Der Koboldjunge Fynn, Protagonist der so liebenswerten wie aufregenden Geschichte, zu der ich mir hier ein paar Gedanken machen möchte, ist ein aufgewecktes Kerlchen (Kobolde sind nach der Vorstellung des Autors winzige Wesen, die die Menschenwelt zahlreich bevölkern und nur von denen wahrgenommen werden – wenn überhaupt - , die sich noch nicht völlig entfremdet haben von unserem ureigenen Lebensraum und mit ihm im Einklang und nicht gegen ihn leben). Wenn es manchmal so scheint, als wäre er schwer von Begriff, so täuscht das! Fynn nämlich, ohne jeden Arg, tut sich lediglich schwer damit, das Böse zu sehen und zu begreifen. Möge ihm diese so positive Eigenschaft erhalten bleiben, selbst dann, wenn er in der Koboldschule in den Bergen seine Ausbildung zum Wächter abgeschlossen hat und ein vollwertiges Mitglied des Ordens, der Gemeinschaft der Kobolde, geworden ist, die es als ihre Aufgabe ansehen, ihre Welt, die auch diejenige der Menschen ist, vor Unheil zu bewahren und sie und all ihre Lebewesen ihren Schutz angedeihen zu lassen. Eine so lobenswerte wie schwierige Aufgabe, denn auf unserer Erde brennt es an allen Ecken und Enden, und man mag sich gar nicht vorstellen, wie sie aussehen würde ohne den beherzten und nimmermüden Einsatz der Kobolde...
Fynn begegnen wir zu Anfang des bezaubernden Fantasyromans nicht etwa in seiner Schule unter der Ägide des allseits bekannten und bewunderten Lehrers und Meisters Hendrik, sondern vielmehr auf einem Schiff Richtung China, zusammen mit seiner wagemutigen und allen Widrigkeiten gewachsenen Freundin Ally! Dorthin wollen sie die Prinzessin Shen-Mi begleiten, um sie vor dem bösen Huai Chen in Sicherheit zu bringen – man sieht also, dass es auch unter den Kobolden schwarze Schafe gibt! Doch der unter Tieren im Walde aufgewachsene Fynn hat noch einen anderen Grund für die Reise: lange schon sehnt er sich danach, endlich seinen leiblichen Eltern zu begegnen, von denen er als Kleinkind durch ungeklärte Umstände getrennt wurde....
Die Reise freilich läuft anders als geplant – und nach einem Unglück auf dem Schiff, verursacht durch eine Mine, die das Abladen von Giftmüll ins Meer verschleiern sollte, landen Fynn und Ally auf einer Insel, auf der sie auf den weißen Gorilla Kiko und den Helmvanga Roy treffen, die beide skrupellosen Tierfängern entkommen sind. Nun, getreu dem Credo ihres Ordens müssen die zwei Koboldkinder, die es allerdings an Courage und Einfallsreichtum mit einer ganzen Kompanie Soldaten aufnehmen können, zunächst einen Abstecher nach Afrika machen, um sicherzustellen, dass Roy und Kiko, beide gefährdeten Tierarten zugehörig, sicher in ihre Heimat zurückgeführt werden. Und das ist gar nicht so einfach, wie sie bald feststellen müssen!
Weit Abenteuerlicheres und Gefährlicheres aber steht Ally und Fynn noch bevor, als sie die Weiterreise nach China antreten, um die Prinzessin wiederzufinden und unbeschadet zu ihrem Vater zu bringen. Denn alsbald geraten sie in eine Falle und stehen dem Erzschurken Huai Chen persönlich gegenüber, der gar Böses im Schilde führt. Wie sie mit List und Entschlossenheit und nicht zuletzt dank der tatkräftigen Hilfe ihrer Artgenossen und einer Schar gefiederter und vierbeiniger Verbündeter, denn da besteht ein unzerreißbares Band zwischen den Kobolden und den Tieren, den selbst gewählten Auftrag zu einem guten Ende bringen und sich noch dazu Fynns sehnlichster Wunsch, nämlich seine Eltern wiederzufinden, erfüllt – ja, das müssen die jungen und nicht mehr ganz so jungen Leser schon selbst herausfinden....
„Die große Reise“ ist Band 2 der Geschichte um die beiden jungen Kobolde Fynn und Ally. Doch auch ohne die Kenntnis des ersten Buches bereitet sie uneingeschränkten Lesegenuss für Groß und Klein und bietet darüber hinaus viel Stoff zum Nachdenken und zum regen Gedankenaustausch, wenn man sie denn – idealerweise – gemeinsam mit einem der Zielgruppe (ab etwa acht Jahren) zugehörigen jungen Leser liest.
Der Fantasyroman ist so spannend wie amüsant und anrührend, dazu sehr abwechslungsreich und bevölkert mit den liebenswertesten Kreaturen, die man sich nur vorstellen kann (solange es sich um Tiere und Kobolde und eine sehr überschaubare Handvoll Menschen handelt freilich), die unbedingt schützenswert sind. Und dass der Autor seine kleinen und größeren Protagonisten vor dem realistischen Hintergrund einer gar nicht heilen Welt agieren lässt, die sich langsam und mit unverständlicher Hartnäckigkeit und Zielstrebigkeit selbst zerstört – und wie Fynn und Ally das zu erklären versuchen, ist wunderbar gemacht und für junge Leser sehr verständlich und nachdrücklich auf den Punkt gebracht! -, hatte ich zunächst nicht erwartet, ist aber einer der Punkte, die mir besonders gefallen an der parabelhaften Fantasygeschichte, die dennoch so nah an der Wirklichkeit bleibt. So ist unsere Welt nun mal, so erschreckend es auch ist. Und nur, wenn man über die zerstörerischen Mechanismen Bescheid weiß, die diese Welt zu einem Ort gemacht haben, an dem alles, aber auch alles, profitgesteuert ist, ohne Rücksicht auf Verluste, kann man gegensteuern, genauso wie das die Kobolde machen, die sich nicht umsonst Wächter nennen, und so, wie es jeder von uns tun kann, durch Menschlichkeit und Rücksicht und Achtung vor der so fragilen Natur und ihren Lebewesen. Gorillas werden vielleicht das 21. Jahrhundert nicht überdauern, so wie viele weitere Spezies ausgerottet sein werden, wenn man, sprich die Völkergemeinschaft, nicht schleunigst die Notbremse zieht. Das Buch macht Hoffnung, auch wenn das nur ein Hoffnungsschimmer ist, nachdem zwei Vertreter der inzwischen selten gewordenen Arten wieder ihrer Heimat, ihrem angestammten Lebensraum zugeführt worden sind, nachdem im weiteren Verlauf der Geschichte dem Streben nach Allmacht mit Hilfe einer zerstörerischen, nicht mehr beherrschbaren Technik Einhalt geboten wurde – durch Mut, Entschlossenheit, Zusammenhalten und bedingungslosem Einsatz der winzigen Hüter und Bewahrer der Erde und all dem, das auf selbiger seine Berechtigung zum Leben hat. Und Hoffnung braucht es, bei allem realistischen Pessimismus!