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Veröffentlicht am 12.02.2020

Zwei Epochen, zwei Frauen und der Palais de la Femme

Das Haus der Frauen
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Der „Palais de la Femme“ ist eine Institution in Paris, ein historisches Gebäude im 11. Arrondissement und wird noch heute von der Heilsarmee betrieben. Ein Haus, das Frauen, die aus den verschiedensten ...

Der „Palais de la Femme“ ist eine Institution in Paris, ein historisches Gebäude im 11. Arrondissement und wird noch heute von der Heilsarmee betrieben. Ein Haus, das Frauen, die aus den verschiedensten Gründen an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden, Obdach bietet und den Hintergrund für Laetitia Colombanis zweiten Roman bildet.

Es ist die Geschichte der Blanche Peyron, einer Frau aus bürgerlichen Verhältnissen, die ihre Berufung im Kampf gegen die soziale Ungerechtigkeit findet. Als Mitglied der Heilsarmee kommt sie in jungen Jahren nach Paris, wo sie sich gegen alle Widerstände behauptet und in der Organisation ihren späteren Mann kennenlernt, der sie in all ihren Belangen vorbehaltlos unterstützt. Das Elend der obdachlosen Frauen in den Straßen der französischen Metropole lässt sie nicht los, und so fasst sie den utopischen Plan, genug Geld aufzutreiben, um ein zum Verkauf stehendes Gebäude mit 743 Zimmern (!) zu erwerben und zu renovieren. Gegen alle Widerstände kann sie mit Hilfe ihrer Organisation und zahlreichen Spenden dieses utopische Projekt realisieren, sodass 1926 der „Palais de la Femme“ seine Tore öffnet und ab dieser Zeit bis heute Frauen ein Zuhause bietet.

Zurück in die Gegenwart: Solène, eine erfolgreiche Anwältin, erleidet nach dem Selbstmord eines Mandanten einen Nervenzusammenbruch. Nach längerem Aufenthalt in der Psychiatrie quält sie sich noch immer mit Selbstvorwürfen. Ihren Beruf hat sie aufgegeben, isoliert sich und kann trotz Medikamenten ihren Alltag kaum bewältigen. Um sie ins Leben zurück zu führen, rät ihr Therapeut ihr zu sozialem Engagement. Widerwillig lässt sie sich auf diesen Vorschlag ein und nimmt eine ehrenamtliche Stelle als Schreiberin im Haus der Frauen an. Anfangs eher zögerlich setzt sie sich mit den Lebensgeschichten der Bewohnerinnen auseinander. Allesamt Frauen, die schwere Zeiten hinter sich haben, deren Leben von Flucht, Misshandlungen, Obdachlosigkeit, Vergewaltigungen geprägt war, die an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden und nun hier einen Zuflucht gefunden haben. Diese Arbeit zwingt sie dazu, gegen alle Widerstände ihre Komfortzone zu verlassen, Empathie zu entwickeln, Solidarität zu spüren und auf diesem Weg auch wieder zu sich selbst zu finden.

Der Originaltitel des Buches lautet „Les Victorieuses“, die Siegerinnen, und ja, starke Frauen sind sie allesamt. Blanche, Solène, die Frauen im Palais. Sie waren zwar nicht auf Rosen gebettet und wurden von widrigen Lebensumständen in die Knie gezwungen, aber sie haben nicht aufgegeben, sich gestellt, gewehrt, Unterstützung gefunden. Natürlich lief es nicht immer glatt, gab es Rückschläge, aber dennoch sind sie als Siegerinnen aus dem Kampf hervorgegangen.

Ist „Das Haus der Frauen“ deshalb ein feministischer Roman? Ja, in der Tat, das ist er. Colombani rückt unterschiedliche Themen durch die persönlichen Geschichten der Bewohnerinnen in den Fokus: Die Bereitschaft der Frauen, den Erwartungen/Wünschen von Eltern und Partnern bis hin zur Selbstverleugnung zu entsprechen. Ihre eigenen Träume zu vergessen. Sie spricht die Vergewaltigungen obdachloser Frauen und die Nicht-Wahrnehmung dieser Verbrechen in der Öffentlichkeit an. Die rituellen Verstümmelungen kleiner Mädchen. Die Misshandlungen in der Ehe, die mit einem Schulterzucken abgetan werden. Die Namenlosigkeit derer, denen man einen Platz in der Gesellschaft verwehrt.

Ein Roman, der die Leserin nachdenklich zurücklässt. Sehr empfehlenswert

Veröffentlicht am 11.02.2020

Alles Hoffen vergebens - England und der Brexit

London Calling
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Bis Herbst 2018 hatte ich noch Hoffnung. Hoffnung, dass ein zweites Referendum den Brexit verhindern würde. Hat sich leider nicht erfüllt. Nun bleiben nur noch die Erinnerungen an die britische Insel, ...

Bis Herbst 2018 hatte ich noch Hoffnung. Hoffnung, dass ein zweites Referendum den Brexit verhindern würde. Hat sich leider nicht erfüllt. Nun bleiben nur noch die Erinnerungen an die britische Insel, aber vor allem an die Themse-Metropole, an die ich wie die Autorin mein Herz verloren habe.

In „London Calling“ nimmt uns die ARD-Korrespondentin und Wahl-Londonerin mit in ihre Wahlheimat, und obwohl die Hardcover-Ausgabe des Buches bereits 2017 erschienen ist, hat diese Sicht auf das Vereinigte Königreich, dessen Menschen und den Brexit nichts von der Aktualität verloren, wobei die kürzlich erschienene Taschenbuch-Ausgabe um ein ausführliches Vorwort ergänzt wurde, das auf die politischen Ereignisse Bezug nimmt und deutlich zu verstehen gibt, was sie von dem aktuellen Premierminister hält. Und ja, ihre Einschätzung kann ich in sämtlichen Punkten teilen.

Annette Ditterts zeigt uns ihre Wahlheimat zwar aus der liebevollen Sicht einer Insiderin, aber als „Zugereiste“ immer mit der nötigen und auch scharfsichtigen Distanz. Es geht ihr dabei nicht um die touristischen Sehenswürdigkeiten, im Gegenteil. Es sind Innenansichten. Über das Leben in London, über die Eigenarten und Weltsicht der Engländer, über die Veränderungen, die die Planlosigkeit der Brexiters mit sich bringen wird, über Ängste und Hoffnungen. Sie zeigt uns eine Gesellschaft, die noch immer von nahezu undurchlässigen Klassenschranken qua Herkunft und Besitz geprägt ist. Ein Land, das sich noch immer nicht von seiner glorreichen Vergangenheit als Kolonialmacht verabschiedet hat.

Sie nimmt uns unter anderem mit auf eine Reise in den Norden, nach Hull, ehemals prosperierend, mittlerweile aber das Armenhaus Englands. Wo die Menschen den Raubtierkapitalisten, „denen da unten“ einen Denkzettel verpasst haben. Und in den Peak District, wo ein verarmter Baronet mit ausgeprägtem Standesdünkel Münzen aus dem Brunnen fischt, um seine Verbindlichkeiten bei der Bank zu reduzieren.

Die Autorin schaut hinter die Kulissen, spart bewusst die Hot Spots aus, richtet ihr Augenmerk auf die Londoner Viertel, die sich noch etwas von ihrer Ursprünglichkeit bewahrt haben, die glücklicherweise noch nicht gentrifiziert sind und/oder von Touristen überrannt werden (bestes Beispiel hierfür Notting Hill). Das East End, Spitalfields, die Brick Lane, hier spürt man noch am ehesten die Vergangenheit jenseits von dem Schwelgen in den Kolonialismus- und Empire-Fantasien vieler Engländer.

Natürlich ist die Brexit-Thematik allgegenwärtig, und wenn das Buch zuschlägt, hat man zumindest eine Ahnung, was zum Ausgang des Referendums und auch zur Wahl Boris Johnsons geführt hat. Aber auch wenn man versteht, bleibt die Wehmut. Und der Abschiedsschmerz.

Veröffentlicht am 06.02.2020

Was wäre geschehen, wenn...?

Feindesland
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Wie hätte sich die Historie entwickelt, wenn Nazi-Deutschland den Krieg gewonnen hätte? Diese Frage scheint im englischsprachigen Raum so manchen Autor zu beschäftigen, man denke nur an Robert Harris‘ ...

Wie hätte sich die Historie entwickelt, wenn Nazi-Deutschland den Krieg gewonnen hätte? Diese Frage scheint im englischsprachigen Raum so manchen Autor zu beschäftigen, man denke nur an Robert Harris‘ „Vaterland“. Nun also auch C.J. Sansom, den Lesern hierzulande vor allem durch seine Tudor-Krimis mit Matthew-Shardlake bekannt.

„Feindesland“ spielt in England Anfang der fünfziger Jahre. Noch ist die Welt nicht aufgeteilt, Russland befindet sich noch immer im Krieg mit Deutschland. England hingegen hat kapituliert und steht unter deutscher Besatzung. Deren Kontrolle ist allgegenwärtig, die Repressalien nehmen zu, nicht nur gegenüber der jüdischen Bevölkerung. Die Regierung hat keinerlei Entscheidungsbefugnis mehr, ihre Vertreter verkommen zu Marionetten der Nationalsozialisten. Einzig Winston Churchill will sich mit diesen Umständen nicht abfinden. Er ergreift die Initiative und organisiert im Geheimen den Widerstand. Immer mehr Menschen scharen sich um ihn, auch ein Beamter der Regierung, nicht wissend, dass ihnen bereits die Häscher der Nazis auf den Fersen sind.

Sansoms Romane, sowohl die Shardlake-Reihe als auch „Winter in Madrid“, zeichnen sich immer wieder durch die atmosphärischen Beschreibungen aus, und bereits nach wenigen Seiten fühlt man sich an den jeweiligen Handlungsort versetzt. So auch hier, zumal der Autor auch reale Ereignisse wie z.B. den Londoner „Todesnebel“ von 1952 einbezieht, wodurch die Schilderungen wesentlich anschaulicher erlebt werden.

Auch die verschiedenen Protagonisten und ihre Motivationen sind allesamt sehr gut und detailliert ausgearbeitet, jeder mit seiner besonderen Geschichte und Funktion in diesem Roman. Ob das nun der desillusionierte Beamte ist, der zum Spion wird, seine Frau, die um jeden Preis ein Geheimnis bewahren muss, der in der Psychiatrie festgehaltene Freund, dessen Wissen, so es denn in falsche Hände gerät, verheerende Folgen haben könnte, oder der Menschenjäger der Gestapo, der sie aufspüren soll.

Die Geschichte ist nicht linear erzählt, sondern wechselt zwischen einzelnen Personen, Ereignissen und Zeit hin und her. Zum einen erfordert das die erhöhte Konzentration des Lesers, zum anderen hemmt es leider auch immer wieder den Erzählfluss. Aber das ist Mäkeln auf hohem Niveau, denn alles in allem ist „Feindesland“ ein spannender und interessanter Roman darüber, inwieweit bestimmte Entscheidungen den Lauf der Historie beeinflussen und gegebenenfalls ins Gegenteil hätten verkehren können.

Veröffentlicht am 03.02.2020

Eine gewöhnliche Frau in einer außergewöhnlichen Situation

Was sie nicht wusste
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Eine Frau hat eine Affäre, wird per SMS von ihrem Liebhaber in dessen Wohnung gebeten, findet ihn dort tot in einer Blutlache vor. Polizei informieren ist keine Option, denn überall in der Wohnung gibt ...

Eine Frau hat eine Affäre, wird per SMS von ihrem Liebhaber in dessen Wohnung gebeten, findet ihn dort tot in einer Blutlache vor. Polizei informieren ist keine Option, denn überall in der Wohnung gibt es Hinweise auf ihre Anwesenheit. Was macht sie? Schnappt sich den Eimer und die Bleiche und fängt an zu putzen. Beseitigt Fingerabdrücke, verstaut ihre dort deponierten Klamotten und Toilettenartikel in einer Mülltüte, damit keine Verbindung zu ihr hergestellt werden kann. Aber natürlich entwickelt sich die gesamte Aktion völlig anders als beabsichtigt.

Soweit, so bekannt. Schon zigmal gelesen. Auf den ersten Blick nichts Neues. Aber was Nicci Gerard und Sean French aus diesem Ausgangsszenario machen, verdient in der Tat einen zweiten Blick, und das liegt vor allem an der Hauptfigur Neve. Eine ganz normale Frau, Ende vierzig, doppelt belastet durch Beruf und Familie, quasi Alleinverdienerin, verheiratet mit einem mäßig erfolgreichen Illustrator, drei pubertierende Kinder, deren geregeltes Leben durch den Tod des Liebhabers und ihre nachfolgende Vertuschungsaktion gehörig auf den Kopf gestellt wird, denn eine Lüge zieht die nächste nach sich. Die Situation gerät außer Kontrolle, und ihr altes Leben steht auf der Kippe. Wusste vielleicht doch jemand aus ihrem nahen Umfeld Bescheid? Familienmitglieder? Freunde?

Ein wesentliches Kennzeichen der Thriller des Autorenduos ist zum einen die detaillierte und glaubwürdige Charakterisierung der Personen, zum anderen der sezierende Blick auf das Verhalten derselben in Extremsituationen. Dazu dann noch, wie bereits aus anderen Büchern der beiden bekannt und erwartet, das Versprechen, gänzlich unerwartete Wendungen zu beschreiben, die zusätzlich Spannung generieren. Das lösen sie ohne Frage ein, und zwar so gekonnt, dass selbst eine Vielleserin ziemlich lange braucht, um die Zusammenhänge zu erkennen. Gut gemacht!

Veröffentlicht am 01.02.2020

Blick zurück ohne Zorn

Wie Frau Krause die DDR erfand
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Isabella Krause ist vom Fach. Nein, sie betreibt keine Casting-Agentur, sie ist eine eher erfolglose Schauspielerin, aufgewachsen in der ehemaligen DDR, die sich mit kleinen Rollen über Wasser hält. Die ...

Isabella Krause ist vom Fach. Nein, sie betreibt keine Casting-Agentur, sie ist eine eher erfolglose Schauspielerin, aufgewachsen in der ehemaligen DDR, die sich mit kleinen Rollen über Wasser hält. Die Rolle der fürsorglichen Mutter bekommt sie bei einem Vorsprechen nicht, dafür überträgt ihr der Produktionsleiter eine Aufgabe, die so schwer nicht sein kann. Im Rahmen einer Dokumentation anlässlich des dreißigsten Jahrestages der Wiedervereinigung hätte er gerne Statements von Zeitzeugen aus dem Osten, und Frau Krause soll diese ausfindig machen. Nur dumm, dass die Menschen, die sie in ihrer ehemaligen Heimat findet, so gar nicht dem Klischee der Westdeutschen entsprechen. Keine Berichte über Mangel und Indoktrination, sondern eher wehmütige Rückblicke auf den Alltag vor dem Mauerbau.

Kathrin Aehnlich ist eine versierte Autorin, die mit viel Empathie und Augenzwinkern die Klischees, die noch immer in den Köpfen existieren, aufs Korn nimmt. Kommentare von Unten zu individuellen Lebensläufen, zu einem normalen Alltag, der sich dann doch nicht so gravierend von dem der Menschen im Westen unterschieden hat. Ein kleiner Roman, der für das bessere Verstehen auf beiden Seiten wirbt.