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Veröffentlicht am 24.02.2021

Zweifel und Suche

Aus der Mitte des Sees
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Als ein Mitbruder das Kloster verlässt und eine Familie gründet, gerät Lukas nach 16 Jahren als Benediktiner in eine Sinnkrise.

Benediktinermönch Bruder Lukas hat einen Freund und Mitbruder an die Welt ...

Als ein Mitbruder das Kloster verlässt und eine Familie gründet, gerät Lukas nach 16 Jahren als Benediktiner in eine Sinnkrise.

Benediktinermönch Bruder Lukas hat einen Freund und Mitbruder an die Welt verloren. Seit Andreas das Kloster verlassen hat und eine Familie gründete, ist Lukas im inneren Zwiespalt. Auf Nachrichten und Fotos von Andreas sucht er eine Antwort. Wie kann er unbeschwert schreiben, ihm Glück wünschen, wenn er sich doch alleingelassen, ja fast verraten fühlt?

Diesen inneren Monolog beschreibt dieses Buch. Ich spüre die Kränkung, die Lukas fühlt, aber auch das Verstehen von Andreas‘ Entscheidung und damit auch einen Zweifel an der eigenen Existenz als Mönch. Rückzugsort für Lukas, der im Kloster als Gästebetreuer fungiert, ist der See mit seinem Steg, Dort schwimmt er nun täglich allein seit Andreas nicht mehr Teil der Gemeinschaft ist. Im Wasser, das ihn trägt, wie die Liebe Gottes, wie er erkennt, ringt er mit sich. War seine Entscheidung für das Klosterleben richtig, ist da nicht auch bei ihm ein Wunsch nach Familie, nach weltlicher Liebe, nach Zweisamkeit?

Man taucht sehr intensiv in die Welt von Bruder Lukas ein, spürt sein Ringen mit Gott und das wirkt niemals aufgesetzt oder frömmlerisch. Es ist ein stilles Buch, das existenzielle Fragen zum Leben aufwirft, nie auf schnelle Erkenntnis setzt. Diesen Prozess, denn Lukas durchläuft, darf der Leser begleiten. Dazu kommen schöne, poetische Landschaftsbeschreibungen und Erinnerungen an Begegnungen mit Mitbrüdern und Weggefährten. Überhaupt hat mich die Sprache des Autors begeistert, da ist kein Wort, keine Beschreibung zu viel oder belanglos. In diese Geschichte kann man eintauchen.

Was ist Klosterleben in unserer Zeit, wo Lukas mit knapp 40 der jüngste der Brüder ist und die Zahl der Mönche von Jahr zu Jahr sinkt. Ist es noch Hingabe und Kontemplation oder ist man ein Teil eines – wenn auch besonderen – Wirtschaftsbetriebs, mit Gästeflügel und Klosterladen?

14 Tage lang begleitet der Roman Bruder Lukas und seine innere Kämpfe bis zu seiner Entscheidung. Eine stilles, lang nachwirkendes Buch, das viele Denkanstöße gibt.

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Veröffentlicht am 23.02.2021

Spannender Auftakt zu einer Trilogie

Trauma – Kein Entkommen
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„Trauma“ beginnt mit einem wirklich traumatischen Prolog. Aus der Sicht eines sehr kleinen Kindes erfährt man von Misshandlungen und Tyrannei der kleinen Familie durch den brutalen Vater.
Dann steigt der ...

„Trauma“ beginnt mit einem wirklich traumatischen Prolog. Aus der Sicht eines sehr kleinen Kindes erfährt man von Misshandlungen und Tyrannei der kleinen Familie durch den brutalen Vater.
Dann steigt der Leser gleich in eine spannende Kriminalgeschichte ein. Eine Wasserleiche wird geborgen, angespült auch das Schlauchboot, das der Tote wohl selbst zum Kentern brachte. Alle äußeren Umstände deuten auf Suizid, bestärkt wird das durch die Aussage eines Therapeuten, beim dem der Tote in Behandlung war. Trotzdem kann sich Ermittlerin Katja Sand nicht mit diesem Urteil anfreunden. Ein zweites Opfer – auch hier spricht alles für einen Suizid – bringt die Kommissarin und ihren Assistenten Rudi Dorfmüller zu einer gewagten Theorie. Da sie keinen offiziellen Ermittlungsansatz mehr haben, bewegen sie sich in einer gefährlichen Grauzone.
Ich empfand das als Thriller bezeichnete Buch eher als soliden Kriminalroman, was meinen Lesegewohnheiten durchaus entgegenkommt. Alle genretypischen Merkmale sind in diesem Buch enthalten und auf spannende Weise arrangiert. Die zweifelnde Ermittlerin mit einem nicht immer einfachen Privatleben, als alleinerziehende Mutter mit einer tief in der Pubertät steckenden Tochter kann man Beruf und Familie nicht gut unter einen Hut bringen. Dann gibt es noch den Vorgesetzten der nicht immer die Rückendeckung gibt, die man braucht. Aber aus diesen Schwierigkeiten entsteht auch eine Spannung über die Ermittlungen hinaus.
Christoph Wortberg ist für mich ein bisher unbekannter Autor, aber als Drehbuchautor kennt er die Kniffe für einen spannenden Handlungsbogen und für Wendungen, die den Leser immer wieder auf falsche Spuren bringen. So ist sein Romandebüt gelungen, auch wenn der Autor sich ganz auf bewährte Versatzstücke verlässt. Aber man kann das Rad ja nicht neu erfinden. Die Erzählweise ist genretypisch und gut lesbar und ich habe mich wirklich sehr gut unterhalten.
Das Buch ist der Auftakt einer Trilogie und so bleibt ein Handlungsstrang auch offen und macht auf die Fortsetzung neugierig.

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Veröffentlicht am 22.02.2021

Zwei junge Frauen, zwei deutsche Staaten

Lebenssekunden
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Ende der 50iger Jahre wachsen zwei fast gleichaltrige Mädchen den zwei Teilen Deutschlands auf, deren Lebensweg sich später auf dramatische Weise kreuzen wird.

Angelika Stein in Kassel, Tochter aus gutbürgerlichem ...

Ende der 50iger Jahre wachsen zwei fast gleichaltrige Mädchen den zwei Teilen Deutschlands auf, deren Lebensweg sich später auf dramatische Weise kreuzen wird.

Angelika Stein in Kassel, Tochter aus gutbürgerlichem Haus, hat die Schule satt, seit sie aus dem Lyzeum in normales Gymnasium wechseln musste. Sie möchte eine Lehre zur Fotografin machen, aber findet nur mit Schwierigkeiten eine Lehrstelle.

Christine Mangold wächst in Berlin auf, ihr Talent als Turnerin wird entdeckt und sie wird in einen Elite-Kader gesteckt. Anfangs noch voller Stolz für diese Auszeichnung, unterwirft sich Christine bedingungslos dem Drill, der mehrfach die Grenze zur Körperverletzung übersteigt. Vor allem Christines Mutter ist stolz, seit ihr Mann sie verlassen hat um in den Westen zu gehen, ist sie überzeugter vom Staatsmodell der jungen DDR als je zuvor. Zweifel erlaubt sie sich erst, als es fast zu spät ist.

Beide Mädchen müssen auf ihrem Weg zur Frau jede Menge Rückschläge einstecken und bittere Erfahrungen, bis sie ihren Lebensweg gehen können.

Ich habe die Autorin erst mit diesem Buch kennengelernt und sie hat mich gleich begeistert. Der farbige, bildreiche Stil hat mich sofort mitgenommen. Gerade in den Details hat mich die Geschichte überzeugt, die Autorin hat so ihren beiden jungen Hauptfiguren Leben eingehaucht. Gefallen hat mir auch die unterschiedliche Entwicklung der beiden deutschen Staaten, die ganz aus dem privaten Blickwinkel gezeigt werden und damit noch realer werden. Historische Figuren und Ereignisse geben dem Buch auch noch eine zeitgeschichtliche Dimension. Die Auftritte Willy Brandts als Berliner Bürgermeister haben mir sofort Bilder in Erinnerung gerufen.

Es ist ein eindrucksvoller Entwicklungsroman, der viele Erinnerungen weckte. Auch wenn meine Jugend ein gutes Jahrzehnt später war, habe ich vieles noch selbst so erlebt. Vielleicht hat mich das Buch auch deshalb so angesprochen und überzeugt.

Statt eines Epilogs gibt es eine „Nachlese“ am Ende des Romans, die für mich die ganze Geschichte abgerundet hat.

In der Menge der Romane mit den 50iger/60iger Jahren als zeitgeschichtlichem Hintergrund nehmen die „Lebenssekunden“ einen Platz ganz vorne ein.

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Veröffentlicht am 19.02.2021

The Queen is not amused

Das Windsor-Komplott
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Um Charles geschäftliche Ambitionen zu unterstützen, lädt die Queen einige ausgewählte russische Geschäftsleute zum Wochenende nach Schloss Windsor ein. Der Abend wird musikalisch von einem jungen Pianisten ...

Um Charles geschäftliche Ambitionen zu unterstützen, lädt die Queen einige ausgewählte russische Geschäftsleute zum Wochenende nach Schloss Windsor ein. Der Abend wird musikalisch von einem jungen Pianisten umrahmt, der leider seinen Auftritt nicht lange überlebt. Am nächsten Morgen wird er in seinem Zimmer tot aufgefunden. Nein, kein Suizid, wie der erste Eindruck nahelegt, sondern eine plumpe und kompromittierende Inszenierung. Natürlich schaltet sich sofort der MI5 ein, alles soll diskret aufgeklärt werden. Man will ja die alte Dame nicht aufregen.

Doch die Queen sieht und hört einiges, auch weiß sie, dass die Beamten dazu neigen, sie wegen ihres Alters zu unterschätzen, schließlich will sie in Kürze ihren 90. Geburtstag feiern.

Mit ihrer privaten Assistentin Rozie beginnt sie selbst zu ermitteln. Natürlich agiert sie im Hintergrund, aber ein diskreter Hinweis dort oder ein Nachfragen an anderer Stelle, bringt Bewegung in die Geschichte und für die anderen Aktionen wird Rozie, durchaus handfest, aktiv.

Diese Geschichte lebt von ihrem Hintergrund und dem Humor, der auf feine, ironische Art daher kommt. Very British eben! Dass es auch einen Kriminalfall gibt, gerät manchmal ein wenig in den Hintergrund. Aber ich habe mich prächtig unterhalten. Die Autorin flicht Begebenheiten, die man aus der Presse kennt in ihre Geschichte ein und der Leser bekommt so ein Gefühl der Authentizität.

Die kleinen Gastauftritte Prinz Philips sind immer besondere Highlights, denn man weiß ja, er nimmt nie ein Blatt vor den Mund. Wenn er Lilibeth fragt, ob er aus Schottland Toffees oder den Kopf von Nicola Sturgeon mitbringen soll, klingt das so ganz nach ihm

Der unterhaltsame Stil der Autorin hat mir viel Spaß gemacht, ich habe die Geschichte sehr genossen, allerdings besonders im weiteren Verlauf die Krimihandlung vermisst. Die kleinen Bemerkungen, die die Queen so ganz nebenbei fallen lässt, sollte man jedenfalls beachten, sonst geht der Faden in der zunehmend verwickelten Handlung mit einigen Nebensträngen verloren.

Es ist der erste Band der Autorin, ein zweiter wird per Leseprobe im Buch schon angekündigt.Auf die Entwicklung bin ich sehr gespannt, denn ich glaube, die Autorin hat ihr Potential hier noch nicht ganz ausgeschöpft.

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Veröffentlicht am 16.02.2021

Neuanfang zwischen Trümmern

Glückskinder
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Wenn ich mich mit einem gut recherchierten historischen Roman unterhalten möchte, ist Teresa Simon für mich inzwischen immer die erste Wahl! Sie verbindet immer sehr gelungen packende Frauenschicksale ...

Wenn ich mich mit einem gut recherchierten historischen Roman unterhalten möchte, ist Teresa Simon für mich inzwischen immer die erste Wahl! Sie verbindet immer sehr gelungen packende Frauenschicksale mit einem genau und lebendig wiedergegebenen Zeitbild.

Ihr neuester Roman „Glückskinder“ ist in München unmittelbar nach dem Ende des 2. Weltkriegs angesiedelt. Die Versorgungslage ist schwierig und Toni versucht so viel wie möglich auf dem Schwarzmarkt zu organisieren. Zusammen mit der Mutter und der Schwester lebt sie bei Tante Vev, genau wie eine weitere Tante und ihr Sohn. Man rückt eben zusammen weil die eigenen Wohnungen schon längst den Bomben zum Opfer fielen.

Griet van Mook hat als Zwangsarbeiterin den Krieg überstanden und auch den letzten Marsch aus dem Gefangenenlager überlebt. Entwurzelt strandet auch sie München und wird bei Tante Vev einquartiert. Es ist eine Zwangsgemeinschaft, Griet und Toni stehen sich sehr ablehnend gegenüber.

Ich bin immer wieder auf’s Neue erstaunt, wie lebendig Teresa Simon den geschichtlichen Hintergrund ihrer Romane gestaltet. Das setzt nicht nur Kopfkino in Gang, Immer wenn ich das Buch aufgeschlagen habe, bin ich auf einer Zeitreise gewesen und ganz in der Geschichte aufgegangen. Das setzt natürlich eine sorgfältige Recherche voraus und bei der Autorin, eine studierte Historikerin, kann man sich darauf verlassen. Dass dieses Buch in ihrer Heimatstadt München spielt, merkt man an den vielen kleinen Anekdoten, die diesen Frauenroman bereichern.

Die Geschichte ist emotional und aufwühlend erzählt, den Protagonisten und ihrem Schicksal konnte ich mich nicht entziehen, ich habe mit ihnen gehofft und gebangt. „Glückskinder“ bleiben sie trotz aller Schicksalsschläge, denn sie haben den Krieg überlebt und die Hoffnung auf einen Neuanfang nicht aufgegeben.

Teresa Simon hat ein Gespür dafür, ein Zeitbild zu entwickeln und die Leserinnen mitzunehmen, ihnen eine Welt nahezubringen, wie es einem reinen historischen Bericht nie gelingen kann. Das macht den verdienten Erfolg ihrer Bücher aus.

Der Verlag hat durch seine schöne Umschlaggestaltung dem Buch auch noch den passenden Rahmen mitgegeben.

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