Ein unbeschreiblicher Roman
Ours. Die StadtIch habe mir nun etliche Rezensionen zu diesem Buch durchgelesen, doch alle sagen für mich nicht aus, was ich beim Lesen dieses Romans gefühlt & durchgemacht habe. Ich selbst kann das kaum wiedergeben, ...
Ich habe mir nun etliche Rezensionen zu diesem Buch durchgelesen, doch alle sagen für mich nicht aus, was ich beim Lesen dieses Romans gefühlt & durchgemacht habe. Ich selbst kann das kaum wiedergeben, nein, es ist mir schier unmöglich. Schon allein den Inhalt zusammenzufassen ist kaum machbar. Der Text, der sich über 700 Seiten streckt, ist aufs höchste fordernd, die Sprache ist so dicht und bildgewaltig, dass das Lesen nur im Schneckentempo voran schreitet, begleitet durch Wiederwillen und Faszination gleichermaßen.
Inhaltlich ist eines gewiss: Saint, eine Frau mit einem stummen Begleiter, befreit zahlreiche Sklav:innen von ihren Plantagen, Mitte des 19. Jahrhunderts, nimmt Leben und gibt den Befreiten ein solches an einem Ort namens Ours. Durch Magie, Zauberei oder Voodoo, wie immer man Übernatürliches nennen will, gelingt es ihr, den Ort unsichtbar zu machen. Saint ist zwar eine zentrale Figur, aber nicht der Hauptcharakter, zahlreiche andere Personen scheinen für die Geschichte essentiell. Das Erzählte ist so dicht, dass es schwer fällt dem allen zu folgen. Zudem werden immer wieder neue Themen und Figuren eingeführt, die für den weiteren Roman nicht unbedingt eine Rolle spielen; oder aber doch.
Übernatürliches ist eine wiederkehrende und zentrale Thematik, Figuren haben Fähigkeiten, beispielsweise können sie mit den Augen eines Tieres sehen oder eine auf sie gerichtete Kugel an den Entsender zurückschicken. Diese rituellen Passagen werden äußerst detailreich beschrieben, was für mich das Lesen dieser sehr mühsam gemacht hat, da ich persönlich nichts damit anfangen kann. Immer wieder kehrt auch die Liebe als Thema zurück, allerdings in keiner Hinsicht romantisch, sondern eher als schmerzende Auswucherung. Grundsätzlich werden hier alle Emotionen als negativ und schmerzhaft beschrieben, sodass ich mich des Öfteren gefragt habe, ob Ours in Wirklichkeit die Hölle sein mag - und nicht der befreite Ort, an denen Negroes - so werden die befreiten Sklav:innen in dem Buch genannt - nun ihr befreites Leben leben. Vielleicht ist dies aber auch die Essenz des Buches - die Erkenntnis, dass die Freiheit nach all dem Schmerz, der Unterdrückung, der Entwürdigung, dem unerträglichen Rassismus auch zu einer Last werden kann, ist es doch unmöglich, sich seiner Erinnerung zu entledigen, auch wenn das Vergessen für die Protagonist:innen in "Ours" wichtig zu sein scheint.
Beziehungen zwischen den verschiedenen Charakteren sind schräg, manchmal mit (Homo)Erotik gespickt, sie wirken nicht natürlich, sondern immer problembehaftet. Besonderes Aufsehen wird um die Zeit gemacht, es ist schwer nachzuvollziehen, in welchem Jahr, Jahrzehnt oder gar Jahrhundert man sich gerade befindet. Dies ist einerseits etwas nervig, da der Text ohnehin so komplex ist, aber andererseits erhellend, weil gewisse angesprochene Themen zeitlos sind. So mühsam das Buch ist - oft habe ich innerlich geflucht und Qualen ausgestanden, so anstrengend fand ich das Lesen - so faszinierend ist er auch andererseits. Ich habe volle Hochachtung vor der Sprachgewalt des Autors, auch wenn er meines Erachtens die Geschichte durchaus auch mit der Hälfte oder gar nur ein Drittel des Umfangs ebenso gut erzählt werden hätte können. Hier eine Sternebewertung abzugeben fällt mir ungemein schwer, da mir nichts als passend erscheint, auch weil ich weiß, dass ich der Intention des Autors nicht gewachsen bin.
Mein Fazit: Für "Ours" braucht man Nerven und vor allem Geduld + Durchhaltevermögen - und sollte außerdem Liebhaber:in von komplexer Sachverhalte, gespickt mit Übernatürlichem und Gesellschaftskritik, sein. Ours macht es einer auch dann nicht einfach, es zu lieben, belohnt wird man aber trotzdem mit einer unglaublichen Geschichte, einem unerwarteten Ende und einem Nachhall, der einer noch lange in Erinnerung bleiben wird.