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Veröffentlicht am 06.05.2019

Eine große Erzählstimme

Bella Ciao
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Bella Ciao – Raffaella Romagnolo

Nach einem halben Jahrhundert kehrt Giulia Masca als wohlhabende Frau nach Italien zurück. Damals war sie nach dem großen Verrat ihres Verlobten Pietro und ihrer besten ...

Bella Ciao – Raffaella Romagnolo

Nach einem halben Jahrhundert kehrt Giulia Masca als wohlhabende Frau nach Italien zurück. Damals war sie nach dem großen Verrat ihres Verlobten Pietro und ihrer besten Freundin Anita Hals über Kopf in die USA ausgewandert. Während sie es dort zu Wohlstand brachte (American Dream) und mit ihrer Familie in Frieden leben konnte, litten die in Italien Zurückgebliebenen, während zweier Kriege große Not.

Dieser Roman zeichnet sich durch sehr dichte und atmosphärische Erzählweise aus. Die Autorin erzählt sprachgewaltig und dramatisch vom Leben zweier starker Frauen und ihrer Familien in einer unruhigen Zeit in Italien und am Rande auch Amerika. Dabei werden dem Leser die politischen Begebenheiten und typischen Schicksale der einfachen Landbevölkerung nahegebracht. Ich fühlte mich während der Lektüre inspiriert, das ein oder andere Detail was geschichtliche Hintergründe des 20. Jahrhunderts betrifft, zu recherchieren.

Dabei ist diese Geschichte durchaus anspruchsvoll zu lesen. Das liegt am einen an oben bereits erwähnten politischen Zusammenhängen, zum Anderen, springt die Erzählstimme zwischen den Zeiten und auch den verschiedenen Perspektiven und das zum Teil mitten im Absatz. Wenn man sich erstmal eingelesen hat, ist dies aber durchaus logisch und nachvollziehbar, handelt es sich doch um die Erinnerungen von Giulia. Außerdem gibt es unheimlich viel Personal, kein Wunder, schließlich werden fünfzig Jahre abgehandelt und die Geschichte von zwei Familien erzählt. Bei der Orientierung hilft allerdings ein Stammbaum, der auch zweimal aktualisiert wird.

Ein Zusammentreffen der beiden Frauen findet erst im letzten Abschnitt statt. Im Rückblick geht es auch gar nicht primär um dieses Treffen sondern vielmehr um eine berührende und fesselnde Rückschau auf die Leben zweier starker Frauen, die sich einst so nah wie Schwestern waren, deren Schicksale dann aber höchst unterschiedlich verliefen.
So werden dem Leser Not und Leid in Zeiten des Krieges eindrucksvoll vor Augen geführt. Sowohl auf der Seite der jungen Männer, die in den Krieg ziehen müssen, als auch auf der Seite der zurückbleibenden Frauen, Alten und Kinder. Emotional, ohne auf die Tränendrüse zu drücken oder in Kitsch abzugleiten.

Ein sehr lesenswertes und lehrreiches Buch, durch die Sprachgewalt der Autorin wirkt es sehr dominant. Einmal angefangen, kann man sich dem Zauber kaum noch entziehen.

Zum Schluss noch eine Anmerkung zur Bedeutung des Titels „Bella Ciao“. Diesen sehr passenden Titel hat der Diogenes Verlag dem Roman verpasst. Ursprünglich wurde er nämlich unter dem Namen „Destino“ in Italien veröffentlicht.
Die Melodie des Liedes Bella ciao wurde bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von ausgebeuteten Arbeiterinnen gesungen. Es beklagt die harten Arbeitsbedingungen unter der stechenden Sonne. Weltweit bekannt wurde das Lied in seiner Adaption durch die Resistenza, der italienischen Widerstandsbewegung gegen den Faschismus während des Zweiten Weltkrieges. (Quelle: Wikipedia)

Veröffentlicht am 06.05.2019

Von der Liebe zur Literatur

Die verborgene Bibliothek
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"Denn wenn jede Bibliothek eine Autobiographie ist, dann ist das Wegräumen der Bücher, als würde man seine eigene Todesanzeige verfassen." Seite 62

Viele Bibliotheken hat er schon aufgebaut und besessen. ...

"Denn wenn jede Bibliothek eine Autobiographie ist, dann ist das Wegräumen der Bücher, als würde man seine eigene Todesanzeige verfassen." Seite 62

Viele Bibliotheken hat er schon aufgebaut und besessen. In Paris, London und Tahiti, viele weitere hat er besucht, die argentinische Nationalbibliothek in Buenos Aires leitet Alberto Manguel seit 2016.
Aus verschiedenen Gründen musste er immer wieder seine Zelte abbrechen, die jeweilige Bibliothek in Kisten verpacken und darauf hoffen, seine Schätze eines Tages an einem anderen Ort wieder auszupacken. An einen ebensolchen Umzug erinnert sich Manguel in diesem Buch. Er verpackt und schweift dabei immer wieder ab, in die Geschichte des Buches und der Literatur, in verschiedene Werke und die Erinnerungen, die er damit verbindet.

Der Leser spürt richtiggehend die Liebe, die der Autor seinen Büchern und der Literatur im Allgemeinen entgegenbringt und den Glauben, dass jedes Buch seine eigene Seele hat.

Buchliebhaber werden sich sehr oft selbst wiedererkennen. Wie gut kennen wir den Drang, zu sammeln und zu ordnen, zu sortieren und zu horten.
Manguel entführt uns nun in die großen und berühmten Bibliotheken der Welt. Alexandria darf nicht fehlen, sogar Kapitän Nemos Bibliothek auf der Nautilus wird erwähnt.

Sehr gelehrt und oft poetisch führt der Autor querbeet durch Wissenswertes aus der Welt der Bücher. Das Wunderbare daran ist der eingängige und angenehme Schreibstil. Ein Muss für alle Bibliophilen! Dabei ist Manguel kein Unbekannter in diesem Genre. Bekannt wurde er bereits mit „Eine Geschichte des Lesens“. Logisch, dass dieses Buch nun auch auf meiner Wunschliste steht.

Veröffentlicht am 23.04.2019

Nicht sehr überzeugend

Einer wird sterben
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Einer wird sterben - Wiebke Lorenz

Auf der Straße parkt tagelang ein Auto, mit zwei Insassen darin, die meist stundenlang ins Leere starren. Was allen Anwohnern seltsam vorkommt, ist für Stella ein riesiges ...

Einer wird sterben - Wiebke Lorenz

Auf der Straße parkt tagelang ein Auto, mit zwei Insassen darin, die meist stundenlang ins Leere starren. Was allen Anwohnern seltsam vorkommt, ist für Stella ein riesiges Problem. Ihr Mann Paul ist als Pilot beruflich unterwegs und kaum erreichbar. Stella reagiert geradezu panisch auf das parkende Auto. Der Grund dafür liegt in der Vergangenheit. Es scheint, als würde die Wahrheit nun mit aller Macht an die Oberfläche drängen.

Leicht und locker lesbar, hatte ich diesen Psychothriller innerhalb kürzester Zeit durch. Insgesamt fand ich ihn etwas sehr flach und zu eindimensional gestrickt. Andererseits gibt es wieder Handlungsstränge, die ins Leere laufen.
Die Geschichte selbst fand ich zwar interessant, teilweise auch spannend, für einen Thriller reicht mir das aber nicht. Vielmehr plätschert die Handlung vor sich hin. Ein Teil der Auflösung war für mich schon sehr früh offensichtlich, den Rest fand ich etwas übertrieben. Aber auch das nicht so spannend, das es die Bezeichnung „Psychothriller“ verdient hätte…

Ein weiterer Kritikpunkt: die Protagonistin Stella ist total nervig. Sie ist extrem unselbstständig und psychisch abhängig von ihrem Mann, wie ein kleines Kind. Unerträglich. Im weiteren Verlauf der Handlung fand ich einige ihrer Verhaltensweisen auch unlogisch, aber das mag mit der Auflösung am Ende zu erklären sein.

Insgesamt nett zu lesen, wirklich überzeugend fand ich es aber nicht.


Veröffentlicht am 23.04.2019

Ein Sittengemälde

Die Farben des Feuers
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Die Farben des Feuers - Pierre Lemaitre

Der Rundumschlag einer leidgeprüften Frau. Ein etwas zähes Stück Literatur.

Vor dem Hintergrund des nahenden Zweiten Weltkrieges in Paris, geht die unerfahrene, ...

Die Farben des Feuers - Pierre Lemaitre

Der Rundumschlag einer leidgeprüften Frau. Ein etwas zähes Stück Literatur.

Vor dem Hintergrund des nahenden Zweiten Weltkrieges in Paris, geht die unerfahrene, frisch gebackene Alleinerbin Madeleine Pericourt kurz nach dem Tod ihres Vaters einem Komplott auf den Leim. Das Bankimperium der Familie ist dem Untergang geweiht. Doch Madeleine ist eine Kämpferin, vor allem kämpft sie für ihren querschnittsgelähmten Sohn Paul, für seine Zukunft. Sie kommt wieder auf die Beine, um dieses Mal ihren ganz persönlichen Rachefeldzug zu planen.

Dieser Roman ist durchaus anspruchsvoll, was die Verflechtung des umfangreichen Personals betrifft. Etliche Finanz- und steuerrechtliche Fragen, die für die Handlung von Bedeutung sind, werden dagegen oft nur sehr oberflächlich angerissen und kaum erklärt. Insgesamt wirkte das ein oder andere Detail im Handlungsverlauf für mich dann doch sehr konstruiert. Emotional fühlte ich mich leider nicht mitgenommen.

Die teils antiquiert wirkende Sprache und die ungewöhnliche Art, den Leser mehr oder weniger direkt anzusprechen sind anfangs recht gewöhnungsbedürftig. Später sorgen die vielen französischen Namen für mehr Verwirrung. Leider fehlt hier ein entsprechendes Namensverzeichnis.
Außerdem sind mir sehr viele Klischees aufgefallen, die zwar der Zeit entsprechen, irgendwie aber doch unpassend wirken und mich störten.

Sämtliche Charaktere bleiben insgesamt distanziert, zum Großteil unsympathisch und nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Einzig Paul ist für ein Kind geradezu unglaubwürdig vernünftig und geduldig. Die größte Entwicklung macht zweifellos Madeleine durch, zumindest beginnt sie, selbst die Strippen zu ziehen.

Insgesamt konnte mich dieser Roman leider nicht wirklich begeistern. Zu zäh, vieles blieb mir fremd. Nichtsdestotrotz bietet er ein gutes Sittengemälde des Paris vor dem Zweiten Weltkrieg und viele gute Ansätze.

Veröffentlicht am 08.04.2019

Traurig und schön

Der Postbote von Girifalco oder Eine kurze Geschichte über den Zufall
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Der Postbote von Girifalco - Domenico Dara

Kalabrien, in den 70er Jahren. Unser Postbote, wenigstens einen Vornamen erfahren wir erst auf der allerletzten Seite, besitzt eine besondere Gabe. Er kann Handschriften ...

Der Postbote von Girifalco - Domenico Dara

Kalabrien, in den 70er Jahren. Unser Postbote, wenigstens einen Vornamen erfahren wir erst auf der allerletzten Seite, besitzt eine besondere Gabe. Er kann Handschriften perfekt imitieren. Er lebt sehr zurückgezogen und hat damit einen Weg aus der Einsamkeit gefunden. Anfangs öffnet und liest er die Briefe, die er zustellt. Bald schreibt er viele davon ab und archiviert sie. Schließlich greift er ab und an auch ins Geschehen ein und spielt Schicksal. Wobei er es immer nur gut meint.

Besonders beeindruckend ist die Stimmung des Romans. Innerhalb kürzester Zeit fühlt man sich zurückversetzt in ein Italien vor fünfzig Jahren, mit Wäscheleinen auf Balkonen und vielen interessanten, oft schrulligen Charakteren. Das Cover ist toll!
Gerade am Anfang fällt aber der Einstieg aufgrund der vielen italienischen Namen und des etwas sprunghaften Erzählstils nicht leicht.
Die einzelnen Geschichten der Dorfbewohner lassen zuerst kaum Verbindungen erkennen. Vielmehr scheint sich alles nur um den augenscheinlich doch recht passiven Postboten im Mittelpunkt zu drehen. Tatsächlich hat dieser kaum ein eigenes Privatleben, vielmehr versucht er heimlich an den Leben der Anderen teilzunehmen. Er nimmt eindeutig eine Beobachterrolle ein.
Zufall spielt ebenso, wie es der Titel bereits erkennen lässt, eine wichtige Rolle. Der Postbote ist ein sehr nachdenklicher Typ, der viel Zeit hat und über alles Mögliche Listen führt. So auch über diverse Zufälle, die ihm begegnen, bzw. die er miteinander in Verbindung bringt.

Es dominiert eine tief melancholische, wehmütige Grundstimmung. Im Hintergrund lauern nämlich die Schatten zweierlei tieftrauriger Liebesgeschichten. Atmosphäre sehr gut getroffen, poetisch, tiefsinnig und literarisch großartig. All das hat mir sehr gut gefallen.

Dennoch habe ich auch Kritikpunkte. So habe ich wirklich sehr lange gebraucht, bis ich mich mit dem umfangreichen Personal einigermaßen zurechtgefunden habe (das Personenverzeichnis am Buchende ist mir erst nach der Lektüre aufgefallen).
Der sehr ruhige Plot beinhaltet doch etliche Längen.

Eine hervorragende Idee, interessant umgesetzt, jedoch fehlt dem Ganzen der Pep.