Profilbild von Samtpfote

Samtpfote

Lesejury Star
offline

Samtpfote ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit Samtpfote über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 14.06.2023

Ein wenig langsam erzählt, toll aufgelöst

In Sachen Signora Brunetti
0

Inhalt:
Commissario Brunetti ist entsetzt, als er mitten in der Nacht in einem leeren Bett erwacht und kurz darauf einen Anruf aus der Questura erhält. Seine Frau Paola ist festgenommen worden, nachdem ...

Inhalt:
Commissario Brunetti ist entsetzt, als er mitten in der Nacht in einem leeren Bett erwacht und kurz darauf einen Anruf aus der Questura erhält. Seine Frau Paola ist festgenommen worden, nachdem sie die Schaufensterscheibe eines Reisebüros mit einem Stein eingeworfen hat, um gegen die vermittelten Sexreisen zu protestieren. Vom moralischen Standpunkt her kann Brunetti sie verstehen. Dass er aber jetzt um seine Position fürchten muss und dass seine Frau nach einem scheinbar mit dem Vandalismus zusammenhängenden Leichenfund nun auch noch unter Mordverdacht gerät, passt ihm gar nicht, weshalb er alles daran setzt, den Fall schnellstmöglich aufzuklären.

Meine Meinung:
Es ist kein Geheimnis mehr, dass ich sehr gerne in den Brunetti-Krimis schmökere und die Ausflüge nach Venedig sehr geniesse. Beim Lesen dieses Krimis ist mir einmal mehr bewusst geworden, dass es mir wirklich gefällt, mit wie viel Respekt, Ehrlichkeit und Zuneigung die Ehe der Brunettis geführt wird. Auch hat mir Paola als immer lauter werdende Frau, deren Ansichten zur Religion und Gesellschaft sehr viel fortschrittlicher sind, als die ihres Mannes, in ihrer Rolle als wütende Rächerin sehr gut gefallen.
Weniger gut weggekommen ist Venedig. Die vielen schönen Beschreibungen der Orte und vor allem auch des Essens sind in diesem Buch definitiv zu kurz gekommen und auch plätschert die Geschichte für meinen Geschmack ein wenig gar sehr dahin. Die Auflösung hat es dann aber definitiv wieder in sich und ich finde es sehr beeindruckend, wie oft Donna Leon in ihren Krimis "Recht haben" gegen "Recht bekommen" ausspielt und dabei aufzeigt, wie fragil ein Justizsystem und damit auch eine Gesellschaft sein kann.

Meine Empfehlung:
Obwohl mir dieser Krimi ein wenig zu langsam war und ich den Venedig-Charme vermisst habe, hat mir vor allem Paola Brunetti als Figur sehr gut gefallen. Ausserdem steckt wieder sehr viel schriftstellerisches Können im Aufbau und der Auflösung und ich freue mich schon auf den nächsten Brunetti-Krimi.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 02.06.2023

Lesenswert, wenn auch gegen Ende ein wenig zäh

Mädchen, Frau, etc.
0

Inhalt:
Zwölf Schicksale, zwölf Lebensgeschichten voller Rassismus, Ausgrenzung, Feminismus, der Suche nach sich selbst, der Rolle als Frau oder nichtbinären Person und auch voller Erfolg, Kampfgeist und ...

Inhalt:
Zwölf Schicksale, zwölf Lebensgeschichten voller Rassismus, Ausgrenzung, Feminismus, der Suche nach sich selbst, der Rolle als Frau oder nichtbinären Person und auch voller Erfolg, Kampfgeist und Mut. Ausserdem beinhaltet das Buch ganz viel sprachliche Finesse, Zusammenhalt, Kunst und Kultur, Freundschaft und Liebe.

Meine Meinung:
"Mädchen, Frau, etc." ist das letzte Buch, das ich im Mai 2023 beendet habe und es hat mich fast den ganzen Monat hindurch begleitet. Vor allem anfangs war ich begeistert von der Sprache, vom Aufbau und den bunten, wilden, freien Figuren. Ich war berührt von den tragischen, brutalen Schicksalen und Lebensgeschichten, von den Beschreibungen, die kein Blatt vor den Mund nehmen und queere Lebensrealitäten so selbstverständlich inkludieren. Ausserdem habe ich mich durch viele unterhaltsame und romantische Szenen auch immer wieder bestens unterhalten gefühlt. Dann aber wurde mir das Ganze ein wenig zu ausschweifend, die Biografien der einzelnen Figuren ähnelten sich gegen Ende gar sehr und hielten - allen Widrigkeiten zum Trotz - doch immer einige zu konstruiert wirkende positive Auflösungen und Wendungen bereit.

Schreibstil und Aufbau:
Ganz besonders fällt - zumindest anfangs - auf, dass der Text nahezu ohne Satzzeichen auskommt. Frage- und Ausrufezeichen finden sich zwar, Punkte jedoch kaum. Stattdessen sorgen strategisch gesetzte Absätze für Lesepausen oder auch einen um so schnelleren Lesefluss. Ich kann mir vorstellen, dass der Text auch Mühe bereiten kann, sofern man sehr stark auf ein einheitliches Schriftbild und Satzzeichen angewiesen ist, ansonsten liest er sich aber enorm flüssig.
Das Buch ist so gegliedert, dass jeweils die Lebensgeschichte dreier zusammengehörender Figuren nacheinander erzählt wird. So gliedert sich das Buch in insgesamt vier grosse Abschnitte (à drei Figuren), dem grossen Finale und einem kurzen Epilog, in dem alle Fäden zusammenlaufen. Mir persönlich hat dieser Aufbau sehr gut gefallen und ich hatte zum Glück auch keine Probleme damit, den Überblick zu behalten, obwohl wirklich sehr viele Figuren auftauchen.

Fazit:
Alles in allem hat mir das Buch, das handwerklich geschickt geschrieben ist und wirklich sehr bewegend und inklusiv mitten aus den unterschiedlichsten Leben und gesellschaftlichen Kreisen erzählt, einiger Kritikpunkte zum Trotz sehr gut gefallen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 30.05.2023

Lesenswerte und erschütternde Kurzgeschichten

Mann im Mond
0

Inhalt:
"Mann im Mond" das sind zwölf Kurzgeschichten aus der Welt von Kindern, die nicht immer verstehen, was um sie herum und mit ihnen geschieht, die in schwierigen Situationen hilflos, stark, klug, ...

Inhalt:
"Mann im Mond" das sind zwölf Kurzgeschichten aus der Welt von Kindern, die nicht immer verstehen, was um sie herum und mit ihnen geschieht, die in schwierigen Situationen hilflos, stark, klug, mutig, resolut und/oder wütend handeln und aufgrund von abwesenden oder überforderten Erwachsenen entscheiden (müssen), zwölf Geschichten mit düsterer Grundstimmung, mit verstörenden und zum Nachdenken anregenden Szenen, poetisch, skurril, unterhaltsam und brutal direkt erzählt.

Meine Meinung:
Lana Bastašićs Roman "Fang den Hasen" hat mich vor zwei Jahren begeistert und so war es natürlich klar, dass ich auch weitere Bücher der Autorin lesen möchte. Dass es sich bei "Mann im Mond" um den 2020 unter dem Titel "Mliječni zubi" (Milchzähne) veröffentlichten Erzählband handelte, habe ich aufgrund des anderen Titels zuerst gar nicht realisiert und verstehe immer noch nicht wirklich, weshalb der Originaltitel nicht einfach ins Deutsche übertragen worden ist. Klar, "Mann im Mond" ist auch der Titel einer der zwölf Erzählungen, aber ganz ehrlich: "Milchzähne" hätte als Titel sehr viel besser zum Buch gepasst. In den Kurzgeschichten geht es immer darum, sich zu behaupten, erwachsen zu werden oder schlicht zu überleben. Die Kindheit und negative Erfahrungen werden überwunden, durchlitten oder abgestossen, wie abgetragene Kleidung (oder halt eben, wie Milchzähne).
Die Geschichten und die sehr beklemmende Grundstimmung haben mir sehr gut gefallen und mir einige Male eine Gänsehaut beschert und mich zum Nachdenken angeregt. Da ich eine bosnische Ausgabe des Buches besitze, habe ich ab und zu im Original gestöbert, was auch sehr spannend war und dabei ist mir trotz mangelhaften Bosnischkenntnissen aufgefallen, wie grandios Rebekka Zeinzinger Worte für die poetischen, skurrilen Bilder und Formulierungen gefunden hat, um sie dem deutschsprachigen Publikum so authentisch wie möglich aufzubereiten.

Schreibstil und Stimmung:
Die jungen Protagonist*innen der Erzählungen sind oft auf sich alleine gestellt, sind von ihren Eltern oder anderen eigentlich für sie verantwortlichen Erwachsenen verlassen oder blossgestellt worden und müssen in teilweise extremen Situationen der Gewalt, Vernachlässigung oder Scham für sich einstehen. Es geht um einige ziemlich aussergewöhnliche aber auch um mitten aus dem Leben gegriffene Situationen. Eine Situation beginnt oft harmlos und kippt dann ins Bedrohliche um, plötzlich geht es um Entscheidungen über Leben und Tod, um Entscheidungen für den eigenen Körper und gegen das Leben oder Wohlergehen einer übergriffigen Person. Fast skizzenhaft werden die entsprechenden Szenen und das beinhaltete Dilemma geschildert und nachdem die Szene mir rasant aufeinanderfolgenden Sätzen und Steigerungen zum Höhepunkt getrieben worden ist, bleiben eine Anspannung, ein offenes Ende und manchmal eine Leiche zurück.
Immer mal wieder kommt dabei auch ein zynischer Humor zum Vorschein, der für viele weitere Zwischentöne sorgt.

Meine Empfehlung:
"Mann im Mond" wirkt manchmal mitten aus dem Leben gegriffen und manchmal wie eine Traumerzählung. Genau diese schmale Gratwanderung zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Humor und Absurdität, zwischen Dunkelheit und Lichtblick macht diese zwölf Geschichten zu einem fesselnden, bewegenden und manchmal verstörenden Leseerlebnis, das nachhallt. Von mir gibt es eine herzliche Leseempfehlung für alle, welche bereit sind, sich auf diese intensiven Texte einzulassen.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
Veröffentlicht am 27.05.2023

Ein wichtiges, erschütterndes Buch

Secondhand-Zeit
0

Inhalt:
Dieses Buch ist eine tiefschürfende Reportage und beinhaltet Interwiews - Monologe - und einen ausführlichen Anhang. Es kommen Menschen zu Wort, welche die Sowjetunion und den Zerfall der Sowjetunion ...

Inhalt:
Dieses Buch ist eine tiefschürfende Reportage und beinhaltet Interwiews - Monologe - und einen ausführlichen Anhang. Es kommen Menschen zu Wort, welche die Sowjetunion und den Zerfall der Sowjetunion miterlebt haben und welche teilweise durch die Hölle gehen mussten, aber überlebt haben und nun erzählen können, was ihnen widerfahren ist.

Meine Meinung:
Vor allem während meines Bachelorstudiums (2011-2014) habe ich mich intensivst mit Komponist*innen der damaligen Sowjetunion (wenn auch zwar vor allem Georgiens) beschäftigt und das Thema hat mich nie wieder losgelassen. HIER habe ich dazu auch etwas geschrieben. Deshalb hat mir eine damalige Kommilitonin 2014 "Secondhand-Zeit" geschenkt. Ich habe sofort mit dem Lesen begonnen, das Buch aber dann wieder zur Seite gelegt. Der Reportageband hat es nämlich definitiv in sich. Nicht nur wirken die Texte oft schwerfällig und sogar teilweise wirr, sondern sind vor allem die Inhalte nichts für leichte Nerven. Die Nobelpreisträgerin Alexijewitsch hat nämlich mit zahlreichen Menschen Interviews geführt, respektive bei gemeinsamen Gesprächen ein Band mitlaufen lassen. Wir lesen also teilweise sehr lange, abgehackte, von der Autorin unkommentierte Monologe von Menschen, die in der Sowjetunion geboren worden sind und Revolutionen, Unterdrückung, Krieg und Folter erlebt haben. Die erlebt haben, wie Widerstände niedergeknüppelt, Verwandte in nassen Särgen zurückgebracht, Kinder an die Front gegangen und gefestigte Überzeugungen sowie der Glauben an das Gute im Menschen in den Grundfesten erschüttert worden sind.
Nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine habe ich das Buch wieder hervorgeholt und nun vor wenigen Tagen beendet. Es hat mich immer wieder zutiefst bewegt und ich musste zahlreiche Lesepausen einlegen. Teilweise, um den Inhalt sacken zu lassen, teilweise auch, um ein paar Ereignisse zu recherchieren. Das Buch fordert, da es wenige Informationen, sondern fast ausschliesslich Erfahrungsberichte beinhaltet. Es ist aber genau deshalb ein enorm wichtiges und starkes Buch, weil es betroffene Menschen zu Wort kommen lässt und lange nachhallt.

Meine Empfehlung:
"Secondhand-Zeit" ist ein enorm wichtiges Buch, ein Buch, das warnt, hinsieht, zu Wort kommen lässt. Aber auch ein Buch, das schmerzt und aufwühlt und für das ich sämtliche mögliche Triggerwarnungen aussprechen muss.

Veröffentlicht am 22.05.2023

Leider sind das Buch und ich keine Freundinnen geworden

Wir werden fliegen
0

Inhalt:
Alan verschwindet. Schon wieder. Seine Schwester Miša will aber nicht tatenlos auf ihn warten, es wird Zeit, dass sie ihren eigenen Weg im Leben sucht. Schwierig, wenn man haltlos durch Beziehungen, ...

Inhalt:
Alan verschwindet. Schon wieder. Seine Schwester Miša will aber nicht tatenlos auf ihn warten, es wird Zeit, dass sie ihren eigenen Weg im Leben sucht. Schwierig, wenn man haltlos durch Beziehungen, Länder, Berufe und Freundschaften tingelt.

Meine Meinung:
Das Buch habe ich gemeinsam mit Ina (@literaturina) und aufgrund der dringenden Empfehlung von Jamie (librovore) gelesen, ohne sie wäre ich nicht auf das Buch aufmerksam geworden und hätte es wohl vor allem aufgrund des ein wenig lieblos wirkenden Covers auch keines zweiten Blick gewürdigt. Nach dem ersten, mich ratlos zurücklassenden Abschnitt, zeigte sich schon, dass ich wohl auf meinen Instinkt hätte hören sollen. Das Buch konnte mich nicht für sich einnehmen, die Figuren und ihre Geschichten haben mich nicht berührt und die Geschichte eines Bruders, der aus der gemeinsamen Heimat Žilina verschwindet, sich ein neues Leben im Westen aufbaut, nach einem Schicksalsschlag wieder mit der Familie vereint wird - diesmal in Wien - und dann erneut verschwindet, hätte vielleicht doch auch einfach danach verlangt, tiefer und mehr in eine Geschichte eintauchen zu können, als mit diesen kurzen, manchmal skizzenhaft wirkenden Abschnitten. Auch finde ich, dass die Geschwisterbeziehung - der eigentliche Aufhänger der Geschichte - nicht wirklich zum Tragen kommt. Vielmehr wird Mišas turbulentes Leben ins Zentrum gerückt, was mich immerhin mehr und mehr für sich einnehmen konnte.

Schreibstil und Aufbau:
Sprachlich hat Gregor nicht für Tiefgang und grosse Emotionen sorgen können, aber genau das habe ich erwartet. Dafür hat sie immer wieder gekonnt aufgezeigt, wie sich ihre Figuren stets wieder neu finden wollen und müssen und wie schmerzhaft es sein kann, rastlos auf der Suche nach Wurzeln, Zugehörigkeit und Lebenswegen zu sein.
Die Geschichte ist in vier ähnlich grosse Abschnitte unterteilt und erzählt abwechslungsweise aus Alans und Mišas Leben. Ich hätte mir Jahreszahlen gewünscht, um das Gelesene besser einordnen zu können und ausserdem hatte ich Mühe, einzelne Figuren auseinanderzuhalten, obwohl mir dies sonst keine Schwierigkeiten bereitet. Aber weil ich mich keiner Figuren (mit Ausnahme von einzelnen Szenen mit Miša) emotional verbunden fühlte, verschwammen die irgendwie ein wenig miteinander.

Fazit:
Ich weiss, dass Susanne Gregor erzählen kann, sie hat das in diesem Buch immer wieder bewiesen, aber "Wir werden fliegen" hat mich einfach sehr enttäuscht, weil ich enorme Erwartungen hatte und weil grosse Gefühle, Tiefgang und ein tieferes Eintauchen in die Regionen, Orte und historischen Hintergründe wohl aufgrund des eher oberflächlichen Stils und der knappen Beschreibungen nicht möglich waren. Nachhallen wird die Geschichte bei mir sicher nicht, ich möchte aber gerne erwähnen, dass ich schon einige sehr begeisterte Rezensionen gesehen habe. Also macht euch doch gerne selber ein Bild.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere