Psychoanalyse literarischer Figuren
Eine Psychologin verschwindet, in ihrem Büro werden Akten über Gespräche mit ihren letzten Patienten gefunden. Doch vom gewöhnlichen Klientel der Praxis sind diese weit entfernt. In ihrer Therapie befanden ...
Eine Psychologin verschwindet, in ihrem Büro werden Akten über Gespräche mit ihren letzten Patienten gefunden. Doch vom gewöhnlichen Klientel der Praxis sind diese weit entfernt. In ihrer Therapie befanden sich angeblich: Dr. Jekyll, Dorian Gray, Carmilla und Viktor Frankenstein. Wie ist das möglich? Sind die Figuren klassischer Schauerliteratur zum Leben erwacht und haben sich in psychologische Betreuung begeben? Möglicherweise geben die Akten zum Schluss einen Hinweis auf ihr verschwinden, doch vielmehr bieten sie einen eindrucksvollen Einblick in die Gefühlswelt uns bekannter, fiktiver Charaktere.
„Monster auf der Couch“ entspringt der Feder des Autoren Duos Mats Strandberg, dem Autor mehrerer Bücher und Jenny Jägerfeld, die als praktizierende Psychologin zum Teil auch schon Bücher, mit therapeutischem Hintergrund, verfasste. Die Idee zu diesem Werk hatten beide nach dem Besuch einer Theateraufführung. Diese, durchaus bekannten literarischen Figuren möchten ihr „monströses Verhalten“ therapiert haben. Mal mehr oder weniger freiwillig finden sie sich ein, um für ihre Mitmenschen angepasster und akzeptabler zu leben. Gleich vorweg: die Gesprächstherapie ist hier Dreh- und Angelpunkt in diesem Buch. Zwar beginnt es, mit der Tatsache ihres Verschwindens und Aufgrund dessen haben wir Einsicht in ihre Akten, doch das Buch befasst sich ausschließlich mit den von ihr geführten Therapie Sitzungen. Wer sich also einen Kriminalfall mit etwas psychoanalytischer Würze vorstellt, könnte massiv enttäuscht sein. Mir persönlich hat die hohe psychologische Komponente sehr gut gefallen. Auch die Aufteilung in Sitzungsprotokollen, Hintergründe zum Fachwissen und Auszüge ihrer Gedanken brachte Auflockerung. Unterstützt wurde diese von Illustrationen, Zeitungs- bzw. Fachartikeln. Man merkt bei allen Figuren, dass ihnen weniger ein monströses Verhalten, als vielmehr ausgeprägte Wesens- und Charakterzüge zugrunde liegen, die wir alle nur zu gut kenne und auch ab und an ausleben. Zwar war sowohl für uns, als auch für die Therapeutin ein Charakter sehr speziell und auch anstrengend, doch auch dieser Umstand war letzten Endes nachvollziehbar und machte das ganze wieder rund. Die Analyse der Charaktere an sich ist unwahrscheinlich interessant, trennen sie und uns im Schnitt ca. 150 Jahre. So klaffen Ansichten zum Teil stark auseinander, hat sich doch in dieser Zeit einiges gewandelt. Allem voran die gängigen Konventionen, zum Teil das Rollenverständnis von Mann und Frau oder die (leider immer noch nicht überall angekommene) Enttabuisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Man stolpert über aberwitzige, damals jedoch hoch wissenschaftliche Thesen wie weibliche Hysterie oder die Phrenologie. Was die Charaktere glaubwürdig und zeitgemäß macht und zeitweise zum Schmunzeln veranlasst. Man sieht die Autoren haben sich sowohl mit der damaligen Zeit als auch mit den ursprünglichen Werken auseinandergesetzt. Somit geben sich die ernsten, witzigen und traurigen Momente auf dieser Couch die Klinke in die Hand. Wer sich also gern mit Psychologie, Psychoanalyse, Sitzungs-/ Gesprächstherapie, so wie Fachwissen befasst, den wird das Buch wahrscheinlich begeistern und mitnehmen können. Wer hier jedoch einen Kriminalfall erwartet könnte sich schnell langweilen.
Fazit: ein klasse Buch in dem, Charaktere der klassischen Schauerliteratur Platz nehmen und ihr Seelenleben offenbaren. Jedoch wird fast kein Bezug auf das Verschwinden der Therapeutin genommen, weswegen es trotz der Beschreibung nicht mit einem Kriminalfall verwechselt werden darf.