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HenrietteFriederike

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Veröffentlicht am 01.08.2024

Dieses Buch erhellt, macht nachdenklich, gar wütend, aber stimmt auch hoffnungsvoll.

Beklaute Frauen
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Was haben die Kernphysikerin Lise Meitner, die entscheidende Beiträge zur Entdeckung der radioaktiven Kernspaltung leistete, die Biochemikerin Rosalind Franklin, die die menschliche DNA entschlüsselte, ...

Was haben die Kernphysikerin Lise Meitner, die entscheidende Beiträge zur Entdeckung der radioaktiven Kernspaltung leistete, die Biochemikerin Rosalind Franklin, die die menschliche DNA entschlüsselte, die Autorin Mary Shelley, die Frankenstein schreib und die feministische Aktivistin Olympe de Gouges, die für Menschenrechte für alle eintrat, gemeinsam? Sie sind Frauen – und wurden für ihre Erfolge nie so gefeiert wie ihre männlichen Kollegen!

Vielmehr noch: ihr Einfluss wurde aus der Geschichte radiert, für ihre Leistungen bekamen Männer die Auszeichnungen. Sie wurden von Männern gebremst, ausgenutzt und ihrer Chancen beraubt. In ihrem Sachbuch „Beklaute Frauen“ stellt die Historikerin Leonie Schöler, die unter anderem auf Instagram und TikTok unter @heeyleonie Geschichtswissen vermittelt, einige der unsichtbaren Heldinnen der Geschichte vor. Sie zeigt auf, wie Denkerinnen, Künstlerinnen oder Politikerinnen im Schatten ihrer Ehemänner, Väter, Vorgesetzten oder Kollegen in Vergessenheit geraten sind.

Klug analysiert die Autorin, wie Hochzeit und Kinder die Frauen ausbremste, wie systematische Bevorteilung von Männern die Geschichtsschreibung nach wie vor beeinflusst und Macht dadurch reproduziert wird: Wer vergibt Stipendien an wen, wer bestimmt über Auszeichnungen, wer verteilt Forschungsprojekte? Sie zeigt, warum und wie weibliche, aber auch Schwarze, migrantische, behinderte, queere Leistungen unsichtbar gemacht wurden und werden.

Das Sachbuch ist dicht und geht facetten- und kenntnisreich auf verschiedene Zeiten und europäische Länder ein. Die einzelnen Biographien stehen nicht lose nebeneinander, sondern werden kontextualisiert und in einen Zusammenhang gestellt. Es geht nicht um Einzelschicksale, sondern um ein diskriminierendes System. Ein wichtiges Buch, das Pflichtlektüre werden sollte und aufgrund seiner lebendigen Sprache auch nicht langweilig zu lesen ist!

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Veröffentlicht am 12.01.2024

informativ, wichtig, gut

Der verschwiegene Völkermord
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Vergessen, verschwiegen, nostalgisch verklärt, gerühmt oder traumatisch? Die Beschäftigung mit der deutsch-tansanischen Kolonialgeschichte könnte unterschiedlicher und widersprüchlicher nicht sein. Wie ...

Vergessen, verschwiegen, nostalgisch verklärt, gerühmt oder traumatisch? Die Beschäftigung mit der deutsch-tansanischen Kolonialgeschichte könnte unterschiedlicher und widersprüchlicher nicht sein. Wie gut, dass sich diese Neuerscheinung dem gewichtigen Thema widmet. Der Soziologe und Journalist Aert van Riel fokussiert dabei den Umgang
mit dem Maji-Maji-Krieg und führte Interviews mit Betroffenen, Aktivistinnen, Wissenschaftlerinnen, Museumsmitarbeiterinnen sowie Politikerinnen.

„Der verschwiegene Völkermord“ versteht sich als Kompaktinformation, die zunächst auf den Verlauf des Maji-MajiAufstands eingeht, um danach dessen Auswirkungen bis heute zu beleuchten. Geschätzte 150.000 bis 300.000 Tote haben die Diskussion ausgelöst, ob der Krieg als „Völkermord“ zu werten ist. Durch die brutale „Politik der verbrannten Erde“ sind viele tausend Ostafrikaner*innen verhungert oder verloren ihr Obdach. Die gezielte Zerstörung der landwirtschaftlichen Flächen hatte zudem schwerwiegende ökologischen Konsequenzen: Buschland und Wild breiteten sich rasant aus, und der Touristenmagnet Nyerere-(ehemals Selous-)Nationalpark konnte somit nur deshalb entstehen, erklärt van Riel, dass nach dem Krieg weite Flächen für Menschen unbewohnbar blieben. Auch heute noch gilt als koloniales Erbe, dass die Regionen Südtansanias (also Schauplätze des Maji-Maji-Kriegs) im Vergleich zum Rest des Landes arm sind, sich durch höhere Kindersterblichkeit und niedriges ProKopf-Einkommen auszeichnen. Gleichzeitig ist der Widerstand, der auf Swahili „Befreiungskrieg“ (Vita vya Ukombozi) heißt, dank der Vereinigung vieler Volksgruppen gegen die Kolonialmacht ein kostbares historisches Vermächtnis für das tansanische Ideal der
nationalen Einheit.

Bei Riels Buch irritieren stellenweise Verallgemeinerungen, ungeachtet ihrer Komplexität einseitige Darstellungen der Geschehnisse sowie inhaltliche Abschweifungen. Schade ist außerdem, dass zivilgesellschaftliches Engagement, etwa von Seiten des Tanzania Networks oder Berlin Postkolonial nicht stärker Erwähnung findet, sondern vor allem aufgezeigt wird, was in Deutschlands Umgang mit der Kolonialgeschichte nicht getan wird.

Insgesamt ist „Der verschwiegene Völkermord. Deutsche Kolonialverbrechen in Ostafrika“ eine kompakte und interessante Lektüre, die zum Allgemeinwissen und – wie der Reihentitel „Neue kleine Bibliothek“ suggeriert – in jeden Bücherschrank gehören sollte. Die Kapitel sind flüssig geschrieben und enthalten keine bloße Aufreihung von Fakten und Jahreszahlen, sondern viele anschauliche Fallbeispiele, Personenbeschreibungen und Beziehungen von damals zu heute. Dennoch ist der Text kurz und knackig.

Fazit: informativ, wichtig, gut! Wer sich also eingehender mit dem kolonialen Erbe beschäftigen möchte, dem sei die dieses Buch wärmstens empfohlen.

(Diese Rezension erschien zuerst im HABARI 04/2023 "Schulpartnerschaften" des Tanzania Network e.V., S.65-68)

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Veröffentlicht am 16.08.2023

Endlich! Liebevolles, ausführliches und hübsches Tansania-Kochbuch

Eine kulinarische Reise durch Tansania
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Endlich! Bislang gab es noch kein deutschsprachiges Kochbuch speziell für die tansanische Küche, sondern lediglich englische oder ganz Afrika umfassende Ausgaben, die einige wenige Speisen aus Sansibar ...

Endlich! Bislang gab es noch kein deutschsprachiges Kochbuch speziell für die tansanische Küche, sondern lediglich englische oder ganz Afrika umfassende Ausgaben, die einige wenige Speisen aus Sansibar vorstellten. Die Tansanierin aus Österreich, Vera Lifa Seiverth, unternimmt in diesem farbenfrohen Band eine kulinarische Reise durch das abwechslungsreiche Angebot Tansanias. Die Rezepte für Pilau (Gewürzreis), Kochbananencurry sowie Fruchtlimonaden und süße Schleckereien zeigen auch die indischen, arabischen und europäischen Einflüsse auf die Landesküche. Für jeden Geschmack ist etwas zu finden: Scharfes, Würziges, Süßes, fruchtig Frisches.

Die Autorin gibt Tipps zu den Zutaten, die im deutschsprachigen Raum nur schwer zu bekommen sind, und schlägt Alternativen vor. Jedes einzelne Gericht wird kommentiert und mit wissenswerten Fakten ergänzt. Außerdem schreibt sie eine kurze Einführung über einheimische traditionelle Esskulturen. Die anschaulichen Bilder lassen einem das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Fazit: Ein schönes Kochbuch für alle, die in Deutschland die tansanische Küche vermissen, und Fern- bzw. Heimweh haben. In diesem Sinne: Karibu chakula na mlo mwema! ( Willkommen zum Essen und guten Appetit!)

Rezension zuerst erschienen im HABARI-MAGAZIN 02/2020 des Tanzania Network e.V.

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Veröffentlicht am 16.08.2023

"*Das Denkmal zum Nachdenkmal machen" - ein Ringen über die angemessene Auseinandersetzung mit dem Kolonialerbe

Stand und Fall.
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Hermann von Wissmann war als Reichskommissar und Gouverneur in Deutsch-Ostafrika beteiligt an Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt. Er ist bekannt als „Löwe von Afrika“ und gilt als mutiger Held, weil ...

Hermann von Wissmann war als Reichskommissar und Gouverneur in Deutsch-Ostafrika beteiligt an Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt. Er ist bekannt als „Löwe von Afrika“ und gilt als mutiger Held, weil er als erster Deutscher den afrikanischen Kontinent durchquerte. An ihn erinnern nicht nur zahlreiche Bücher und Straßennamen. Für „den großen Afrikaner“ wurden auch zwei Denkmäler gestiftet: in seiner Geburtsstadt Bad Lauterberg und in Daressalam.

Ursprünglich in Ostafrika errichtet, später nach Hamburg verschifft, gestürzt, wieder aufgestellt, beschmiert, Proteste und Debatten auslösend, glorifiziert, weggeräumt, vergessen: Die wechselvolle Geschichte des Monuments aus Tansania steht im Mittelpunkt des Buches „Stand und Fall – Das Wissmann-Denkmal zwischen kolonialer Weihestätte und postkolonialer Dekonstruktion“ von Hannimari Jokinen, Flower Manase und Joachim Zeller.

Für viele sind die Denkmäler Orte der Erinnerung und Gedenkveranstaltungen – so in Bad Lauterberg, wo das zweite Ehrenmal noch immer seinen Platz hat. Andere Stimmen befürworten zwar das Stehenlassen des umstrittenen Objekts, aber nur, wenn Infotafeln über den brisanten Hintergrund aufklären. Wieder andere sprechen sich für die Entfernung der Statue aus dem öffentlichen Raum aus oder wünschen zumindest eine kritischere wissenschaftliche und künstlerische Auseinandersetzung.

Das Denkmal zum Nachdenkmal machen, fordert die Künstlerin Hannimari Jokinen mit ihrem Projekt www.afrika-hamburg.de. Der Sammelband stellt die Aktion vor und wirft verschiedene Fragen auf: Wem wird ein Denkmal gesetzt und wem nicht? Wo gibt es weitere koloniale Spuren in Ostafrika und Deutschland? Und welchen Anspruch stellt die tansanische Politik?

Die einzelnen Beiträge sind interessant: Historische Forschung wird mit künstlerischen und zivilgesellschaftlichen Perspektiven ergänzt. Die Texte sind klar verständlich geschrieben. Einiges wiederholt sich jedoch. Andere Aspekte haben nur entfernt mit dem Thema „Wissmanndenkmal“ zu tun und hätten auch weniger seitenfüllend dargelegt werden können. Eindrucksvolle Schilderungen und Fotografien von Zeitzeugen sowie Tenzi (Swahili-Gedichte) lockern die einzelnen Kapitel auf. Ein Highlight ist der Beitrag über koloniale Bauwerke und Denkmäler im heutigen Tansania.

Bei der Lektüre wird exemplarisch an der Person Hermann von Wissmann erkennbar, wieviel Leid und Gewalt die Deutschen nach Ostafrika brachten und mit welcher Ignoranz und Überheblichkeit sie herrschten. Das Buch zeigt: Es bleibt ein Ringen um Erinnerung und Vergessen. Eine angemessene Auseinandersetzung mit dem Kolonialerbe muss von Deutschen und Tansanier:innen gemeinsam bewältigt werden.

Rezension zuerst erschienen in HABARI 03/2022 "Sprachen" vom Tanzania-Network.e.V.

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Veröffentlicht am 16.08.2023

Großartige Zusammenstellung und Analyse entwicklungspolitischer Verflechtungen zwischen Tansania, Ost- und Westdeutschland in den 1960er bis 1990er Jahren

In Diensten des Afrikanischen Sozialismus
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Entwicklungspolitische Verflechtungen zwischen Tansania, Ost- und Westdeutschland in den 1960er bis 1990er Jahren zeigt der Historiker und Afrikanist Eric Burton (Universität Innsbruck) in seiner Doktorarbeit ...

Entwicklungspolitische Verflechtungen zwischen Tansania, Ost- und Westdeutschland in den 1960er bis 1990er Jahren zeigt der Historiker und Afrikanist Eric Burton (Universität Innsbruck) in seiner Doktorarbeit auf. Er beschreibt welche Rolle Entwicklung für den Aufbau des Afrikanischen Sozialismus spielte und wie die Zusammenarbeit im Spannungsverhältnis von Kaltem Krieg, Dekolonisierung und konkurrierenden Sozialismen aus Ost und Süd funktionierte. Dafür sichtete er deutsche und tansanische Archive, wälzte unzählige Akten der außen- und entwicklungspolitischen Institutionen und führte mehr als einhundert Interviews.

Die Leser:innen erfahren interessante Hintergründe über die Ujamaapolitik Nyereres, die Revolution in Sansibar, Dar es Salaam als Zentrum für afrikanische Unabhängigkeitsbewegungen sowie ost- und westdeutsche Systemkonkurrenz auf tansanischem Boden. Außerdem beschreibt der Autor den Wandel von wirtschaftlichen und außenpolitischen Interessen zu entwicklungspolitischer Solidarität und Zusammenarbeit.

Die Entwicklungszusammenarbeit stand stets in der Kritik: in Tansania hatte man Angst vor einer kapitalistischen bzw. kommunistischen Beeinflussung, durch bestimmte Projekte wurden (neokoloniale) Abhängigkeiten geschaffen, andere Vorhaben wurden nicht gut zu Ende geführt und verkamen zu Projektruinen. Außerdem wollte man als blockfreies Land nicht zwischen die Fronten des Kalten Krieges geraten. Gleichzeitig fehlte es nach der Unabhängigkeit 1961 auf dem tansanischen Festland bzw. 1964 auch auf Sansibar an einheimischen Expert:innen. Die Rekrutierung ausländischer Fachkräfte sowie die Ausbildung von Tansanier:innen im Ausland waren zwei vielversprechende Problemlösungsstrategien.
Das Buch gibt einen tiefen Einblick in die entwicklungspolitische Szene der 60er bis 90er Jahre, insbesondere lenkt es den Blick auf Akteure wie Berater:innen, Entwicklungshelfer:innen kirchlicher, politischer und wirtschaftlicher Institutionen, entsandte Fachkräfte (z.B. Ärzt:innen oder Lehrkräfte) und tansanische Studierende in DDR und BRD. Es zeigt Beispiele interkultureller Begegnung und Lernprozesse ebenso wie Hierarchien und Probleme.

Für eine Dissertation ist die Sprache verständlich; es bleibt aber als historisches Sachbuch kein lockeres Lesevergnügen. Da einzelne Beispiele vertieft dargestellt werden, ziehen sich einige Kapitel in die Länge.

Nichtsdestotrotz: Aufgrund der zahlreichen Quellen gibt das Buch einen breiten Überblick und interessante weiterführende Literaturhinweise. Geschickt verknüpft Eric Burton politische, geschichtliche und individuelle Dimensionen zu einem Netz jenseits von Vorurteilen und den starren Kategorien „Süd“, „West“ und „Ost“. Die Leser:innen werden auf imposanten 600 Seiten auf komplexe, dynamische Wechselbeziehungen in der entwicklungspolitischen deutsch-deutsch-tansanischen Zusammenarbeit aufmerksam gemacht.

Rezension zuerst erschienen im HABARI-MAGAZIN 01/2023 des Tanzania Network e.V.

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