Ein Krieg zwischen dem Sturm und Drang und der Romantik
Anatomie der WolkenGoethe, bereits die 60 überschritten, kann sich mit seinem Alter einfach nicht abfinden. Er hält sich nicht für alt und möchte denen, die ihn aufgrund seines letzten Werkes senil schimpfen und ihm nahelegen, ...
Goethe, bereits die 60 überschritten, kann sich mit seinem Alter einfach nicht abfinden. Er hält sich nicht für alt und möchte denen, die ihn aufgrund seines letzten Werkes senil schimpfen und ihm nahelegen, endlich in den Ruhestand zu treten, mundtot machen und sich selbst etwas beweisen. In diesem Werk von Lea Singer ist Goethe ausnahmsweise mal nicht der brilliante Dichter und schöpfer unzähliger Werke, die den Sturm und Drang prägten, sondern ein eitler, alter Mann, der nicht begreift, dass er seinen Zenit überschritten hat, unzählige Affären mit wesentlich jüngeren Frauen unterhält, obwohl er verheiratet ist und seine Ehefrau mehr als stiefmütterlich behandelt, weil sie ihm, angeblich durch ihre Kleingeistigkeit, den Raum zum Denken und kreativ werden nimmt. Der Goethe in diesem Buch macht den Eindruck, die Welt müsse sich um ihn drehen und nur er, er allein, kennt die allumfassende Wahrheit der Naturgesetze.
Und dann ist da Caspar David Friedrich, in seinen Dreißigern, nichts anderes im Sinn außer wandern gehen und Wolken malen, die er liebt. Er lebt in bescheidenen Verhältnissen und muss sich von seinem Bruder Geld schicken lassen, damit er sich weiterhin Künstlerbedarf leisten kann. Friedrich ist leicht aufbrausend, verwendet gern und häufig das Wort Scheiße, ist aber direkt und bescheiden. Und wesentlich sympathischer als der Goethe in diesem Buch.
Apropos Goethe: Der kann pertout nicht verstehen, weshalb neuerdings alle von Friedrich schwärmen, der in seinen Augen ein Nichts darstellt, ein dummer Romantiker, aus dem, wenn es nach Goethe geht, niemals etwas werden kann. So schickt er Louise Seidler, eine junge Künstlerin, die er fördert und in seinen Ansichten unterweist, zu diesem Wolkenmaler, um ihn auf den Zahn zu fühlen. Diese schließt Friedrich aber in ihr Herz und freundet sich mit ihm an. Der wiederrum hilft der Seidler, weil sie zwar die Begabung besitzt, Personen zu porträtieren, jedoch keine Wolken malen kann. Schon bald steht die arme Louise zwischen den Ansichten der beiden genialen Männer und weiß nicht, wem sie loyal sein soll. Als Goethe dann in einem Anfall von Wut und Neid Friedrichs Bilder an der Tischkannte zerschlägt und Friedrich das durch einen Zufall auch noch beobachtet, ist das Chaos perfekt. Als Friedrich sie fragt, warum in aller Welt Goethe das getan hat, flieht die Seidler aus der unangenehmen Situation und verschließt sich vorerst vor beiden Herren.
Als Goethe ein Jahr später beschließt, dass er ein wissenschaftliches Buch über Wolken herausbringen will, wird ihm klar, dass er Friedrich für die Zeichnungen benötigt und schickt die Seidler vor, um den aufbrausenden Romantiker für Goethes Zwecke anzuheuern. So diplomatisch Louise Seidler auch an die Sache herantritt, so sehr stößt sie Friedrich auch vor den Kopf, denn dieser sieht sich von ihr verraten und macht ihr schließlich klar, dass er für den eitlen Goete, der seine Werke schlechtgeredet und zerstört hat, nicht einen Pinselstrich schwinge. Damit endet die Freundschaft zwischen Friedrich und Seidler und auch das Buch.
Als Fan von Caspar David Friedrich´s Bildern, musste ich das Buch unbedingt gelesen haben. Sowohl der Stil, als auch die Dramatis personae haben mich sehr angesprochen. Besonders gut fand ich, wie Lea Singer die Eitelkeiten Goethe´s und das Temperament Friedrichs herausgearbeitet hat. Ich kann dieses Buch nur allen empfehlen und gebe deshalb 5 Sterne.