In „Hotel Shanghai“ entwirft Vicki Baum ein beeindruckend vielschichtiges Netz von Schicksalen, die nach und nach ineinandergreifen und auf ihr gemeinsames Verderben in der Schlacht um Shanghai zutaumeln. ...
In „Hotel Shanghai“ entwirft Vicki Baum ein beeindruckend vielschichtiges Netz von Schicksalen, die nach und nach ineinandergreifen und auf ihr gemeinsames Verderben in der Schlacht um Shanghai zutaumeln. In der ersten Hälfte lernen wir die Vorgeschichte der einzelnen Protagonisten kennen, nicht als unmittelbarer Zeuge der Handlung, sondern wie ein Leser eines Berichts. Es ist mutig, mehrere hundert Seiten auf diese Art – die leicht steril und leblos wirken könnte – und mit stetig wechselnden Schicksalen zu füllen, aber es funktioniert. Das liegt vor allem an Vicki Baums herrlichen Umgang mit Sprache und ihrem Talent für psychologisch feine Charakterentwicklung. Mühelos führt sie uns von China ins Deutsche Reich des späten 19. Jahrhunderts, bis zur Nazizeit und dem Exil, wechselt danach elegant ins Leben russischer Flüchtlinge nach der Revolution und zur englischen Aristokratie, bevor wir uns im Mittelklasse-Amerika finden und zurück nach Asien reisen. Wie die Autorin das jeweilige Umfeld, sowohl geographisch wie auch gesellschaftlich, einfangen kann, wie informations- und farbreich sie es jeweils darstellt, ist absolut bewunderungswürdig. Auch füllt sie die Lebensberichte trotz nüchterner Erzählweise mit so viel Gefühl und Bewegendem, daß ich sie größtenteils geradezu verschlungen habe.
Im zweiten Teil begegnen wir diesen sehr unterschiedlichen Protagonisten im Shanghai des Jahres 1937 und die Erzählweise wechselt vom Berichtartigen zum direkten Geschehen. Wir begleiten die Charaktere auf ihren jeweiligen Erlebnissen und finden auch hier wieder eine bemerkenswerte Vielfalt, während sich die einzelnen Wege immer mehr annähern. Nicht alles ist interessant, es gibt durchaus viele langatmige Passagen, in der Mitte des Buches verlor ich die Leselust vorübergehend, weil das Zusammenführen einiger Charaktere ohne wirkliche Substanz geschah und sich zäh hinzog. Auch gibt es viele trockene, geschichtsbuchartige Passagen, die so voller Informationen sind, daß man als Leser zu überwältigt ist, um diese vollends aufzunehmen, und die für einen Roman schlichtweg zu lang und sachlich sind. Zum Ende hin war ich von den Geschehnissen aber wieder gebannt und fand hier auch erneut die psychologische Finesse, die ich so genoss. Man weiß um den tragischen Ausgang der Geschichte, denn er wird schon am Anfang erwähnt, und so liest man atemlos, während das Grollen der Geschütze immer lauter, das Verhalten in Stadt und Hotel immer fiebriger wird. Das Ende wirkt dann gerade in seiner Knappheit fulminant. „Hotel Shanghai“ ist ein so reichhaltiges Panorama, wie man es wohl selten in einem Roman findet, so kunstvoll gewebt und erzählt, daß man voller Berührung und auch Bewunderung für eine solche schriftstellerische Leistung ist.
"Das Anti-Angst Buch" ist als Titelwahl sehr vielversprechend. Wie sich zeigt, ist es leider auch etwas vollmundig, denn als Anti-Angst Buch erfüllt das Buch die gesetzten Erwartungen nicht. Der Klappentext ...
"Das Anti-Angst Buch" ist als Titelwahl sehr vielversprechend. Wie sich zeigt, ist es leider auch etwas vollmundig, denn als Anti-Angst Buch erfüllt das Buch die gesetzten Erwartungen nicht. Der Klappentext mildert den Titel bereits etwas ab: "... an unserer Widerstandskraft arbeiten - mit Entspannung, meditativer Achtsamkeit, Bewegung und psychoaktiver Ernährung." Erst später im Buchtext wird dann erwähnt, daß das Buch bei ernsteren Angststörungen keine alleinige Hilfe sein kann, und es wird ein Arztbesuch angeraten. Insofern sollte man sich also nicht auf den Titel verlassen, denn man bekommt hier kein Anti-Angst-Buch, sondern ein Achtsamkeitsbuch.
Dieses ist hochwertig gestaltet, mit stabilem Einband, wertigem Papier und vielen Farbabbildungen. Das helle Grün des Einbands setzt sich als farbliches Leitmotiv im Buch fort und wirkt angenehm, die Überschriften sind in einem ebenfalls angenehmen Blau gehalten. Der Buchsatz ist durchweg übersichtlich gestaltet. Visuell überzeugt das Buch absolut.
Etwa ein Drittel des Buches ist einem Text mit Hintergrundinformationen gewidmet - wie entsteht Angst, wie äußert sie sich, was macht uns Angst? Dieser ist in vielerlei Hinsicht informativ, scheint aber gelegentlich zu vergessen, daß er sich an Laien auf der Suche nach umsetzbaren Informationen richtet. Er ist häufig theoretisch und wird immer wieder zu naturwissenschaftlich, geht z.B. oft auf Gehirnchemische Vorgänge ein. Das wird den meisten Lesern wenig Mehrwert bringen und der konkrete Praxisbezug fehlt in den wissenschaftlichen Erklärungen zu sehr, wenn man nicht gerade vom Fach ist. Man merkt dem Text viel Wissen und auch Engagement an, man kann sich gute Hintergrundinformationen dort hinausholen, aber er hätte wesentlich benutzer- bzw. leserfreundlicher gestaltet sein können, denn so war vieles zumindest für mich nicht nützlich. Ich bin an fundierten Hintergrundinformationen interessiert, aber sie waren für mich oft nicht adressatenkompatibel dargebracht (und der nonchalante Umgang mit Tierversuchen war unerfreulich). Den allgemeinen Erklärungen folgt dann ein recht langer Abschnitt über Angst in Verbindung mit Klimawandel, Corona und dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Das ist sehr aktuell, aber erstens viel zu ausführlich und zweitens sehr wiederholend. Dann fehlte mir auch hier der nützliche Praxisbezug. Wir lesen über sehr viele Umfragen und Untersuchungen - viele davon auf Jugendliche bezogen -, daß diese Krisen den Menschen Angst verursachen (was nicht unbedingt eine neue Information ist), alles sehr theoretisch. Dieser Abschnitt war für mich überflüssig, die wenigen praxisrelevanten Erkenntnisse hätte man wesentlich zusammenfassen können.
So fühlte sich dieses erste Drittel oft wie eine trockene, etwas zähe Abhandlung an, in der man mit Informationen überschüttet wird, die aber überwiegend zu theoretisch sind. Ein konzentrierterer, praxisbezogenerer Schreibstil oder einige Stichpunkte am Ende jedes Kapitels hätten hier geholfen, das Wesentliche zusammenzufassen und dem Leser deutlich zu machen. Erfreulich anzumerken sind die Fallbeispiele aus der Praxis des Autors. Diese hätten ruhig etwas ausführlicher sein können, um an konkreten Fällen die Behandlung und Erfolge zu verdeutlichen - so lasen sie sich manchmal zu kurz und es fehlten Informationen zum besseren Verständnis. Auch ein Abschnitt über Schlafstörungen ist sehr allgemein und eher oberflächlich gehalten - als jemand mit schweren Schlafproblemen fand ich das zu lapidar abgehandelt. In diesem ersten Drittel stimmte für mich also die Gewichtung zwischen trockener Theorie und praxisrelevanten Informationen nicht.
Das 6-Wochen-Programm beginnt mit einer Einführung, die wesentlich angenehmer zu lesen ist, sich hinsichtlich der Theorie auf das Wesentliche konzentriert und viele interessante Anregungen und Informationen enthält, auch sonst halten die Programmbeschreibungen gelungen die Waage zwischen Theorie und Praxis und liefern zahlreiche nützliche Informationen. So hätte ich mir auch den ersten Teil gewünscht.
Letztlich beruht das 6-Wochen-Programm darauf, seinen Lebensstil achtsamer zu gestalten und so mehr innere Ruhe aufzubauen, was letztlich auch bei - leichten - Ängsten helfen soll. Bei richtigen Angststörungen kann es allerdings höchstens - wenn überhaupt - leicht unterstützend wirken, und es hat mich enttäuscht, daß hier ein eher allgemeines und höchstens mild wirkendes Programm als Anti-Angst-Programm dargestellt wird.
Die sechs Wochen stehen jeweils unter einem anderen Motto und haben einen anderen Schwerpunkt. Letztlich wiederholen sich die Aufgaben aber doch sehr und wirklich unterschiedliche Schwerpunkte merkt man nur ansatzweise. Diese Schwerpunkte findet man am stärksten in den "Lesen und lernen"-Abschnitten, mit denen jede Woche beginnt und die den jeweiligen Schwerpunkt erläutern. Diese Texte sind größtenteils ausgezeichnet - informativ, praxisbezogen, auf das Wesentliche beschränkt. Allerdings ist der Text zum sicherlich für viele Leser entscheidenden Thema "Raus aus dem Angstkreislauf" vergleichsweise kurz und zum ebenfalls wichtigen Thema "Emotionen in Balance" gerade mal eine Seite lang. Im Vergleich zu fast 20 Seiten Untersuchungen zu Angst im Zusammenhang mit globalen Krisen ist das eine seltsame und unerfreuliche Gewichtung. Ich hatte bei dem Buch das Gefühl, daß es immer dann eine Vollbremsung hinlegt, wenn es mit dem eigentlichen Thema losgeht, und das wurde zunehmend frustrierend.
Den Übungen soll jede Woche eine Stunde gewidmet werden, davon eine halbe Stunde Spaziergang in der Natur. Ich halte es bei z.B. berufstätigen Menschen mit Kindern, die nicht in Naturnähe wohnen, etwas unrealistisch, zu erwarten, daß sie sechs Wochen lang jeden Tag eine Stunde + Anfahrt zum Wald o.ä. aufbringen können, sich derlei Übungen zu widmen, aber letztlich ist dieses Programm ein Angebot, das man dem Rahmen der eigenen Möglichkeiten sicher ausreichend anpassen kann. Die Übungen sind eine Mischung aus körperlichen Übungen (z.B. Yoga, Schwimmen, Krafttraining), die gut erklärt und manchmal bildlich dargestellt werden, aus Achtsamkeitsübungen, die sich sehr ähneln, aus naturmedizinischen Anwendungen wie Aromatherapie, Wickeln oder Wechselduschen und ansprechenden, vielseitigen Rezepten mit interessanten Erklärungen zur Wirkung von Lebensmitteln auf Körper und Seele, außerdem gibt es einige therapeutische Übungen und weiterführende Anregungen. Das ist von der Mischung her gut gemacht und sicher findet hier jeder etwas. Bei mir haben einige der Übungen keinerlei Wirkung gezeigt, andere kenne ich von früher als durchaus hilfreich - hier hilft ein wenig Herumprobieren.
Was leider komplett fehlt: eine Art Akutbereich, "Erste Hilfe" während einer Angstattacke, Hinweise zum Umgang mit solchen. Das finde ich bei einem "Anti-Angst Buch" sehr enttäuschend. Letztlich bekommt der Leser hier ein gutes allgemeines Achtsamkeitsbuch, mit milden Übungen, die entsprechend milde Wirkung zeigen. So kratzt das alles eher an der Oberfläche und gab mir den Eindruck, es wurde ein allgemeines Achtsamkeitsprogramm mit ein paar Angstinformationen versehen - das macht es aber keineswegs zu einem Anti-Angst-Programm. Wer zu Anspannung neigt oder einfach etwas besser mit sich umgehen möchte, wird hier sicher einiges Nützliche finden. Für Menschen mit einer Angstproblematik findet sich hier m.E. zu wenig konkret Anwendbares / auf ihre Situation bezogenes. Es ist ein gelungenes Achtsamkeitsbuch. Ein Anti-Angst Buch ist es aber m.M.n. nicht.
„Die Insel“ beginnt denkbar vielversprechend damit, daß die Ich-Erzählerin Maddy Teilnehmerin einer Fernsehshow ist, für welche acht Leute ein Jahr allein auf sich gestellt auf einer Insel zurechtkommen ...
„Die Insel“ beginnt denkbar vielversprechend damit, daß die Ich-Erzählerin Maddy Teilnehmerin einer Fernsehshow ist, für welche acht Leute ein Jahr allein auf sich gestellt auf einer Insel zurechtkommen müssen. Ich habe vor Jahren einen Krimi mit ähnlicher Prämisse gelesen und war dort von der tollen psychologischen Zeichnung der Teilnehmer begeistert. Ähnliche Erwartungen hatte ich an dieses Buch. Diese wurden aber leider nicht erfüllt. Die Charaktere bleiben farblos, zwei von ihnen konnte ich bis zum Ende nicht auseinanderhalten. Hier wird kaum psychologisch gezeichnet und das ist besonders deshalb bedauerlich, weil die Entwicklung der Geschichte auf einer Gruppendynamik beruht, die angesichts der blassen Charaktere kaum nachzuvollziehen ist und somit die Geschichte nicht glaubhaft tragen kann. Die Grundidee, die an „Herr der Fliegen“ erinnert, ist vielversprechend, die Umsetzung dagegen schwach.
Eine Ich-Erzählerin zu nehmen, ist ein guter Schachzug, denn wir sehen alles durch Maddys Augen, wissen dadurch vieles anfänglich nicht, außerdem macht Maddy genügend Andeutungen, die auf ihre Prägung durch einen schwierigen Hintergrund verweisen. Zunehmend stellt sich die Frage, wie verlässlich Maddys Sicht ist. Das liegt hauptsächlich daran, daß das Geschehen schnell extrem und unglaubwürdig wird. Beim Lesen gesellt sich eine Frage zur anderen, ein „Das kann ja eigentlich nicht sein“ zu einem „Auf die Erklärung dafür bin ich mal gespannt.“ Das ging mir nicht allein so; da ich dieses Buch in einer Leserunde las, weiß ich, daß viele Mitleser sich über Dinge wunderten, die keinen Sinn ergaben. Manches davon wird – oft unzureichend oder nicht nachvollziehbar – erklärt, anderes bleibt offen und so mußte ich feststellen, daß die Autorin ihre Geschichte oft unter Missachtung der Plausibilität entwickelt hat. Wenn man die unlogischen Punkte auflisten würde, käme eine ziemliche Liste zusammen. Das war für mich eine große Enttäuschung und beim Ende fühlte ich mich als Leser nicht ernst genommen. Die Auflösung vieler Fragen geschah am Ende zudem hastig und lieblos, außerdem übertrieben.
Positiv zu vermerken ist, daß es im Buch viele überraschende Wendungen und originelle Ideen gibt und es sich leicht und größtenteils ohne Längen liest. Die vorhandenen Längen entstehen hauptsächlich durch detaillierte Beschreibungen von Tagesabläufen und Überlebensmaßnahmen. Dies ist natürlich für die Geschichte wichtig, allerdings nicht in solcher (sich zudem wiederholender) Detailfreude. Teilweise hatte ich das Gefühl, ein Survival-Handbuch zu lesen. Wäre diese Akribie in die Charakterzeichnung gesteckt worden, hätte die Geschichte sicher sehr gewonnen. Der Schreibstil ist einfach, für meinen Geschmack etwas zu schlicht, auch die zahlreichen Wiederholungen waren manchmal ärgerlich (Beispiel: S. 260: „… außerdem konnte ich jedes Mal nur wenig Gepäck mitnehmen.“ / S. 261: „Da ich mich leise fortbewegen musste, konnte ich nicht allzu viel Gepäck mitnehmen“). Für einen Thriller zwischendurch ist der Schreibstil aber ausreichend.
Wer sich an zahlreichen Logiklöchern nicht stört, kann mit dem Buch unterhaltsame Lesestunden verbringen. Mir haben die o.g. Punkte das Lesevergnügen allerdings doch ziemlich beeinträchtigt.
Den Gedanken, deutsche Geschichte durch Zitate zu vermitteln, finde ich hervorragend. So kann man sich den Themen aus einem neuen Blickwinkel nähern und entdeckt hinter manchem vertrauten Zitat unbekannte ...
Den Gedanken, deutsche Geschichte durch Zitate zu vermitteln, finde ich hervorragend. So kann man sich den Themen aus einem neuen Blickwinkel nähern und entdeckt hinter manchem vertrauten Zitat unbekannte Hintergründe. Das Buch überzeugt auf den ersten Blick durch seine Hochwertigkeit. Der feste Umschlag mit dem Leinenrücken ist solide, die visuelle Gestaltung ansprechend. Hier hätte nur noch ein Lesebändchen zum Glück gefehlt.
In acht Kapiteln werden uns die Zitate vorgestellt, je Zitat mit etwa eineinhalb Seiten Text und einem kurzen biographischen Überblick über den Zitatgeber (oder Informationen zur Quelle). Die Überschriften und der Überblick am Ende sind in roter Schrift, was ansprechend und übersichtlich aussieht. Warum jeder Eintrag mit einer halben leeren Seite endet und dieser Platz nicht für weiteren Inhalt verwendet wurde, ist nicht ersichtlich, denn dieser Platz wäre leicht zu füllen gewesen. Die Einträge sind naturgemäß knapp gehalten und einige zusätzliche Sätze wären mir gerade da willkommen gewesen, wo manches etwas kurz abgehandelt wurde oder einige Zusatzinformationen sinnvoll gewesen wären. Allerdings enthalten die Einträge trotz ihrer relativen Kürze eine Fülle an Informationen – der vorhandene Platz wurde gut genutzt. Wir erfahren nicht nur die Hintergründe des jeweiligen Zitats, sondern auch allerlei Zusammenhänge, manchmal wird zudem dargelegt, wie sich der Gebrauch dieses Zitats über die Zeiten verändert hat. Es ist erfreulich, wie hier anhand des jeweiligen Aufhängers viel vermittelt wird. Das geschieht teilweise etwas trocken und manchmal hätte ich mir etwas mehr Objektivität in der Formulierung gewünscht, es ist aber insgesamt angenehm lesbar.
Jedes der acht Kapitel beginnt mit einer zweiseitigen Einführung zu der jeweiligen Epoche. Am Anfang befindet sich immer ein kleines Bild, welches die zu jener Epoche gängige Transportmethode zeigte – eine schöne visuelle Führung durch sich verändernde Zeiten. Die Einführungen sind ebenfalls informativ. Die Gewichtung allerdings fand ich enttäuschend. Natürlich ist der Abschnitt von der Zeit der Germanen bis zur Schlacht auf dem Lechfeld ziemlich kurz. Das ist angesichts des Mangels von Zitaten aus jener Zeit verständlich und ich bin angetan, daß hier überhaupt genügend gefunden wurden, um diese Epoche darzustellen. Ärgerlich finde ich aber, daß die Hälfte des Buches den relativ kurzen Zeitraum seit 1871 umfasst und sich fast ein Drittel des Buches mit der Nachkriegszeit beschäftigt. Diese Gewichtung ist extrem unausgewogen. Dies stört mich insbesondere deshalb, weil einige relevante Themen früherer Epochen gar nicht oder nur am Rande erwähnt werden oder trotz ihrer Bedeutung nicht annähernd die Beachtung bekommen, welche den Nachkriegsthemen zugedacht wird. So gibt es zur Wende insgesamt vier Einträge, während die Nationalversammlung von 1848/49 nicht einmal einen eigenen Eintrag hat, sondern nur in einem Nebensatz vorkommt. Wowereits Outing hat einen Eintrag, die gesamte Weimarer Klassik wird nicht einmal erwähnt. Greta Thunbergs „How dare you“, das für deutsche Geschichte keineswegs spezifisch ist, hat einen Eintrag, ebenso wie die albernen Trotzreaktionen Fritz Teufels, während von Barbarossa oder der Hexenverfolgung keine Rede ist. Ereignisse, die in einem Eintrag gut Platz gefunden hätten, werden im Nachkriegsabschnitt auf mehrere Einträge ausgewalzt, während in den früheren Abschnitten viel zusammengefasst und knapp behandelt wird. Dies ist übrigens auch der Hauptkritikpunkt, den ich am ebenfalls bei Duden erschienen „Meilensteine der deutschen Geschichte“ hatte – es scheint wohl bei Duden allgemein eine Bevorzugung für Zeitgeschichte zu herrschen, die aber in Werken zur gesamten deutschen Geschichte nicht angebracht ist. Das letzte Drittel dieses Buches enttäuschte mich und die unausgewogene Gewichtung kostet das Buch die fünf Sterne, die es ansonsten verdient hätte. Froh bin ich hingegen, daß der Autor nicht krampfhaft versuchte, mehr Zitate von Frauen einzubauen, nur um irgendeine Quote zu erfüllen, sondern sich da, wie es auch angemessen ist, an inhaltlichen Aspekten orientierte.
Für Geschichtsinteressierte ist es aber trotzdem ein interessantes Werk. Es hat mir, die ich mich beruflich und privat viel mit Geschichte beschäftige, einige neue Informationen und interessante Sichtweisen beschert, während ich mir Bekanntes überwiegend anschaulich dargestellt fand. Abgesehen vom letzten Teil sind die Zitate gut ausgewählt, werfen ein Licht auf viele Facetten der deutschen Geschichte und bieten durch die kurzen Einträge eine Möglichkeit, sich ohne großen Aufwand ein durchaus etwas tiefergehendes Grundwissen über viele Themen anzueignen. Die liebevolle, hochwertige Gestaltung ist ebenfalls ein Pluspunkt.
Das Buch hat mich anfänglich begeistert. Der Teenager Benny verliert seinen Vater, lebt nun allein mit seiner Mutter Annabelle und diese beiden müssen versuchen, mit diesem Verlust und mit allerlei Lebenswidrigkeiten ...
Das Buch hat mich anfänglich begeistert. Der Teenager Benny verliert seinen Vater, lebt nun allein mit seiner Mutter Annabelle und diese beiden müssen versuchen, mit diesem Verlust und mit allerlei Lebenswidrigkeiten zurechtzukommen. Das ist von der Thematik her interessant und wird anfänglich hinreißend erzählt, trotz des für meinen Geschmack zu schlichten Schreibstils. Es gibt direkt zu Beginn einige Skurrilitäten, mit denen ich nicht viel anfangen konnte, so kommuniziert das Buch selbst sowohl mit dem Leser wie auch mit Benny, dessen Geschichte es erzählt, auch ist die Geschichte des verstorbenen Vaters etwas bemüht unkonventionell. Aber dies stört nicht weiter und kann als originelle Note etwas beitragen.
Die Beziehung zwischen Benny und seiner Mutter ist ausgezeichnet geschildert und sehr nachvollziehbar. Annabelle, die nicht nur ein Messie ist, sondern allgemein so verloren und naiv wie ein kleines Kind wirkt, bemüht sich anrührend, sich um ihren Sohn zu kümmern. Sie scheitert immer wieder an sich selbst und so haben ihre Interaktionen mit Benny etwas berührend Schmerzhaftes. Auch Benny, der in diesem Umfeld viel zu früh erwachsen agieren muß, zwischen Mitgefühl für und Zorn über seine Mutter schwankt, ist ausgezeichnet dargestellt. Die Szenen zwischen den beiden sind die besten des Buches, haben so viel Echtes. Bennys inneres Leid vermittelte sich beim Lesen intensiv. Ich habe geradezu mit ihm mitgefiebert und ihm die Daumen gedrückt.
In der zweiten Hälfte aber nimmt das Buch leider eine wenig erfreuliche Wendung. Die Autorin ist Zen-Priesterin und letztlich ist die Zen-Philosophie das Thema des Buches. Das lässt sich anfänglich noch gut an – überlagert die Geschichte nicht zu sehr und bringt eine interessante Note hinein, auch wenn ich diese nicht gebraucht hätte. Dann aber wird es für meinen Geschmack viel zu abgedreht. Benny lernt mehrere obskure Leute kennen und verbringt viel Zeit damit, sich von ihnen allerlei gewollt Philosophisches erzählen zu lassen. Es sind uninteressante, sich wiederholende Unterhaltungen, teilweise mit skurrilen Nicht-Inhalten, teilweise mit platten Allgemeinplätzen („Nicht du bist verrückt, die Welt ist verrückt“, „Böser Kapitalismus“), die als tiefgehende Einsichten verkauft werden. Immer, wenn eine solche Begegnung anfing, fiel das Lesevergnügen auf den Nullpunkt und da diese Begegnungen sich wiederholten, wurde das Buch immer weniger lesenswert.
Gleichzeitig damit entdeckt Annabelle durch einen Ratgeber die Zen-Philosophie und das führt zu den nächsten Tiefpunkten der Lektüre. Handbuchartig bekommen wir so allerlei Zen-Lehren vorgesetzt. Auch „das Buch“ nutzt seine Kommunikation mit uns Lesern dazu, uns reichlich Theorie vorzubeten und dies natürlich nicht als Theorie, sondern als absolute Wahrheit. In völlig unnötigen Szenen reisen wir dann auch immer wieder zu der Autorin des o.e. Zen-Ratgebers und erfahren dort: nichts, langatmig erzählt. So wird die anfänglich so interessante Geschichte zu einer Zen-Werbeveranstaltung. Dies ist an sich schon ärgerlich, aber hinzu kommt, dass dieser Zen-Aspekt zur Geschichte eigentlich nichts beiträgt, sie sogar eher schwächt. Annabelles und Bennys Geschichte hätte ohne diese skurrilen Ausflüge viel besser funktioniert. Nachdem die zweiten Hälfte des Buches also größtenteils in abgedrehten oder handbuchartigen Passagen versinkt und sich bemüht, möglichst ungewöhnlich zu sein, wird dann am Ende blitzschnell ein Happy End draufgeklatscht. Alle notwendigen Erkenntnisse geschehen ganz plötzlich, alle notwendigen Behörden spielen sofort mit, alles Unheil wird plötzlich abgewendet. Nachdem es zuvor so gemächlich ging, wirkt das lieblos, zudem unglaubwürdig. Die etwa zweihundert Seiten mit überflüssigen Szenen hätten herrlich genutzt werden können, Annabelles und Bennys inneren Weg aufzuzeigen und das Ende der Geschichte glaubhaft und nachvollziehbar einzuleiten. Hier wurde eine Möglichkeit in zu viel Unnötigem ertränkt. Schade, denn die erste Hälfte war großartig.