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Veröffentlicht am 30.12.2018

Kriegskindheit

Eine italienische Kindheit
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Geboren wurde der kleine Roberto in Catania auf Sizilien, wo er auch seine Kindheit verlebte. Im Alter von etwa acht Jahren sah er zum ersten Mal einen Deutschen und erlebte eine deutsche Truppenparade, ...

Geboren wurde der kleine Roberto in Catania auf Sizilien, wo er auch seine Kindheit verlebte. Im Alter von etwa acht Jahren sah er zum ersten Mal einen Deutschen und erlebte eine deutsche Truppenparade, deren Akkuratesse ihn tief beeindruckte. Hier wurde wohl der Grundstein für seine Liebe zu Deutschland gelegt. Als die Bombenangriffe auf Catania durch britische Flugzeuge zunahmen, übersiedelte die Familie zuerst nach Lucca in der Toskana, später nach Rom, wo der Vater mehr Sicherheit vermutete. Das war ein Irrtum, denn bei einem Angriff durch amerikanische Flugzeuge verlor sein älterer Bruder das Leben. Jetzt durfte Roberto seinen Vater auf Geschäftsreisen durch das besetzte Italien begleiten. Dabei stießen sie gelegentlich auf deutsche Soldaten, die aber immer freundlich zu ihnen waren. Auch wenn er zwischenzeitlich von den Gräueltaten der Deutschen gehört hatte, seine Bewunderung zur deutschen Kultur blieb bestehen und sollte sein weiteres Leben entscheidend beeinflussen …

Der italienische Historiker und Schriftsteller Roberto Zapperi (geb. 1932 in Catania auf Sizilien) studierte Geschichte und Kulturanthropologie in Rom, war als Professor in Paris, Berlin und Hamburg tätig und ist seit 2008 Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt. Er veröffentlichte mehrere Bücher und wurde hauptsächlich durch seine historischen Werke zu Goethe und einiger berühmter Maler bekannt. Zapperi ist mit der deutschen Kunsthistorikerin Ingeborg Walter verheiratet, die auch seine Bücher ins Deutsche übersetzt. Heute lebt er als Privatgelehrter in Rom.

In gedämpft plauderndem Erzählstil, dennoch sehr eindringlich und in plastischen Bildern, berichtet der Autor hier von seiner Kindheit auf Sizilien und in Italien während des Zweiten Weltkrieges. Er bezieht sich dabei auf seine eigenen Erinnerungen und auf geschichtliche Überlieferungen. Wir lesen von einem Sizilien, das damals noch recht mittelalterlich anmutete, von der Großmutter, die als Heilerin, Zauberin und Hexe großes Ansehen genoss und von einem Vater der alles versuchte, seine Familie heil durch die Kriegswirren zu bringen. Auch die Gräueltaten aller am Krieg beteiligten Mächte, die er als Junge teilweise selbst miterlebte oder von denen er aber meist erst im Nachhinein erfuhr, werden nicht ausgelassen. Obwohl er viel später erkennen musste, dass seine Bewunderung für die deutschen Besatzungsmächte ein Irrtum war, blieb Zapperis Interesse an Deutschland, seine Liebe zur deutschen Kultur und zur deutschen Sprache ungebrochen.

Fazit: Eine packende Geschichte über das Leben in Italien während er Kriegs- und Nachkriegsjahre und eine heimliche Liebeserklärung an Deutschland.

Veröffentlicht am 26.12.2018

Ausgeträumt …

Mein Sardinien
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Er hatte sich das Leben in Berlin Ende der 70er-Jahre anders vorgestellt, der Germanistik-Student aus Westfalen, lebhafter und unterhaltsamer. Bisher ist jedoch nichts interessant für ihn, weder seine ...

Er hatte sich das Leben in Berlin Ende der 70er-Jahre anders vorgestellt, der Germanistik-Student aus Westfalen, lebhafter und unterhaltsamer. Bisher ist jedoch nichts interessant für ihn, weder seine Abschlussarbeit, an der er gerade schreibt, noch seine WG in Schöneberg. Auch die Abende haben nicht viel zu bieten. Sein Job als Türschließer in der Berliner Philharmonie würde ihm schon gefallen, wenn er denn die Konzerte anhören dürfte – aber das ist nicht erlaubt. Die Tage dümpeln so vor sich hin bis er eines Nachts, entgegen seiner Gewohnheit, eine italienische Bar betritt und dort Cristina kennen lernt, eine junge Frau aus Sardinien. Er verliebt sich sofort in sie, und, für ihn selbst überraschend, wird aus den beiden bald ein Paar. Als dann Cristina nach Sardinien zurück will, um im Gartenbaubetrieb ihres Bruders mitzuarbeiten, ist unser Student nur zu gerne bereit mitzukommen. Er kann sich durchaus vorstellen, zukünftig in Berlin zu studieren und auf Sardinien mit Cristina das Leben zu genießen. Ob sich seine Träume wohl verwirklichen lassen … ?

Hans-Ulrich Treichel, geb. 1952 in Versmold/Westfalen, studierte an der FU Berlin Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft und promovierte 1984, war dann an den Universitäten Salarno und Pisa Lektor für deutsche Sprache. 1993 habilitierte er sich und lehrte als Professor bis 2018 am Deutschen Literaturinstitut der Universität Leipzig. Hans-Ulrich Treichel schrieb zahlreiche Romane, Gedichte und Essays, wofür er einige namhafte Auszeichnungen und Ehrungen erhielt. Seine Werke wurden in 28 Sprachen übersetzt. Heute lebt Treichel in Berlin und Leipzig.

Als Ich-Erzähler versucht hier der Autor, seine Erlebnisse, Gefühle und Sehnsüchte gegen Ende der 70er-Jahre dem Leser nahe zu bringen. Während ihm dies beim Erleben (er beschreibt exakt jede Straße, jedes Ladenlokal und selbst die Stationen und Nummern der Buslinien) manchmal nur zu gut gelungen ist, konnte ich mich in seine Gefühle absolut nicht hinein versetzen. Von inniger Liebe zwischen Cristina und ihm konnte ich nichts zu spüren, es war allenfalls ein gewisses Begehren vorhanden. Bei den Sehnsüchten nach dem ‚Land wo die Zitronen blühen‘ bezieht sich Treichel hauptsächlich auf Zitate früherer berühmter Italienreisenden, wie Johann Wolfgang von Goethe, D.H. Lawrence, Ernst Jünger und einigen anderen, was sich permanent wiederholt und den Lesefluss entscheidend hemmt.

Der Schreibstil des Autors gefällt mir ansonsten recht gut. Sachlich-lakonisch, dennoch humorvoll und manchmal recht ironisch beschreibt er die Verhältnisse und Begebenheiten. Ein herrliches Beispiel ist, als er auf der Ladefläche eines Kleintransporters ein Spaliergitter für Pflanzen festhalten musste (S.86): „Meine Aufgabe als Festhalter des Holzgitters bewältigte ich ohne Probleme und kam mir sogar ein wenig abenteuerlich vor, wie ich so auf der Ladefläche des Transporters über die Insel fuhr. Hinter mir eine Staubwolke, vor mir die untergehende Sonne, in den Händen das hoch aufragende und schwankende Blumengitter, das ich wie ein Segel mal in die eine und mal in die andere Richtung navigierte, wobei ich eine Zeitlang von kreischenden Möwen begleitet wurde, die den Piaggio offenbar mit einem Fischkutter verwechselten, bis sie begriffen, dass hier nichts zu holen war, und Richtung Meer abdrehten.“

Solche und ähnliche Passagen sind es, die mich letztendlich mit dem Buch ausgesöhnt haben, denn eine Liebesgeschichte, wie im Untertitel zu lesen, ist es nur bedingt – und auf keinen Fall eine Liebeserklärung an Sardinien.

Veröffentlicht am 16.12.2018

Versuch einer Erklärung …

Vater, Mutter, Stasi
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1989 bei der Wende ist Angela Marquardt gerade 18 Jahre alt und steht kurz vor dem Abitur. Durch einen glücklichen Umstand kommt sie an die Politik, tritt der PDS bei und macht schnell Karriere. Mit 25 ...

1989 bei der Wende ist Angela Marquardt gerade 18 Jahre alt und steht kurz vor dem Abitur. Durch einen glücklichen Umstand kommt sie an die Politik, tritt der PDS bei und macht schnell Karriere. Mit 25 Jahren ist sie bereits stellvertretende Parteivorsitzende und wird Bundestagsabgeordnete. Dann, 2002, wird aufgrund ihrer Stasi-Akte bekannt, dass sie sich bereits im Alter von 15 Jahren dem MfS verpflichtete. Eine öffentliche Hetzjagd beginnt. Sie verlässt die Politik, tritt aus der PDS aus und widmet sich ihrem Studium der Politikwissenschaft an der FU Berlin, das sie 2005 mit Diplom abschließt. Heute ist Angela Marquardt Mitglied der SPD und gehört zum Mitarbeiterstab der Bundestagsabgeordneten und SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles.

Das Buch „Vater, Mutter, Stasi“ ist der Versuch einer Erklärung der Geschehnisse und zugleich Befreiung von der Vergangenheit. Marquard schreibt über die schwierigen Familienverhältnisse in ihrer Kindheit und Jugend, über Missbrauch, sowohl sexuell durch ihren Stiefvater, als auch psychisch durch Stasi-Freunde ihrer Eltern, die das Mädchen bereits mit 14 Jahren im Visier hatten und sie mit 15 Jahren eine „Verpflichtungserklärung“ unterschreiben ließen. Sie lässt nichts aus, beschönigt nichts, kann sich aber auch an vieles nicht mehr erinnern. Sie hat verdrängt, was nicht sein konnte und sein durfte – bis sie sich mit diesem Buch entschlossen hat, ihre Erinnerungen zu erzählen und anhand der Stasi-Akten und anderer Dokumente die damaligen Vorkommnisse zu rekonstruieren.

Fazit: Ein recht interessantes Buch, wenn man sich für Politik interessiert und mehr über die Verhältnisse in der ehemaligen DDR erfahren möchte.

Veröffentlicht am 09.12.2018

Eine Reise zu sich selbst …

Umweg nach Hause
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Ben ist gerade mal 40 Jahre alt und steckt in einer tiefen Lebenskrise. Seine Frau hat ihn verlassen, seine beiden kleinen Mädchen hat er verloren und seinen Kummer hat er bisher in Alkohol ertränkt. Aus ...

Ben ist gerade mal 40 Jahre alt und steckt in einer tiefen Lebenskrise. Seine Frau hat ihn verlassen, seine beiden kleinen Mädchen hat er verloren und seinen Kummer hat er bisher in Alkohol ertränkt. Aus Geldmangel entschließt er sich, einen Crashkurs in „häuslicher Pflege“ zu machen und bei Elsa anzuheuern, um ihren 19-jährigen Sohn Trevor zu pflegen und zu betreuen, der unheilbar an Muskeldystrophie erkrankt ist. Zunächst gestaltet sich das Verhältnis zwischen dem zynischen Jugendlichen und Ben nicht ganz einfach. Doch dann macht Ben den Vorschlag, Trevors Vater Bob aufzusuchen, der die Familie verlassen hat als Trev drei Jahre alt war. Er möchte, dass Vater und Sohn sich aussöhnen. So machen sie sich im Van, beladen mit Rollstuhl und Campingutensilien, auf den langen Weg quer durch Amerika von Washington State nach Salt Lake City. Auf dem Weg lernen sie seltsame Menschen kennen, nehmen eine junge Anhalterin und eine Schwangere mit, besuchen ausgefallene Sehenswürdigkeiten, werden von einem Unbekannten verfolgt und erleben die kuriosesten Abenteuer …

„Umweg nach Hause“ ist der zweite Roman des US-amerikanischen Schriftstellers Jonathan Evison, der 1968 in San Jose, Kalifornien, geboren wurde und heute mit Frau und zwei Kindern auf der Olympic Halbinsel im Washington State lebt.
Es ist eine Geschichte, die zwar viele heitere und kuriose Momente enthält, die aber dennoch sehr tiefgründig ist. Es geht um eine ungewöhnliche Freundschaft, um Lebensmut trotz Krankheit und Schicksalsschlägen, um Hilfsbereitschaft und um Verzeihen. Die Charaktere muss man einfach gernhaben. Ben, der im Leben sehr viel Pech hatte, sich an die Vergangenheit klammert und den doch eine hoffnungsvolle Zukunft erwartet – Trev, der von einer heimtückischen Krankheit befallen ist und im Rollstuhl sitzt, der oft zynisch ist und immer versucht, das Beste aus seinem restlichen Leben zu machen. Die Reise der beiden quer durch Amerika wird für sie eine Reise zu sich selbst und ein Abfinden mit den Gegebenheiten – für den Leser eine Anregung zum Nachdenken.
Fazit: Eine Geschichte zwischen Komik und Tragik, zwischen Skurrilität und Sentimentalität – manchmal leicht übertrieben, aber immer gut zu lesen.

Veröffentlicht am 02.12.2018

Sardinien wie man es nicht kennt …

Padre Padrone
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Gerade mal einen Monat durfte der 6-jährige Gavino zur Dorfschule gehen, dann wird er von seinem Vater rigoros heraus genommen und gezwungen, als Hirtenjunge die Schafe und Ziegen der Familie zu hüten. ...

Gerade mal einen Monat durfte der 6-jährige Gavino zur Dorfschule gehen, dann wird er von seinem Vater rigoros heraus genommen und gezwungen, als Hirtenjunge die Schafe und Ziegen der Familie zu hüten. Für den kleinen, zarten Jungen beginnt eine schier unmenschliche Zeit, in der er alleine der kargen Wildnis in Sardiniens Bergen ausgesetzt ist. Statt wohlbehüteter Kindheit durchlebt Gavino ein endloses Martyrium, bei dem er selbst beim kleinsten Fehler vom Vater gnadenlos gezüchtigt wird. Das soll sich erst ändern, als er sich mit 20 Jahren freiwillig zum Militär meldet. Dort lernt er endlich Lesen und Schreiben, macht eine Lehre als Radiomechaniker und bildet sich autodidaktisch so weit, dass er sogar die Prüfung als Lehrer besteht. Dann geht er zurück in sein Dorf Siligo auf Sardinien, wo sich nichts verändert hat …
Was anmutet wie finsterstes Mittelalter, ist noch gar nicht so lange her. Der Autor Gavino Ledda veröffentlichte seine Autobiografie erstmals 1975 auf Italienisch, 1977 wurde das Buch verfilmt, die erste deutsche Übersetzung erschien 1980. Es ist ein erschütternder Bericht über eine unvorstellbar harte Kindheit und Jugend auf Sardinien in den Jahren zwischen 1945 und etwa 1965, geprägt von Demütigungen und Schlägen, aber auch über den unbändigen Willen eines jungen Mannes zu lernen, sich zu bilden und sich von der Abhängigkeit des übermächtigen Vaters zu lösen. Gavino Ledda bedient sich einer kraftvollen, schnörkellosen Sprache und beschönigt dabei nichts – nicht die Lebensbedingungen auf dem Niveau von Tieren, nicht die Grausamkeit der Menschen, nicht die sexuellen Nöte, nicht die bestialische Gewalt und nicht die existenziellen Ängste. Es ist auch eine herbe Kritik an der Gesellschaft, die das Analphabetentum tolerierte und bei Kinderarbeit, Unterdrückung und brutaler Züchtigung einfach wegsah. Wunderbare Natur- und Landschaftsbeschreibungen versöhnen und runden die Geschichte passend ab.