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Veröffentlicht am 09.07.2024

Diplomatie und Ermittlungen in Maputo

Der Tote im Pool
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Aurel Timescu ist ein eher untypischer Diplomat. Zum einen steht er trotz rumänischer Herkunft als Konsul im Dienst Frankreichs, zum anderen zeichnet er sich durch den vollkommenen Mangel an Ehrgeiz aus. ...

Aurel Timescu ist ein eher untypischer Diplomat. Zum einen steht er trotz rumänischer Herkunft als Konsul im Dienst Frankreichs, zum anderen zeichnet er sich durch den vollkommenen Mangel an Ehrgeiz aus. Statt Ambitionen auf einen chicen Botschafterposten zu entwickeln, verweigert er sich konsequent und mit viel kreativen Ausreden der Arbeit und ständigen Erreichbarkeit, auf die seine Vorgesetzten Wert legen. Er lebt mehr für weißweinhaltige Nächte am Klavier in seiner Wohnung in Maputo als für das diplomatische Parkett der mosambiquischen Hauptstadt.

Aus der üblichen phlegmatischen Lebensweise erwacht Timescu in Jena-Christophe Rufins Diplomaten-Krimi "Der Tote im Pool" erst, als im Pool eines heruntergekommenen Hotels die Leiche des französischen Ministers gefunden wird und dessen ebenfalls französische Ehefrau wegen Mordverdachts in Untersuchungshaft landet.

Sich um Landsleute im Gefängnis zu kümmern gehört zu den Aufgaben der Konsularabteilung, doch das allein wäre für Timescu kein Grund, plötzlich Elan zu zeigen. Doch er sieht die Chance, den Mord aufzuklären - und da wird er plötzlich höchst aktiv, setzt auch Intuition und ist gar nicht erfreut, dass auch sein junger Chef Detektiv spielen will. Wie gut, dass der sich auch um eine Umweltdelegation kümmern muss!

Der Tote, das wird schnell klar, war kein besonders netter Mensch und hatte sich bereits in mehreren Ländern Afrikas unbeliebt gemacht. Eine Schwäche hatte er bis zuletzt für Frauen - mit der zweiten, einheimischen Ehefrau lebt er in Scheidung, die 19 Jahre alte Geliebte erwartet ein Kind von ihm. Liegt das Mordmotiv in Eifersucht und Gier? Oder hatte der Tote im Pool noch andere Geheimnisse?

Der Spannungsbogen des Buches ist eher gering, mehr geht es um den an Hercule Poirot erinnernden Hobby-Ermittler, der immer ein wenig lächerlich wirkt, sich aber auf seine weingeschwängerte Intuition verlassen kann. Die Schilderung der postkolonialen Expat-Szene und der diplomatischen Eitelkeiten wie auch afrikanischer Vetternwirtschaft sind amüsant zu lesen. Insofern eher ein Cozy im tropischen Ambiente mit einem Protagonisten, der in seiner Exzentrik für heitere Momente sorgt.

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Veröffentlicht am 29.06.2024

Queere Romance ohne Überraschungen

Experienced. Die Liebe bietet unbegrenzte Möglichkeiten
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Eine queere Liebesgeschichte für den Pride Month - das habe ich mir von "Experienced" von Kate Young erwartet, allerdings auch ein bißchen mehr Tiefe für Protagonistin Bette, die mit 30 Jahren ihre erste ...

Eine queere Liebesgeschichte für den Pride Month - das habe ich mir von "Experienced" von Kate Young erwartet, allerdings auch ein bißchen mehr Tiefe für Protagonistin Bette, die mit 30 Jahren ihre erste lesbische Beziehung hat. Ihr Glück wird getrübt, als ihr ihre Freundin Mei eine Beziehungspause vorschlägt, damit Bette Erfahrungen sammeln kann und nicht irgendwann später im Leben bereut, bei der ersten Frau hängengeblieben zu sein, ohne irgendwelche Vergleichsmöglichkeiten zu haben, außer mit den unbefriedigenden Beziehungen mit Männern, die sie zuvor hatte.

So heult sich Bette erst mal bei der einzigen lesbischen Arbeitskollegin aus und versucht ihr Glück bei Online-Dating. Ihr Problem: sie ist einfach keine Frau für one night stands, bei ihr müssen Gefühle ins Spiel kommen, und die hat sie ja nur für Mei. Immerhin wird aus einem ihrer missglückten Dates die Freundschaft mit Rachel, die fortan zum Sounding board ihrer Liebesprobleme wird.

"Experienced" ist im Stil einer romantic comedy geschrieben und ähnlich vorhersehbar wie die heteronormative Variante. Wer die üblichen Strickmuster kennt, weiß schon früh, wie sich die Story entwickeln wird, insofern also keine Überraschungen beim Lesen. Als leichte Sommerlektüre ist das durchaus geeignet. Das Buck ist locker und gefällig geschrieben und die Figuren sind sympathisch.

Schön wäre es allerdings gewesen, wenn Bette auf ihrem Weg durch den Beziehungsdschungel mehr Profil bekommen hätte. Als queere Protagonistin ihres Alters in dieser Zeit kommt sie mir jedenfalls nicht besonders glaubwürdig vor. Dass sie ihr Coming Out mit 30 hatte und da zum ersten Mal eine Frau kennengelernt hatte, bei der es gefunkt hat - das ist das eine. Aber dass sie so lange benötigt hat, um zu erkennen, warum es bei ihr mit Männern einfach nicht klappt? Dass sie Frauen begehrt? Das ist einfach unrealistisch. Es mag ja sein, dass frau über Jahre dem erwarteten Rollenverhalten entspricht, erst recht, wenn gesellschaftliche und familiäre Zwänge eine Rolle spielen. Aber das eigene Empfinden setzt ja schon deutlich früher ein und im 21. Jahrhundert ist es unwahrscheinlich, dass eine Frau mit 30 Jahren völlig überraschend zu der Erkenntnis kommt, dass sie eigentlich Frauen liebt.

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Veröffentlicht am 28.06.2024

Auf high heels durch die finnischen Wälder

Weißglut
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"Weißglut" von Tobias Quast spielt zwar im hohen Norden, genauer gesagt in Finnland, ist aber dennoch eher cozy als Scandinavia Noir. Hängt vielleicht auch damit zusammen, dass der Autor Deutscher ist, ...

"Weißglut" von Tobias Quast spielt zwar im hohen Norden, genauer gesagt in Finnland, ist aber dennoch eher cozy als Scandinavia Noir. Hängt vielleicht auch damit zusammen, dass der Autor Deutscher ist, wenn auch mit Finnland als zweiter Heimat. Ein deutsches Element liefert auch die Protagonistin, die Münchner Society Lady Sarah, die mit einer Auszeit in einem "Mökki", einem Ferienhaus an einem finnischen See, allem entkommen will: Dem schlagzeilenträchtigen Ehe-Aus, dem bevorstehenden Scheidungskrieg, den Geldforderungen ihrer Tochter und der Schickeria, die dank Illustrierten-Story weiß, dass sie von ihrem noch-Ehemann zugunsten einen 27-jährigen Schlagersternchens abserviert wurde. Danke, auf die öffentliche Demütigung kann sie verzichten.

In Finnland kennt zwar niemand Sarah, aber Probleme begleiten sie auch in die Idylle am See. Nicht nur, dass sie erst mal im falschen und nicht sonderlich heimeligen Mökki absteigt, sie findet am Morgen auch eine Leiche. Und ist für die Dorfgemeinschaft nicht nur die wahrscheinliche Mörderin, sondern wird auch gleich als heimliche Geliebte des Mannes gelabelt. Andere dagegen halten sie für eine Unterwelt-Russin. Und der ermittelnde Kommissar, der wie ein Klon des früheren Rennfahrers Mika Häkkinen aussieht und ständig Lakritze kaut? Sarah ist überzeugt, dass er nur darauf lauert, ihr Handschellen anzulegen.

Also muss sie selbst rauskriegen, wer den Nachbarn ermordet hat, mit tatkräftiger Hilfe der volltätowierten Anhalterin Ilvi, die trotz hippen Aussehens mit Sprichwörtern der finnischen Tradition um sich wirft. Auf high heels stöckelt Sarah durch finnische Wälder und auf Mittsommerfeste, versucht Tatverdächtige zu ermitteln und kommt hinter so manches Geheimnis der teilweise exzentrischen Dorfgemeinschaft.

"Weißglut" ist durchaus unterhaltsam, stellenweise in Richtung Klamauk, die Spannung hält sich allerdings in Grenzen. Im Grunde lebt das Buch von dem Kontrast der Luxusfrau in der eher kernigen naturnahen Umgebung und den Vorstellungen, die die Dorfbewohner von der Fremden haben. In einem zweiten Strang geht es um einen eher weltfremden und sozial isolierten Nachwuchswissenschaftler und seine Jagd nach einem Gegenstand, der die finnische Mythologie umschreiben könnte. Bis Sarah dahinter kommt, was das mit ihrer Mördersuche zu tun hat, hat der Roman ein paar Längen. Dennoch ein nettes Leseerlebnis mit ordentlich Skandinavien-Flair.

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Veröffentlicht am 18.06.2024

Entführung aus dem Nobelinternat

Der rote Spatz
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Mit Kindern hat Wirtschaftsspionin Eliza Roth-Schild ja eher nicht so viel zu tun. Ihr neuester Auftragsgeber in Marcel Huwylers "Der rote Spatz", ein Rüstungsindustrieller mit Wohnsitz in Monaco, lässt ...

Mit Kindern hat Wirtschaftsspionin Eliza Roth-Schild ja eher nicht so viel zu tun. Ihr neuester Auftragsgeber in Marcel Huwylers "Der rote Spatz", ein Rüstungsindustrieller mit Wohnsitz in Monaco, lässt sie allerdings als angebliche Mutter auftreten, die Schweizer Nobelinternate unter die Lupe nimmt. Sein Sprössling, so ist er überzeugt, ist ein verweichlichtes Muttersöhnchen, der eine härtere Schule und Distanz zu der liebevollen Mama braucht.

Neue Rolle, aber was tut man nicht alles für Geld, zumal Elizas Taxifahrer als nobler Chauffeur seine Belle Epoque-Phantasien bei der Recherche ausleben kann. Der Auftrag hat allerdings ein Nachspiel, als der Knabe aus dem Internat verschwindet und eine Lösegeldforderung auftaucht. Da sich die Direktoren diverser Internate an die Frau erinnern, die kurz zuvor einen Platz suchte und deren Fahrer sich auf mancher Sicherheitskamera verdächtig herumtrieb, rückt ein Spezialkommando der Polizei an und unterbricht Elizas Schönheitsschlaf.

Das Missverständnis ist schnell geklärt, auch wenn Eliza Erfahrungen mit schwedischen Gardinen macht, auf den die Frau mit dem Hang zum diskreten Luxus auch hätte verzichten können. Nun soll sie, noch so eine ungewohnte Rolle, ihrem Auftraggeber auch im Entführungsfall beistehen. Ihr Mitbewohner Fabio ist unterdessen einem Familiengeheimnis auf der Spur.

In Huwylers Buch spielt weniger der Plot eine Rolle - ich hatte schon bald geahnt, in welche Richtung sich der Fall entwickelt, als die leicht exaltierten Figuren. Vor allem Elizas chauffierender Assistent ist liebenswert-schrullig mit seiner Begeisterung für Undercovermissionen und Verkleidungen. Aber auch Eliza Roth-Schild ist eine Ermittlerin, die sich von den klassischen Polizistinnen, Privatdetektivinnen und anderen weiblichen Ermittlerinnen unterscheidet. Ich habe dieses Duo beim Lesen ins Herz geschossen. "Der rote Spatz" ist eher unterhaltsam als spannend und für Freunde des Nervenkitzels vielleicht nicht ausreichend, wer aber Cozy in Verbindung mit Upper Class-Gesellschaft mag, ist hier gut bedient.

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Veröffentlicht am 27.05.2024

Liebe, Wahn und Tod

Vergebens
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Im neuen Spreewaldkrimi von Christiane Diekerhoff um die Kommissarin Klaudia Wagner und ihre Kolleginnen und Kollegen des Polizeirevier Lübben geht es neben einem ziemlich blutigen Mordfall auch um allerlei ...

Im neuen Spreewaldkrimi von Christiane Diekerhoff um die Kommissarin Klaudia Wagner und ihre Kolleginnen und Kollegen des Polizeirevier Lübben geht es neben einem ziemlich blutigen Mordfall auch um allerlei große Dinge, von Transphobie über psychische Erkrankungen, Folgen tiefsitzender Traumata und daneben auch noch um viel Zwischenmenschliches im Arbeitsleben.

Denn abgesehen davon, dass der ausgesprochen brutale Mord an einem Gerichtsvollzieher aufzuklären ist und kurze Zeit später auch die Frau, die den Toten gefunden hat, tot ist, gärt ein Konkurrenzkampf im Lübbener Revier: Der langjährige Dienststellenleiter wird in den Ruhestand gegen, Klaudia hat sich für die Stelle beworben. Mit 46 Jahren wird es Zeit, Aufstiegswillen zu zeigen - doch eigentlich ist sie ja Vollblutermittlerin.

Will sie sich das wirklich antun, einen Job, der von Verwaltung und Dienstplänen geprägt ist. Zudem hat Klaudia Konkurrenz durch den smarten LKA-Ermittler Meinert, Mitte 30 und obendrein Polizeigewerkschafter, einer der vermutlich gut ankommt beim Personalrat. Für die Zusammenarbeit im kleinen Team jedenfalls ist die Jagd auf den Chefposten eher suboptimal, während sich Lager für die jeweiligen Kandidaten bilden und auf Fehler der Konkurrenz geachtet wird.

Diekerhoff schafft es, Spannung mit einer ruhigen Erzählweise zu verbinden und immer wieder auch die Wälder und Flusslandschaften zu schilder, die neugierig machen auf den Spreewald. Der beschaulichen Landschaft zum Trotz hat der neue Fall der Lübbener Ermittler viele Untiefen und erlebt eine dramatische Zuspitzung. Beharrlichkeit und Hartnäckigkeit, aber auch voller Einsatz prägen dieses Team. Der Titel "Vergebens" passt für den Fall, in dem es auch um Liebe, Wahn und Tod geht.

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