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Veröffentlicht am 27.01.2021

Wahn oder Fantasie? Fiktion oder Realität?

Der Tod in ihren Händen
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Die 72-jährige Ich-Erzählerin Vesta ist eine kinderlose Witwe.
Sie lebt seit einem Jahr einsam und zurückgezogen am Rand eines Birkenwaldes in dem kleinen Industrieort Levant in Maine.
Sie hat sich dort ...

Die 72-jährige Ich-Erzählerin Vesta ist eine kinderlose Witwe.
Sie lebt seit einem Jahr einsam und zurückgezogen am Rand eines Birkenwaldes in dem kleinen Industrieort Levant in Maine.
Sie hat sich dort eine Hütte am Waldsee gekauft und damit nach langen Jahren des Hausfrauendaseins einen Neustart in der Wildnis gewagt.
Vesta erinnert sich oft an ihren verstorbenen Mann Walter, von dem sie klein gehalten und betrogen wurde und dessen Stimme sie nach wie vor verfolgt.
Eines Tages macht sie mit ihrem Hund Charlie einen Waldspaziergang und findet dabei einen geheimnisvollen Zettel, dessen Botschaft sie zutiefst beunruhigt:
„Sie hieß Magda. Niemand wird je erfahren, wer sie ermordet hat. Ich war es nicht. Hier ist ihre Leiche.“

Die Notiz lässt sie nicht los, sie muss die ganze Zeit daran denken.
Wer war Magda?
Wer hat sie ermordet?
Wo ist ihre Leiche? HIER, also in der Nähe des Fundortes des Zettels, ist sie nämlich nicht.

Vesta wittert einen Kriminalfall und will das Rätsel um die tote Magda lösen. Ein Plan, der sie aus der eintönigen Routine ihres langweiligen Alltags befreit.
In ihr Leben kommt Schwung und sie verfolgt nun mit Ehrgeiz ein Ziel.
Sie begibt sich in die öffentliche Bibliothek im nahen Bethsmane und fängt an, im Internet zu recherchieren. Bedauerlicherweise findet sie dort weder Hinweise noch Antworten.
... und deshalb lässt sie ihrer Phantasie freien Lauf. Oder ist es eine wahnhafte Entwicklung, die sich von nun an vollzieht?
Sie beginnt, sich alles mögliche vorzustellen, zusammenzureimen und auszumalen.
Sie kreiert eine Lebens- und Familiengeschichte für Magda, aus der sie eine Altenpflegerin macht und sie denkt sich einen Verdächtigen aus.
Sie wird zur Ermittlerin, die immer mehr in ihrer Gedankenwelt versinkt. Die Realität wird überlagert und tritt in den Hintergrund.
Schon bald drängt sich die Frage nach Vestas Geisteszustand auf.
Driftet sie in wahnhafte Vorstellungen ab?
Wird sie psychotisch?
Oder sind es schlicht tüttelige Fantasien, mit der die abgeschieden lebende alte Dame ihrer eintönigen Realität entflieht?

„Der Tod in ihren Händen“ ist absolut kein klassischer Kriminal- oder Detektivroman.
Wir tauchen vielmehr in eine brillant komponierte Geschichte ein, die mit einer guten Portion schwarzem Humor angereichert ist, die psychologisch interessant und stimmig tragische Abgründe sowie Entwicklungen sichtbar macht, die mit dem Leser spielt, ihn verstört und die ihn regelrecht an der Nase herumführt.

Ich empfehle diesen originellen und spannenden Roman der 1981 geborenen US-amerikanischen Autorin Ottessa Moshfegh sehr gerne weiter.

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Veröffentlicht am 26.01.2021

Eine tiefgründige Auseinandersetzung mit der brisanten Thematik der „alten Jungfer“.

Ungebunden
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„Ungebunden“ - Ein Buchtitel, der viele Assoziationen auslöst und mich deshalb unglaublich neugierig machte.
Freiheit und Unabhängigkeit sind Schlagwörter, die sich aufdrängen, aber kurz danach kommen ...

„Ungebunden“ - Ein Buchtitel, der viele Assoziationen auslöst und mich deshalb unglaublich neugierig machte.
Freiheit und Unabhängigkeit sind Schlagwörter, die sich aufdrängen, aber kurz danach kommen auch andere Gedanken auf: beziehungslos, haltlos, heimatlos, allein.

Malin Lindroth, zum Zeitpunkt der Entstehung des Textes im Jahr 2017 52 Jahre alt, erzählt in diesem persönlichen Werk sehr reflektiert, offen und ehrlich von schmerzhaften Erfahrungen und wirft dabei viele interessante Fragen auf.

Es geht dabei nicht nur um ihr unfreiwilliges Dasein als sog. „alte Jungfer“, das trotz der Fähigkeit, damit gut zurechtzukommen, zuweilen Verbitterung, Trauer und Neid bedingt, sondern auch um den Begriff an sich und um die Bedeutung dieses Beziehungsstatus im Verlauf der gesellschaftlichen Historie, vom Mittelalter bis Heute.

Malin Lindroth erzählt im Speziellen von ihrem unerfüllten Beziehungsleben und Singledasein. Sie hat viele Zurückweisungen und Enttäuschungen erlebt und musste immer wieder erleben, dass sich ihre Wünsche nicht erfüllen ließen.
Sie beschreibt damit einen Zustand bzw, eine Lebensform, der bzw. die vom Üblichen abweicht und deshalb von Vielen, auch zuweilen von ihr selbst, kritisch und abwertend beurteilt wurde.

Im Allgemeinen geht es aber auch um gesellschaftlichen Normen und Erwartungen, die nicht erfüllt werden und sie setzt sich damit auseinander, welche Folgen dieses Abweichen von der vermeintlichen Normalität hat.

Hat man einen Makel, für den man sich schämen muss?
Ist man ein Außenseiter, der nirgends dazu gehört und mit dem etwas nicht stimmt?
Ist man ein Versager oder eine Gescheiterte, weil man kein Leben im konventionellen Sinn lebt?
Ist es in Ordnung, ein anderes Lebenskonzept zu verfolgen?
Hat man einfach nur Pech, weil das Leben einem nicht gibt, was man sich wünscht, obwohl man es eigentlich verdient hätte?

Die Gründe für den Beziehungsstatus „Single“ sind vielfältig und komplex.
Es muss weder eine Beziehungsstörung vorliegen, noch muss es sich um eine freie Entscheidung handeln.
Es kann schlicht und ergreifend sein, dass es sich so ergeben hat, weil einem „die Liebe nicht über den Weg gelaufen ist“.

Der Autorin gelingt es bravourös, sich ernsthaft, ehrlich, ungeschönt und tiefgründig, aber auch mit Humor und v. a. sehr unterhaltsam mit dieser schmerzlichen, traurigen und gewichtigen Thematik auseinanderzusetzen.
Ihre Geschichte wird dabei zu einer kraftvollen und inspirierenden, letztlich auch optimistischen Geschichte.
Malin Lindroth ermutigt dazu, selbstbewusst zu sich zu stehen und sich von Schubladendenken, Vorurteilen, eigenen destruktiven Gefühlen und Gedanken, sowie von Abhängigkeiten zu befreien.

Ich empfehle dieses berührende, nachhallende und faszinierende Werk sehr gerne weiter.
Es soll den betroffenen Singlefrauen Mut machen und ihnen helfen, sich von inneren und äußeren Zwängen und Erwartungen zu befreien, es soll allen anderen Lesern die Augen öffnen und es appelliert an Toleranz. Leben und Leben lassen.

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Veröffentlicht am 25.01.2021

KI-anspruchsvoll, interessant, informativ und unterhaltsam präsentiert...

DAVE - Österreichischer Buchpreis 2021
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Raphaela Edelbauer setzt sich in ihrem zweiten Roman kompetent und differenziert mit einer vielschichtigen und brisanten Thematik auseinander:
Künstliche Intelligenz.

Dave.
Das ist der Name dieser künstlichen ...

Raphaela Edelbauer setzt sich in ihrem zweiten Roman kompetent und differenziert mit einer vielschichtigen und brisanten Thematik auseinander:
Künstliche Intelligenz.

Dave.
Das ist der Name dieser künstlichen Intelligenz, in die der Wissenschaftler und Programmierer Syz und ein gewaltiges und imposantes Forschungslabor ihre ganze Hoffnung setzen.
Dave der Erlöser.
Er soll die Menschheit retten.
Er soll all ihre Fehler ausmerzen.
Er soll sämtliche Probleme lösen.

Die Autorin lässt Welten ohne Umschweife, klar, ungeschönt und direkt aufeinanderprallen.
Auf der einen Seite stellen Technik, Technologie, Informatik, Physik und künstliche Intelligenz mit ihren Fremdwörtern und Fachbegriffen Repräsentanten der Sachlichkeit dar.
Fragen der Moral, Ethik, Philosophie und Psychoanalyse stehen als Repräsentanten der Menschlichkeit explizit oder zwischen den Zeilen auf der anderen Seite.

Sie erzählt ausgefeilt und elegant eine packende Geschichte und führt den Leser in eine eindrucksvolle, abenteuerliche, absurde und groteske Welt. Dabei kommt auch der Humor nicht zu kurz.
Während der Prolog hochpoetisch und zeitweise irritierend und verworren anmutet, ändert sich der Stil nach dem Prolog. Es wird nüchterner.

Wenn man zwischendurch verwirrt, verstört oder befremdet ist, dann ist das schlicht eine Übertragung der Komplexität der Thematik auf die eigene Gefühlsebene.

„Dave“ ist ein anspruchsvoller und informativer Pageturner mit Science Fiction- und Thrillerelementen, der zum Mit- und Nachdenken anregt und nachhallt.
Ich empfehle dieses Werk, das trotz komplexer Thematik gut lesbar und auch unterhaltsam ist, gerne weiter.

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Veröffentlicht am 24.01.2021

Unsere schwierige Gegenwart zur erschreckenden und erschütternden Dystopie ausgedehnt...

Die Zeit so still
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Ein tödliches Virus.
Beängstigendes Massensterben.
Absolute Ausgangssperre.
Völlige Ungewissheit.
Lähmende Eintönigkeit.
Zermürbende Warteposition.
Dringend einzuhaltende Regeln.
Verbote, Kontrolle und ...

Ein tödliches Virus.
Beängstigendes Massensterben.
Absolute Ausgangssperre.
Völlige Ungewissheit.
Lähmende Eintönigkeit.
Zermürbende Warteposition.
Dringend einzuhaltende Regeln.
Verbote, Kontrolle und Strafen.
Stählerne Staatstürschlösser, Überwachungskameras, Infektionswärter, Lauscher, Jäger und Drohnen.

Die in Aluminiumschalen verpackten, rationierten Mahlzeiten werden mit städtischen Fahrzeugen an die Haustür geliefert.

Max, ein melancholischer Mann tigert unruhig und hoffnungslos in seiner stillen Wohnung umher, hängt seinen Gedanken nach, schwelgt in Erinnerungen und wünscht sich die Normalität zurück.

Eines Nachts wird es ihm zu viel. Er nimmt das Risiko einer drastischen Strafe in Kauf und verlässt verbotenerweise die Wohnung. Gedankenverloren streift er durch die menschenleeren und unbeleuchteten Strassen, die von Tieren erobert wurden.

Plötzlich begegnet er einer tödlichen Gefahr: einem Kind.
Das Kind ist verletzt und braucht Hilfe...

Und schließlich landet Max in einer stehenden Straßenbahn, in der ein lesender Schaffner sitzt, der eine zu Herzen gehende Geschichte zu erzählen hat ...

Seitlich vom Text stoßen wir immer wieder auf stichworthafte Randnotizen, die Gedankenfetzen darstellen oder Stand und Nachrichten der alles kontrollierenden Obrigkeit mitteilen.
So entsteht Spannung, die sich zu der schaurigen, düsteren und melancholischen Atmosphäre der stummen Stadt dazugesellt.

Wir alle haben im Moment immer wieder mit beängstigenden und erschreckenden Dystopien in unserem Kopf zu kämpfen.
Der Gedanke liegt nahe, nicht auch noch in Romanen oder Novellen damit konfrontiert zu werden.
Auch ich verspürte zunächst einen gewissen Widerstand, zu dem Werk zu greifen.
Aber ich bin sehr froh darüber, es dennoch getan zu haben, denn ich wurde reich belohnt.

Sich auf diese poetische und originelle Weise mit der Materie auseinanderzusetzen und zum Nachdenken angeregt zu werden, war nicht nur unterhaltsam, sondern in gewisser Weise auch beruhigend, denn trotz allem Schwierigem, Einschränkendem und Beängstigendem ... wir sind noch weit entfernt von dieser Dystopie.

Den Ängsten bzw. beängstigenden Phantasien ins Auge zu blicken, sie durchzubuchstabieren und zu formulieren, macht sie etwas kleiner. Egal ob durch ein Gespräch oder durch Lektüre, eine konstruktive Auseinandersetzung hat das Potential, die Panik zu vermindern.

Ich empfehle dieses schmale, erschütternde, bewegende und tief berührende Bändchen, das von Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Offenheit, Vertrauen und Courage im sich immer mehr zuspitzenden Grauen erzählt, sehr gerne weiter.
Am Anfang gab es nur Leere, Verzweiflung und Distanz... am Ende kamen Nähe, Ruhe, Licht und das Gefühl von Freiheit dazu...

Ich bin beeindruckt.






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Veröffentlicht am 24.01.2021

Eine raffiniert komponierte, interessante und unterhaltsame Gesellschaftsstudie...

Das Verschwinden der Erde
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Die Autorin entführt uns mit ihrem Debütroman auf die vorwiegend von Russen, aber auch von Ureinwohnern bewohnte russische Halbinsel Kamtschatka.

Wir lernen zwei Bevölkerungsgruppen kennen, die nicht ...

Die Autorin entführt uns mit ihrem Debütroman auf die vorwiegend von Russen, aber auch von Ureinwohnern bewohnte russische Halbinsel Kamtschatka.

Wir lernen zwei Bevölkerungsgruppen kennen, die nicht immer wohlgesonnen nebeneinander her leben, sich nicht selten argwöhnisch gegenüber stehen und vor Konflikten und Vorurteilen nicht gefeit sind.

Julia Phillips erzählt, ausgehend vom Verschwinden zweier Schwestern in dieser dünn besiedelten Region, wortgewaltig einige spannende Geschichten, die mal mehr, mal weniger mit dieser Ausgangsgeschichte zu tun haben und in denen es um starke Frauen geht, die sich in der patriarchalen Gesellschaft Kamtschatkas behaupten und ihren Platz finden wollen.
Wir lesen aber auch von den Schwierigkeiten der benachteiligten Ureinwohner, von den Gefahren, denen Homosexuelle ausgesetzt sind, von emotionaler Zerrissenheit und von innerer Isolation.

Die Autorin legt verschiedene Puzzleteile auf den Tisch und lässt nach und nach ein überwiegend düsteres Bild daraus entstehen, in dem man aber auch Hoffnungsschimmer und Lichtblicke erkennen kann.
Die Geschichte der beiden Mädchen bildet dabei den Rahmen, kann aber auch als Zentrum gesehen werden, um das sich alles andere rankt.
Kunstvoll und raffiniert verwebt Julia Phillips die Einzelstücke nach und nach zu einem Ganzen.

An einem sonnigen Augustnachmittag verschwinden Sofija und Aljona spurlos, nachdem sie zu einem Fremden ins Auto gestiegen sind.
Dieses Ereignis bewegt und bestürzt die Bevölkerung und weckt Erinnerungen an ein Mädchen, das vor fast drei Jahren ebenfalls verschollen ist.
Die Ermittlungen der Polizei erscheinen nachlässig und fast schon gleichgültig.

Bereits im Prolog beweist die amerikanische Schriftstellerin, die ein Jahr lang auf dieser Halbinsel gelebt hat, ihr Feingefühl für zarteste Schwingungen und Spannungen in diesem fremden und noch jungen Staat.

Sie seziert die postsowjetische Gesellschaft am Beispiel dieser arktischen Region, die fernab der Metropole Moskau liegt und erzählt ungeschönt, klar und ohne Umschweife von den Lebensumständen ihrer Figuren und von den Besonderheiten und Strukturen dieser Kultur.

Sie zeichnet ihre Charaktere vielschichtig, so dass sie authentisch wirken und man sich ihnen nahe fühlt.

Auch die beeindruckende Landschaft mit ihrer überwältigenden Natur in der Weite der Tundra beschreibt sie anschaulich, so dass sie vor dem geistigen Auge zum Leben erweckt wird.

Ich empfehle diesen wunderbaren, herausragenden und außergewöhnlichen Debütroman der 1988 geborenen Julia Phillips sehr gerne.
Er stand auf der Shortlist des National Book Award 2019 und hat mich berührt und tief beeindruckt.

Er ist übrigens meines Erachtens bei weitem kein Thriller, eine Vermutung, die durch den Klappentext bzw. durch ein Zitat auf der Rückseite des Buches geschürt werden könnte, sondern viel eher eine fesselnde, unterhaltsame, informative und damit bereichernde Gesellschaftsstudie mit Thrillerelementen, die auf den letzten Seiten für erhebliche Spannung und Überraschung sorgen.

Es ist ein gelungenes Porträt einer männerdominierten Gesellschaft nach dem Zusammenbruch und während ihres Wiederaufbaus.
Der Zusammenbruch ist noch nicht verdaut und die Wiederherstellung bzw. Neuformation vollzieht sich mühsam und schleppend.

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