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Veröffentlicht am 22.02.2021

Jahre zwischen Hoffnung und Sorge

Jugend
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„Jugend“ von Tove Ditlevsen ist der zweite Teil ihrer Kopenhagen-Trilogie. Nachdem die Autorin mich in „Kindheit“ mit ihrer Art und Weise des Erzählens fesseln konnte, war ich gespannt, mehr über ihre ...

„Jugend“ von Tove Ditlevsen ist der zweite Teil ihrer Kopenhagen-Trilogie. Nachdem die Autorin mich in „Kindheit“ mit ihrer Art und Weise des Erzählens fesseln konnte, war ich gespannt, mehr über ihre Zeit als Jugendliche zu erfahren. Der zweite Teil beginnt nach Toves Schulabschluss mit der Aufnahme ihrer ersten Arbeitsstelle und endet 1939 kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mit einem wichtigen Ereignis für Toves zukünftige schriftstellerische Karriere.

Mit Toves Eintritt ins Arbeitsleben beginnt für sie eine neue, schwierige Zeit. Die erste Anstellung verliert sie schon nach wenigen Stunden, doch die nächste Stelle ist nicht viel besser. Tove muss hauptsächlich putzen, eine Arbeit, die sie anstrengend und langweilig findet. Wenn sie schon nicht das Gymnasium besuchen darf, dann will sie doch wenigstens in einem Büro arbeiten. Ihre entsprechenden Bewerbungen bleiben jedoch ohne Erfolg. Der Ton ist härter in dieser Zeit, sie schreibt keine Gedichte und auch für philosophische Überlegungen, die den vorherigen Band prägten, fehlt Tove der Sinn.

Nach einer Weile wird der Ton wieder lebhafter, denn Tove tritt eine neue Arbeitsstelle in einem Büro an. Dort muss sie zwar die anspruchslosesten Aufgaben übernehmen, darf dafür aber an der Schreibmaschine üben. Außerdem findet sie eine neue Freundin, mit der sie bis zehn Uhr ausbleiben und tanzen gehen darf. Die Begegnung mit einem Mann, der in den Krieg ziehen wird, inspiriert sie zu einem Gedicht von neuer Qualität und Reife.

Die Autorin vermittelt über ihre Art des Erzählens auf gelungene Weise die jeweilige Stimmung. Dieser Band ist schlichter und weniger träumerisch als sein Vorgänger, der mir insgesamt noch etwas besser gefallen hat. Tove schwankt zwischen Hoffnung und Sorge. Auf der einen Seite wachsen ihre Freiheiten und sie arbeitet daran, endlich ein Gedicht zu veröffentlichen. Auf der anderen Seite verliert sie immer wieder ihre Arbeitsstelle und ein neuer Weltkrieg droht. Das Leben im Kopenhagen der 1930er Jahre mit seinen Licht- und Schattenseiten wurde durch Tove Ditlevsens Schilderungen lebendig und bin nun sehr gespannt auf „Abhängigkeit“, den letzten Band der Trilogie.

Veröffentlicht am 18.02.2021

Konnte mich leider nicht überzeugen

Die Erfindung der Sprache
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Ich habe die beiden in der DDR spielenden Romane von Anja Baumheier, „Kranichland“ und „Kastanienjahre“ sehr gemocht, weshalb meine Vorfreude auf diesen neuen Roman groß war. In „Die Erfindung der Sprache“ ...

Ich habe die beiden in der DDR spielenden Romane von Anja Baumheier, „Kranichland“ und „Kastanienjahre“ sehr gemocht, weshalb meine Vorfreude auf diesen neuen Roman groß war. In „Die Erfindung der Sprache“ ist die fiktive ostfriesische Insel Platteoog der Ausgangspunkt der Geschichte. Hier ist Adam aufgewachsen, der inzwischen als promovierter Sprachwissenschaftler in Berlin an der Universität arbeitet.

Adam ist ein sonderbarer, aber liebenswürdiger Charakter mit einer Vorliebe für Listen und die Zahl 7, dessen Verhalten eine Autismus-Spektrum-Störung vermuten lässt. Zu Beginn des Buches nimmt er an einem Speed-Dating teil, zu dem ihm seine Großmutter geraten hat. Schon auf diesen ersten Seiten tat ich mich schwer mit der Sprache des Buches. Es wird auf zwei Seiten gleich vier Mal erwähnt, dass Adams erstes Date einen kegel(robben)förmigen Körper hat. Auch die neongelbe Leuchtreklametafel, deren Botschaften ständig in Adams Kopf aufflackern und die mich bald gehörig nerven würde, lernte ich kennen.

Gefühlt ist jedem Substantiv in diesem Roman ein Adjektiv vorangestellt. Was kurzzeitig ein Kniff in Sachen Sprachkunst sein kann, störte meinen Lesefluss schon bald massiv. Die Seite 55 bietet beispielsweise eine schlafsandschwere Erschöpfungsdecke, einen herrenschokoladenbraunen Scherenschnitt, kürzestmögliche Kurzfristigkeit und dramatisches Drama. Einige dieser Worte wiederholen sich alle paar Seiten. Neben der bereits erwähnten neongelben Leuchtreklametafel, dessen Farbe jedes Mal erwähnt werden will, ist da zum Beispiel außerplanmäßigkeitsinduzierte Panik und Adams einsteingraues Sakko. Auch dessen Farbe wird ständig genannt, obwohl er dazwischen keinerlei Gelegenheit hatte, sich umzuziehen.

Adams Vater Hubert ist vor Jahren von einer Pilgerreise nicht zurückgekehrt, und seither schweigt seine Mutter. Als diese einen Hinweis darauf entdeckt, dass Hubert vermutlich noch lebt, folgt Adam gemeinsam mit der Logopädin Zola seiner Spur. Der Roadtrip ist unterhaltsam, allerdings folgt nach jedem Kapitel in der Gegenwart eines aus der Vergangenheit, das den Schwung wieder ausbremste. Hier wird die Geschichte des Kennenlernens von Adams Eltern, Adams Geburt und seinem Aufwachsen bis zum Verschwinden des Vaters erzählt. Die tschechische Oma fand ich amüsant, ansonsten waren die Kapitel nicht sonderlich spannend und zogen sich hin.

Eine weitere Sache, die mich gestört hat, sind die Ungereimtheiten in Bezug auf die fiktive Insel Platteoog, auf welcher der fiktive große Bruder des Pilsumer Leuchtturms steht. Dort leben 382 Bewohner, Adam scheint aber das einzige Kind zu sein, bis ein Mädchen mit ihrem Vater auf die Insel zieht. Touristen stranden hier hier nur zufällig. Trotzdem fährt ständig die Fähre hin und her, und zwar um die Bewohner in die 15 Kilometer entfernte Stadt auf dem Festland zu bringen. Macht bei der Entfernung eine reine Fahrtzeit von rund 90 Minuten pro Strecke. Hier geht man in den Kindergarten, zur Schule und hält Versammlungen mit allen Bewohnern ab. Solch eine Pendelei und das Ausbleiben von Touristen trotz Leuchtturm halte ich für unrealistisch. Ebenso unrealistisch wie die Dialoge zwischen Adam und seiner offenbar aus der Zukunft kommenden Sprachassistentin.

Adams und Zolas Roadtrip hätte ein abwechslungsreiches Abenteuer werden können, doch die Schreibweise, der Vergangenheitsstrang und Logikfehler sorgten dafür, dass ich nicht in die Geschichte hineinfand und sie ab der Hälfte nur noch überflogen habe.

Veröffentlicht am 15.02.2021

Vom Gefühl, nicht in das eigene Leben hineinzupassen

Kindheit
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Tove Ditlevsen wächst in den 1920er Jahren als Tochter eines Heizers und einer Hausfrau in Kopenhagen auf. Sie lebt in ärmlichen Verhältnissen, die Beziehung zu ihren Eltern und ihrem Bruder ist distanziert. ...

Tove Ditlevsen wächst in den 1920er Jahren als Tochter eines Heizers und einer Hausfrau in Kopenhagen auf. Sie lebt in ärmlichen Verhältnissen, die Beziehung zu ihren Eltern und ihrem Bruder ist distanziert. Ihre Mutter ist eine harte Frau, die keine Liebe zeigt. Mit ihrem Vater teilt sie die Begeisterung für Bücher, doch er hat klare Vorstellungen davon, welche Lektüre angemessen ist. Als er arbeitslos wird, belastet das die angespannte Familiensituation noch weiter. Tove ist intelligent, nachdenklich und hat oft dass Gefühl, nicht in ihr eigenes Leben hineinzupassen. Ihr Wunsch, Schriftstellerin zu werden, scheint unerreichbar. Aufs Gymnasium darf sie nicht gehen, stattdessen soll sie in einem fremden Haushalt arbeiten, bis sie heiraten und Kinder bekommen wird.

„Kindheit“ ist der erste Teil der autofiktionalen Kopenhagen-Trilogie, die erstmals komplett auf Deutsch vorliegt. Tove Ditlevsen schildert ihre frühen Jahre bis zu ihrem Schulabschluss und ihrer Konfirmation mit vierzehn Jahren. Dabei ist die Ich-Erzählerin genau ein Jahr jünger als die gleichnamige Autorin. Von der ersten Seite an faszinierte mich die poetische Sprache, mit der sie ihre triste Kindheit schildert und mich als Leserin ganz nah an sich heran ließ.

Das Buch hat nur knapp über 100 Seiten, doch jeder Satz ist wohlüberlegt. Sie hält ihre Beobachtungen und Gefühle auf eine kluge, oft philosophische Weise fest, die dazu einlädt, länger bei ihren zu verharren. Schon als Kind schreibt sie heimlich Gedichte in ihr Poesiealbum, viele handeln von der Liebe. Noch entspringen sie vor allem der Sehnsucht und nicht der Erfahrung. Die im Buch abgedruckten Werke lassen den Kontrast zwischen Toves einfachem Leben und ihren Träumen noch deutlicher zutage treten.

Für die wilden Spiele der anderen Kinder kann Tove kein Verständnis aufbringen. Mit der mutigen, frechen Ruth zieht sie eine Weile durch die Straßen, doch auch von ihr entfremdet sie sich zunehmend. Auch wenn sie vorerst nicht selbst über ihr Leben bestimmen kann, hält sie an der Hoffnung fest, eines Tages ihre Werke verkaufen zu können. Das Buch ist traurig und berührend, gleichzeitig konnte die Autorin mich mit ihrer Art und Weise des Erzählens fesseln. Ich bin gespannt auf die weiteren Bände der Trilogie.

Veröffentlicht am 15.02.2021

Coming of Age im ostdeutschen Plattenbau

Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau
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Im Jahr 2019 kehrt Juri nach Klein Krebslow zurück, um die Wohnung ihrer verstorbenen Mutter aufzulösen. Dort findet die einen an sie adressierten Stapel Papier, der sie ins Jahr 1994 mitnimmt. In diesem ...

Im Jahr 2019 kehrt Juri nach Klein Krebslow zurück, um die Wohnung ihrer verstorbenen Mutter aufzulösen. Dort findet die einen an sie adressierten Stapel Papier, der sie ins Jahr 1994 mitnimmt. In diesem Jahr ist sie mit ihrer Mutter neu hergezogen, sehr zur Verwunderung ihrer Mitschüler der 7b, denn zuletzt haben immer mehr Famlien die zu DDR-Zeiten errichtete Plattenbausiedlung verlassen. Sascha hat die Geschichte aus seiner Perspektive niedergeschrieben und erzählt, wie es dazu kam, dass er sich in Juri verliebt hat. Doch vom Tag ihres Kennenlernens bis zur Monsterkatastrophe sind es nur 102 Tage...

Zu Beginn des Buches findet Juri einen dicken Stapel Papier von Sascha. Der beiliegende Brief erklärt, dass er sie im Jahr 1996, zwei Jahre nach Juris Verschwinden, aufgeschrieben hat. Einige Fotos vermitteln die Atmosphäre von Klein Krebslow, das von den Anwohnern meist nur „die Siedlung“ genannt wird und das stellvertretend für verschiedene tatsächlich existierende Plattenbausiedlungen auf dem ehemaligen Gebiet der DDR steht, deren Verfall nach der Wende begann. Dann folgt in 20 Kapiteln Saschas Geschichte. Das Wissen um Juris Verschwinden und die anstehende Monsterkatastrophe machte mich neugierig, zu erfahren, was die beiden im Sommer 1994 erlebt haben.

Zunächst lernte ich Sascha besser kennen, der mit seinen Eltern und seiner Schwester einige Jahre zuvor in die neuerrichtete Siedlung gezogen ist. Nach der Wende hat sein Vater wie viele andere Anwohner jedoch seinen Job verloren. Wie der schweigsame Mann nun Nahrungsergänzungsmittel verkauft ist Sascha schleierhaft, Gespräche mit ihm versucht er zu vermeiden. Die Siedlung wurde nach der Wende nicht wie ursprünglich geplant erweitert und immer mehr Anwohner ziehen weg. Laut Saschas Mutter, die als Lehrerin arbeitet, wohnen dort sonst nur noch Assis. Angst hat Sascha vor den Pawelke-Brüdern, die angeblich Faschos sind und die er eines Tages dabei beobachtet, wie sie einen alten Mann verprügeln.

Dieser Vorfall ist es, der Juri und Sascha näher zusammenbringt. Ihre furchtlose, blitzgescheite Art und ihr Interesse für Kosmonauten, Raketen und das Weltall fasziniert ihn. Während sein bester Freund Sonny sich in den Sommerferien zu Hause vergräbt und an seiner Musikkarriere arbeitet, verbringen die beiden immer mehr Zeit miteinander. Durch Juri sieht er Dinge aus einer anderen Perspektive und macht neue Erfahrungen. Bei ihrem Vorhaben, den Pawelkes nachzuspionieren, hat er allerdings ein ungutes Gefühl.

Die Geschichte ist sehr atmosphärisch und authentisch erzählt. Sascha als Erzähler ließ die Siedlung vor meinem inneren Auge lebendig werden und ich konnte mich gut in ihn hineinversetzen. Trotz einiger Andeutungen, was in dem Sommer alles passiert ist, erlebte ich zum Schluss noch einige Überraschungen. Neben den beiden Protagonisten ist mir besonders Herr Reza ans Herz gewachsen, den Sascha zunächst in die Schublade „alter Irrer“ einsortiert. Er erweist sich als vielschichtiger Charakter, der in seinem Leben viel mitgemacht hat und den beiden Jugendlichen mit seiner besonnenen Art und Ratschlägen zur Seite steht.

Das Debüt „Nur vom Weltraum aus ist die Erde blau“ kann nicht nur mit Titel und Cover überzeugen. Zwischen den Buchdeckeln steckt auch eine überzeugende und authentische Coming of Age Geschichte im ostdeutschen Plattenbau, die ich gerne weiterempfehle!

Veröffentlicht am 11.02.2021

Wie wäre dein Leben verlaufen, wenn...

Die Mitternachtsbibliothek
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Nora macht gerade eine schwere Phase durch: Ihre geliebte Katze Voltaire ist gestorben, sie hat ihren Job im Musikladen verloren, ihr einziger Klavierschüler hört auf zu spielen und ihr Bruder nimmt ihr ...

Nora macht gerade eine schwere Phase durch: Ihre geliebte Katze Voltaire ist gestorben, sie hat ihren Job im Musikladen verloren, ihr einziger Klavierschüler hört auf zu spielen und ihr Bruder nimmt ihr immer noch übel, dass sie vor Jahren aus der gemeinsamen Band ausgetreten ist. Mit Tabletten und Wein will sie sich von der Welt verabschieden, denn niemand braucht sie mehr. Doch statt zu sterben landet sie in einem Dazwischen, der Mitternachtsbibliothek. Dort erhält sie die Chance, Leben auszuprobieren, in denen sie in der Vergangenheit andere Entscheidungen getroffen hat, um das zu finden, das am Besten zu ihr passt. Wie fühlt sich das Leben an, in dem sie ihren Verlobten nicht verlassen hat? Oder das, in dem sie nach dem Philosophiestudium einen anderen Job angetreten hat? Oder gar nicht studiert, sondern eine Schwimm- oder Musikkarriere verfolgt hat? Ob Nora ein Leben finden wird, in dem sie weiterleben will?

Wer denkt nicht ab und zu darüber nach, wie sein Leben verlaufen wäre, wenn er sich an diesem oder jenem Punkt anders entschieden hätte? Das eigene Leben ist das Resultat Tausender und Abertausender von Entscheidungen und komplexer Zusammenhänge. Mit der Mitternachtsbibliothek schafft der Autor einen magischen Ort zwischen Leben und Tod, in dem Nora die einzigartige Chance erhält, zu erfahren, wie Leben aussehen, in denen sie andere Pfade eingeschlagen hat.

Die Atmosphäre zu Beginn des Buches ist gedrückt, denn in Noras Leben läuft wirklich vieles schief. Beim Betreten der Mitternachtsbibliothek ist sie zunächst skeptisch und weiß nicht, was sie vom dem Angebot halten soll, das ihr von ihrer alten Schulbibliothekarin Mrs Elm gemacht wird, die immer noch so aussieht wie bei ihrer letzten Begegnung vor neunzehn Jahren. Die ältere Frau erweist sich als Beraterin, die Nora allmählich auf den Geschmack des Ausprobierens all der Leben bringt, die in der riesigen Bibliothek auf sie warten.

Nora erlebt spannende und aufregende Momente, aber auch viele herbe Enttäuschungen, die sie immer wieder in die Bibliothek zurückbringen. Dort reflektiert sie in Gesprächen mit Mrs Elm das Erlebte und kommt zu Erkenntnissen, was das Leben als solches eigentlich wertvoll macht. Der Handlungsverlauf ist vorhersehbar, das hat mich in diesem Fall jedoch nicht gestört, denn die Botschaft, die dabei gesendet wird, fand ich sehr schön.

Mit „Die Mitternachtsbibliothek“ hat Matt Haig einen philosophisch geprägten Roman geschaffen, der nachdenklich stimmt und gleichzeitig wunderbar unterhalten kann. Ich bin überzeugt davon, dass jeder aus diesem Buch etwas mitnehmen kann, weshalb ich es wirklich jedem empfehlen kann!