Eindringlich erzählter Vorwenderoman zwischen Balaton, Budapest und Ostberlin
Theresa ist tot. Ihrer Cousine Márta steht die Aufgabe bevor sich von ihr zu verabschieden. Wie schwer dies auch nach jahrzehntelangem Schweigen zwischen den ehemals besten Freundinnen ist, lassen bereits ...
Theresa ist tot. Ihrer Cousine Márta steht die Aufgabe bevor sich von ihr zu verabschieden. Wie schwer dies auch nach jahrzehntelangem Schweigen zwischen den ehemals besten Freundinnen ist, lassen bereits die ersten Seiten von Rückkehr nach Budapest erahnen. Etwas, viel mehr steckt hinter dieser Beziehung und erst recht ihrem Bruch, der auf Márta lastet. Eine zentrale Rolle dabei spielt Konstantin, ein junger Literat aus Ostberlin, den beide Frauen in einem Sommer vor über 20 Jahren in Berlin kennenlernen und der jede von ihnen auf eigene Art begeistert und für sich einnimmt. Und so nimmt diese komplexe Dreiecksbeziehung ihren Lauf, zwischen sich verschiebenden Loyalitäten, körperlicher und intellektueller Anziehung und all dies eingebettet in sensibel erzählte, zum Teil schwierige und schmerzhafte, Lebens- und Familiengeschichten in der DDR und Ungarn.
Mich hat der Roman bereits nach wenigen Seiten vollkommen eingenommen und auf ganz verschiedenen Ebenen überzeugt. Da ist zum einen die eindrücklich eingefangene Stimmung der Vorwendezeit in der DDR und in Ungarn - das Spannungsfeld zwischen alten Regeln, Überwachung und Repression gegenüber immer mehr Freiheitsdrang und Kritik in Kunst und Kultur, hier natürlich insbesondere der im Buch geschilderten Literaturszene. Auch die feinen Unterschiede des DDR-Systems im Vergleich zum ungarischen Sozialismus arbeitet die Autorin fast schon spielerisch in die Erzählung ein. Auf der Ebene der Figuren begeistert sowohl die zarte Studie der Dreiecksbeziehung zwischen Márta, Theresa und Konstantin im Spiel zwischen Loyalitäten, Verrat, Liebe und Freundschaft als auch Mártas Charakterstudie als zurückgenommene, sympathische junge Frau, die jedoch oft für andere lebt und sich im Laufe des Romans immer mehr selbst entdeckt, zu sich findet und dafür lernen muss sich von ihrer Vergangenheit nach langem Ringen zu entfernen und für sich selbst einzustehen. Kiss gelingt es sich sensibel in die diversen, oft schwierigen Lebensgeschichten einzufühlen und so ein authentisches, psychologisch komplexes Bild der Protagonistinnen zu zeichnen.
Für mich war Rückkehr nach Budapest ein echtes Überraschungshighlight in dem noch kurzen Lesejahr. Ich empfehle den Roman von Nicoletta Kiss allen, die gern über komplexe soziale Beziehungen und psychologische Motive lesen und in ein authentisches Bild und Milieu der unmittelbaren Vorwendezeit in der DDR und Ungarn eintauchen möchten!