelassen, viele Fragen, die im zweiten Teil beantwortet wurden, aber auch wieder neue Fragen aufgeworfen haben. Im Großen und Ganzen hat mir die Geschichte rund um Lia auch dieses Mal gut gefallen, auch wenn ich den ersten Band ein wenig besser fand.
Ein großer Pluspunkt waren für mich die Charaktere, die ich sogar noch lieber mochte und die ich noch besser ausgearbeitet fand als im ersten Teil (obwohl ich sie ja da schon richtig gut fand). Es sind tolle neue Figuren hinzugekommen – beispielsweise der Komizar, Aster und Calantha – die sich perfekt in die Geschichte eingefügt haben und frischen Wind, neue belastende Vergangenheiten und einiges an Emotionen mitbrachten. Sei es der Komizar, der meist nur Wut in mir ausgelöst hat, Aster, für die ich Muttergefühle und Liebe empfand und Calantha, die mich mit viel Verwunderung und Argwohn zurückgelassen hat. Auf jeden Fall möchte ich über alle noch viel mehr erfahren.
Aber auch alte Charaktere haben sich meiner Meinung nach entwickelt, allen voran Lia und Kaden. Lia ist viel stärker und beherrschter geworden, sie hat Teile ihre Naivität abgelegt und sich dafür Raffinesse angeeignet. Am Anfang war sie schlicht von der Situation und ihrer neuen Lebensumgebung überfordert, aber letztlich erschien sie mir noch viel stärker und taffer, als im ersten Teil – und das mag schon einiges heißen. Und auch Kaden hat sich heimlich, still und leise irgendwie doch in mein Herz gemogelt und steht jetzt bei mir persönlich gleichauf mit Rafe. Vermutlich einfach, weil man mehr über ihn erfahren hat, er nicht länger der kaltherzige Attentäter ist, sondern ein Mensch mit einer Geschichte und einer Vergangenheit, die zu Tränen rührt und voller Emotionen steckt. Eine Geschichte, die mich traurig gemacht hat, die mich ihn hat besser verstehen lassen. Dass er mit offenen Karten gespielt hat, dass man Einblicke in seine Gefühle erhielt und dass er, trotz all der Hoffnungslosigkeit, trotz der Befehle, die er hatte, Lia immer beschützt hat, hat mir sehr imponiert und hat seine Stellung im Königreich für mich immer weiter in den Hintergrund treten lassen.
Nun zur Geschichte selbst. Ich habe, nachdem ich den ersten Band der Reihe beendet habe, viele unterschiedliche Meinungen gehört und gelesen. Es war oft die Rede von "misslungener Umsetzung", "Langatmigkeit" und "in die Länge gezogen", was ich teilweise verstehen, aber definitiv so nicht unterschreiben kann. Die Geschichte an sich ist sowohl im ersten Teil, als auch im zweiten Band eher langsam und ruhig, das stimmt wohl. Der Plot wird langsam aufgebaut, steht dafür aber sehr stabil und gibt eine allumfassenden Blick über die Könighäuser, die Verbindungen und Beziehungen, die Hintergründe und Machtverhältnisse. Natürlich gibt es Fantasy-Romane mit viel mehr Dynamik und massenweise Inhalt, viel mehr Verschwörungen und Intrigen, viel mehr Abhandlungen und Spannung, aber ich habe auch beim Lesen des zweiten Bandes gemerkt, dass mir die leichte Erzählweise und die wenige Handlung, die im Buch vonstattengeht, einfach aus dem Grund so gut gefällt, weil man dauernd neue Hinweise erfährt, weil das Buch voller kleiner Details steckt, einem tollen Hintergrundwissen, das nicht nur die Problematik der Geschichte und der Gefühle der Protagonisten verständlich macht, sondern auf mich hat das alles einfach nur echt gewirkt.
Ich habe mitgelitten und mitgefiebert, habe mich gefragt, was als nächstes passiert und hatte auch viel Zeit, mir während des Lesens Gedanken darüber zu machen, was der nächste Schritt sein könnte, statt dass es mir aufgrund der Dynamik des Plots schon vorweggenommen wurde. Ich hatte Zeit, Lias Verwandlung zu hinterfragen, auch Kadens Entwicklung und in welchem Maße sich Rafe und er irgendwann in die Quere kommen und eben genau diese Rivalität genaustens zu beobachten. So empfand ich das wohl, weil ich voll und ganz in diese Geschichte mithinein gezogen wurde.
Der Schreibstil tut da noch sein übriges. Ohne jetzt zu groß ins Schwärmen zu kommen, mag ich die Art und Weise, wie Mary E. Pearson schreibt. Zwar habe ich außer dieser Reihe von der Autorin noch kein Buch gelesen, aber alleine durch die beiden Bücher hat sie sich in so etwas wie eine Lieblingsautorin für mich entwickelt. Ich mag es, wie sie Geschichten aufbaut, wie sie sie beschreibt und vielleicht bin ich schlichtweg einfach ein Fan von ruhigen, seichten Erzählungen mit viel Emotionen, Intrigen und tollen Protagonisten.
Für die Cover der Reihe habe ich eine absolute Schwäche. "Der Kuss der Lüge" fiel mir schon direkt auf und habe ich bereits schon gelobt, aber auch den zweiten Teil finde ich richtig schön umgesetzt. Bei meinen Recherchen ist mir allerdings aufgefallen, dass Band 1 und 2 von der Originalumsetzung übernommen wurden, Band 3 dagegen ein anderes Cover als die amerikanische Fassung erhält. Vielleicht weiß jemand von euch, warum dies so ist?
Fazit
Alles in allem ist "Das Herz des Verräters" ein wundervolles und schönes Buch, das eine tolle Fortsetzung der "Chroniken der Verbliebenen" bietet und was nur deshalb einen Stern Abzug von mir erhält, weil ich den ersten Teil rein vom Gefühl her einfach ein bisschen besser fand (Mittelteile haben es mir leider schon von Anfang an oft schwer).