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Veröffentlicht am 04.06.2020

Ein Wiedersehen mit alten Bekannten

Dunkles Lavandou (Ein-Leon-Ritter-Krimi 6)
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Junge Frauen verschwinden und tauchen nach Tagen als Selbstmordopfer wieder auf. Nichts, was eine eingehende kriminalistische Untersuchung rechtfertigen würde. Wäre das nicht Leon Ritter, der Rechtsmediziner ...

Junge Frauen verschwinden und tauchen nach Tagen als Selbstmordopfer wieder auf. Nichts, was eine eingehende kriminalistische Untersuchung rechtfertigen würde. Wäre das nicht Leon Ritter, der Rechtsmediziner aus Deutschland, den es vor fünf Jahren in den Süden Frankreichs verschlagen hat und der mittlerweile die Leichenfunde für die Polizei in Le Lavandou überprüft. Alle Frauen weisen grässliche Verletzungen auf, was ihn vermuten lassen, dass sie vor ihrem Tod brutal misshandelt worden sind. Allerdings steht er mit dieser Meinung auf ziemlich verlorenem Posten, einzig in Isabelle, Capitaine der Polizei und seine Lebensgefährtin, hat er eine Verbündete. Als aber die Tochter des Kulturministers, die mit einer Freundin in dem Küstenstädtchen Urlaub gemacht hat, verschwindet, sind die Verantwortlichen endlich bereit, Ritter zuzuhören und einzugestehen, dass das Böse in der Maske des Biedermanns auch am Fuße des Massif des Maures existiert.

Obwohl ich kein großer Fan von Urlaubskrimis bin, liebe ich diese Reihe und verfolge sie bereits seit Beginn. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen sind da die wunderbaren Landschaftsbeschreibungen, zum anderen die authentischen Schilderungen des Alltagslebens in einer südfranzösischen Kleinstadt. Die Szenen in Leons Stammbistro Chez Miou (und dort insbesondere seine liebenswerte Boule-Partnerin Veronique), sein skurriler Kollege Rybaud in der Rechtsmedizin in Saint Sulpice, das Schlendern über den Wochenmarkt oder die Turniere auf dem Bouleplatz. Urlaubsgefühl pur. Aber auch das familiäre Leben von Leon, Isabelle und Lilou, das immer wieder für eine Überraschung gut ist, weckt Interesse und vermittelt fast schon ein Gefühl des Wiedersehens mit alten Bekannten.

Dazu kommt in diesem Band eine wohl austarierte, spannende Krimihandlung, die nicht nur Leons Nachforschungen und Untersuchungen beschreibt (ok, das mit dem Ypsilonschnitt hätte nicht so häufig erwähnt werden müssen) sondern uns auch die Sicht der Opfer präsentiert. Die Entlarvung des Täters war allerdings nun nicht wirklich überraschend, aber das sehe ich dem Autor nach, hat er mir mit diesem Krimi doch eine unterhaltsame Auszeit unter südlicher Sonne beschert.

Veröffentlicht am 29.05.2020

Dokumentation eines ambitionierten Projektes

Bin im Garten
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Es ist ein ambitioniertes Projekt, das Meike Winnemuth in „Bin im Garten“ beschreibt. Herausforderungen nicht abgeneigt, kauft sie ein vernachlässigtes, lediglich aus Rasen und Hecke bestehendes Grundstück ...

Es ist ein ambitioniertes Projekt, das Meike Winnemuth in „Bin im Garten“ beschreibt. Herausforderungen nicht abgeneigt, kauft sie ein vernachlässigtes, lediglich aus Rasen und Hecke bestehendes Grundstück nahe der See mit einem spartanischen Häuschen und beschließt, für ein Jahr der Stadt den Rücken zu kehren. Ihr Plan ist die Selbstversorgung, das Erschaffen eines farbenprächtigen Paradieses gepaart mit Nutzpflanzen, das Leib und Seele nährt.

Sie holt sich Tipps aus Gartenbüchern und bei den Profis im In- und Ausland, bewegt Unmassen von Erde, sät, pflanzt und wässert. Natürlich gibt es Rückschläge. Die Schnecken, die übernacht ihren Jungpflanzen den Garaus machen, sintflutartige Regenfälle, die das Gelände in zähen Morast verwandeln, die Hitzewelle, die über das Land rollt und den Boden austrocknet. Aber sie macht weiter, gibt nicht auf, freut sich an der Farbenpracht der Blühpflanzen und genießt jede murmelgroße Kartoffel und jeder Handvoll Schnittsalat, die auf ihrem Teller landet.

Begleitend führt sie während des Jahres ein Tagebuch, in dem sie ihr Leben und Arbeiten am und im Projekt Garten dokumentiert und lässt uns so hautnah die Herausforderungen miterleben, denen sie sich stellt bzw. stellen muss.

Wer aber nun einen informativen Gartenratgeber mit Pflanztipps für den Hobbygärtner erwartet, wird enttäuscht sein. „Bin im Garten“ ist der subjektive Erfahrungsbericht einer Kopfarbeiterin ohne berufliche und familiäre Verpflichtungen mit ausreichend monetärer Sicherheit, die sich, im wahrsten Sinn des Wortes, auf unbekanntes Terrain vorwagt. Unterhaltsam und inspirierend - so man es sich denn leisten kann.

Veröffentlicht am 17.05.2020

Heiiloses Durcheinander

Das Gesicht des Bösen
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Man könnte vermuten, ich sei masochistisch veranlagt, weil ich Kathy Reichs Tempe Brennan-Thriller noch immer verfolge, hat deren Qualität doch schon seit längerem stark nachgelassen. Aber da ich die Reihe ...

Man könnte vermuten, ich sei masochistisch veranlagt, weil ich Kathy Reichs Tempe Brennan-Thriller noch immer verfolge, hat deren Qualität doch schon seit längerem stark nachgelassen. Aber da ich die Reihe seit Beginn verfolge, war auch der neue Band Pflichtprogramm, verbunden mit der Hoffnung, die Autorin hätte wieder zu alter Stärke zurückgefunden.

Leider hat sich das nicht bewahrheitet. Natürlich ist ein neurochirurgischer Eingriff, wie ihn die Protagonistin über sich ergehe lassen musste, eine beängstigende Erfahrung, aber dass dieser eine forensische Anthropologin in ihren Grundfesten so erschüttert, dass sie ihrem eigenen Urteil nicht mehr vertraut, scheint mir dann doch etwas unwahrscheinlich. Zweifel und Migräneanfälle wären ja noch ok, aber Nahtoderfahrungen und Halluzinationen hätten nicht auch noch sein müssen.

Ich habe längere Zeit gebraucht, bis ich einen roten Faden in der Story gefunden habe, denn es waren einfach zu viel, was die Autorin zusätzlich zu den Fortsetzungen des Privatlebens der Protagonistin (unfähige Vorgesetzte, helfende Kollegen und natürlich Ryan) angerissen hat. Der mysteriöse Toten, die verschwundenen Kinder, Geheimdienstaktivitäten, Verschwörungstheorien, das Darknet plus, wie immer, die forensischen Details – jedes dieser Themen für sich hätte das Potenzial für einen eigenen Thriller gehabt. Hätte, hat aber nicht, denn der vorherrschende Eindruck war/ist der eines heillosen Durcheinanders.

Alte Stärke? Mitnichten. Vielleicht ist es jetzt doch an der Zeit, Abschied zu nehmen.

Veröffentlicht am 15.05.2020

Wer hoch steigt, wird tief fallen

Spiegel und Licht
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Englische Geschichtsschreiber/Historiker sind schon eine seltsame Spezies. Beeinflusst vom Zeitgeist wurde ein Richard I. (Löwenherz) jahrhundertelang idealisiert, Richard III. hingegen in Grund und Boden ...

Englische Geschichtsschreiber/Historiker sind schon eine seltsame Spezies. Beeinflusst vom Zeitgeist wurde ein Richard I. (Löwenherz) jahrhundertelang idealisiert, Richard III. hingegen in Grund und Boden verdammt. Ähnliches widerfuhr auch Thomas Cromwell, dem schillernden Staatsmann und mächtigen Ratgeber Heinrichs VIII., der in Hilary Mantels Tudor-Reihe im Mittelpunkt steht.

„Spiegel und Licht“ ist der abschließende Band der Trilogie und richtet den Fokus auf die letzte Lebensjahre Cromwells, beginnend nach der Hinrichtung Anne Boleyns 1536, an deren Sturz er maßgeblich beteiligt war. Zuerst gilt es für ihn, denn sein König braucht eine neue Gefährtin, eine die ihm endlich den ersehnten Thronfolger schenkt. Cromwells Hilfe ist wieder einmal gefragt. Jane Seymour erfüllt die Erwartungen hinsichtlich der Geburt des männlichen Nachkommens, aber sie stirbt im Kindbett. Anna von Kleve, Ehefrau Nr. 4, erfüllt Heinrichs Erwartungen allerdings nicht, und diesen „Missgriff“ verzeiht er Cromwell nicht. Dessen Macht schwindet nun Tag für Tag, aber man fragt sich, ob er, geblendet von Aufstieg und Position, das nicht sieht oder nicht sehen will. Sich nicht vorstellen kann, dass sich sein König, gegen ihn wenden wird. Wie es endet ist bekannt. Die Gunst seines Königs verloren, der für ihn „Spiegel und Licht der Christenheit“ ist, wird er des Hochverrats und der Ketzerei angeklagt und schuldig gesprochen und muss schließlich 1540 den Gang zum Schafott antreten.

Hilary Mantel lässt uns mit ihrer Cromwell/Tudor-Trilogie tief in die englische Renaissance eintauchen. Natürlich hält sie sich an die verbrieften Daten und Ereignisse, vermeidet aber dabei das kitschig-romantisierende Klischee, das fast allen historischen Romanen anhaftet. Ihr Cromwell ist zwar ein Mann ohne Skrupel, wenn es um die Unterstützung des Königs geht, hat aber auch eine Vision, die sich aus dem Erlebten speist. England soll besser werden, und deshalb bedarf es einer Erneuerung der Kirche, um damit den Einfluss des Papstes zurückzudrängen.

Da die Autorin im Präsens schreibt und die Ereignisse aus Cromwells subjektiver Sicht schildert, kann der Leser hautnah teilhaben, ist mittendrin, bewegt sich mit dem Protagonisten in dieser spannenden Epoche, teilt dessen Gedanken.

Allen nachdrücklich empfohlen, die sich, wenn auch nur ein bisschen, für die englische Geschichte interessieren. Momentan gibt es im Bereich des literarischen Historienromans nichts Besseres!

Und ich lehne mich jetzt nicht weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass auch dieser abschließende Band, wie bereits die beiden Vorgänger, mit dem Booker Prize ausgezeichnet wird.

Veröffentlicht am 10.05.2020

Eine Verbeugung vor den Klassikern

Die unglaubliche Flucht des Uriah Heep
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Auf Streife mit Harry Bosch, eine Kneipentour mit John Rebus? Eine faszinierende Vorstellung, literarischen Figuren im wirklichen Leben zu begegnen, oder? Das mag sich auch die neuseeländische Autorin ...

Auf Streife mit Harry Bosch, eine Kneipentour mit John Rebus? Eine faszinierende Vorstellung, literarischen Figuren im wirklichen Leben zu begegnen, oder? Das mag sich auch die neuseeländische Autorin H.G. Parry gedacht haben, als sie ihren Erstling „Die unglaubliche Flucht des Uriah Heep“ geschrieben hat, eine fantastische Reise in die Welt der Klassiker.

Im Zentrum stehen der Literaturprofessor Charley Sutherland und dessen Bruder Rob sowie zahlreiche fiktive Protagonisten. Rob ist immer wieder damit beschäftigt, Charley vor Schwierigkeiten zu bewahren, in die ihn dessen außergewöhnliche Fähigkeit bringt, denn dieser kann Romanfiguren heraufbeschwören. Ein nicht ganz ungefährliches Talent, wie sich im Verlauf des Romans zeigen wird. Und offenbar auch nicht so einzigartig wie gedacht, denn offenbar gibt es noch jemanden mit dieser Fähigkeit, und der ist Charley ganz und gar nicht wohlgesonnen und verfolgt seine eigenen Pläne.

Wer nun glaubt, ein Kinder-/Jugendbuch vor sich zu haben, irrt, denn dazu sind die literarischen Verweise einfach zu offensichtlich. Im Wesentlichen sind das die Klassiker des Viktorianischen Zeitalters, wie Brontë, Conan Doyle, Wilde und Gaskell mit ihren Protagonisten. Werke/Personen aus anderen Epochen sind zwar auch vertreten, allerdings in der Regel nur als schmückendes Beiwerk, wobei der Schwerpunkt, wie bereits der Titel erahnen lässt, auf den Werken und Figuren – siehe der schurkische Uriah Heep – von Charles Dickens liegt.

Wer nun eine staubtrockene Vorlesung in Literaturgeschichte befürchtet, dem sei versichert, das ist es beileibe nicht. Im Gegenteil. Parry macht durch ihre brillante, fantasie- und humorvolle, aber dennoch fundierte Schreibe, richtig Lust darauf, die Klassiker aus dem Regal zu holen, zu entstauben und (wieder einmal) darin zu schmökern.

Ein fantastisches Leseerlebnis im wahrsten Sinn des Wortes, dem ich viele Leser wünsche. Nachdrücklich den Kennern der obengenannten Autoren empfohlen, aber auch (und gerade) denjenigen, die mit deren Werken nicht vertraut sind und/oder bisher eine Scheu vor Dickens und Co. hatten.