Wenn Opfer zu Tätern werden
In einer nächtlichen Fahrt zu seiner Ex-Frau Christina überfährt Falco ganz in Gedanken versunken eine Frau. In seinem erbärmlichen Zustand kommt ihm Christina zu Hilfe und stellt sogleich fest, dass die ...
In einer nächtlichen Fahrt zu seiner Ex-Frau Christina überfährt Falco ganz in Gedanken versunken eine Frau. In seinem erbärmlichen Zustand kommt ihm Christina zu Hilfe und stellt sogleich fest, dass die Frau bereits tot war, als Falcos Wagen sie überrollte. Hinter dem Rücken seines ehemaligen Kollegen Bruno und Vorgesetzten Gruber begibt sich Falco auf die Suche nach dem Mörder der Frau. Seine einstige Affäre Paula, die in einem Frauenhaus arbeitet, hilft ihm und bringt ihn bald auf eine heiße Spur. Als kurz darauf eine zweite Frau tot auf die Straße geworfen wird, fällt ein Tattoo in Form eines Drachens als verbindendes Element zwischen den beiden Frauen auf. Falco verbeißt sich zusehends in die Ermittlungen und bringt damit nicht nur Paula in Gefahr.
Falco Brunners zweiter Fall führt dem Leser tiefe menschliche Abgründe, Machtmissbrauch, verdrehte Glaubenssätze und viele Facetten häuslicher Gewalt vor Augen. Das ist keine leichte Kost und wenig verwunderlich, dass auch Falco in diesem Buch eine Veränderung durchmacht. Aus dem einstigen Aufreißer wird ein Mann, der endlich nach vorne schaut und sich auf seine Stärken fokussiert. Falco ist einmalig und mittlerweile ist er mir ans Herz gewachsen. Dank des flüssigen und leicht verständlichen Schreibstils fand ich mich schnell mitten in den Ermittlungen wieder. Eine unaufhaltsame Spirale aus Gewalt und Schweigen zog mich in seinen Bann. Der Autor hat realistisch ohne moralischen Tadel von häuslicher Gewalt und Missbrauch innerhalb der Familie erzählt und eindrucksvoll beleuchtet, warum es für die Betroffenen so schwer ist, sich aus eigener Kraft daraus zu befreien. Was für den Leser oft befremdlich wirkt, ist für die Opfer Alltag und „normal“. Es wurde ihnen nun mal so vorgelebt.
Die Einschübe, in denen das Opfer zu Wort kommt, gefielen mir sehr gut. Nüchtern erzählt sie von ihrer Kindheit, die mit häuslicher Gewalt, Hoffnungslosigkeit, Angst und dem Fehlen der mütterlichen Zuneigung einhergeht.
Die Symbolik des Covers war mir lange Zeit nicht klar. Es zeigt einen Falter auf einem alten Teddybär. Der Falter taucht auch in Falcos Traum auf und er scheint sich in seinem Inneren zu regen. Die Opfer des Buches, die alle Gewalt in ihrer Kindheit erfahren haben und ihr eigenes Leben danach ausgerichtet oder sich damit abgefunden haben, erscheinen wie Falter, die versuchen, aus einem verschlossenen Raum zu kommen und dabei unweigerlich scheitern, so lange ihnen niemand ein Fenster öffnet. Hier werden Opfer zu Tätern und umgekehrt und Gewalt gehört zum Alltag. Durch viele falsche Fährten war bis kurz vor Schluss nicht klar, wer der Täter ist.
Bereits in seinem ersten Fall hat Michael Seitz seinen ehemaligen Polizisten in Fällen von Missbrauch ermitteln lassen. Entsetzt und gebannt habe ich in „Die verlorenen Kinder“ Falcos Suche nach Motiv und Mörder verfolgt und mitgefiebert. Auch dieses Mal konnte ich das Buch kaum zur Seite legen und warte auf weitere spannende, beunruhigende und gut recherchierte Krimis über Falco Brunner. Krimi- und Thrillerfans kann ich „Der Falter“ gerne empfehlen. Sie werden ein Wechselbad der Gefühle erleben und mitfiebern bis zum Schluss.