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Veröffentlicht am 14.09.2024

Im Schlammbecken der misogynen Gesellschaft hilft auch keine schönste Version

Die schönste Version
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Mit „Die schönste Version“, erschienen 2024 bei Rowohlt Hundert Augen, ist Ruth-Maria Thomas ein polarisierender Roman gelungen, der auf jeden Fall Emotionen weckt. Die Bandbreite in meinem Bekanntenkreis ...

Mit „Die schönste Version“, erschienen 2024 bei Rowohlt Hundert Augen, ist Ruth-Maria Thomas ein polarisierender Roman gelungen, der auf jeden Fall Emotionen weckt. Die Bandbreite in meinem Bekanntenkreis geht dabei von Ekel und Abwehr hin zu purer Begeisterung – Spoiler: Ich reihe mich bei Begeisterung ein.

Was hat es auf sich mit der schönsten Version? Die Protagonistin Jella hat eine Beziehung mit Yannick, die von Anfang an unter dem Deckmantel romantischer Verheißung sehr problematisch ist – und immer mehr eskaliert, bis sich ein nicht mehr schönzuredener Übergriff ereignet. So weit, so bekannt – das Besondere an diesem Buch ist, wie genau und schonungslos ehrlich Ruth-Maria Thomas den Weg dahin zeichnet – und damit ins Herz unserer misogynen Gesellschaft blickt, in der weiblich gelesenen Menschen noch immer vermittelt wird, dass sie auf keinen Fall genug sind, so wie sie sind und dass sie immer Aufwand betreiben müssen, um zu gefallen, immer arbeiten müssen, immer besser werden müssen, auf keinen Fall einfach nur so sein können, wie sie sind, immer herausfinden müssen, was ihr Gegenüber sich gerade von ihnen wünscht und das dann anbieten müssen: Die schönste Version ihrer Selbst.

Das Härteste an dem Buch ist dabei diese Normalität, die unter allem liegt – und dass mich einfach gar nichts überrascht. Ich kenne das alles, es ist das, was immernoch große Teile der Mann-Frau-Beziehungen ausmacht. Auch die Eskalation habe ich vergleichbar erlebt.
Und diese ganze Täter-Rhetorik, mit der wir weiblich gelesenen Menschen aufwachsen, die wir von Anfang an inhalieren und zu unserer Wahrheit machen – und oft ein ganzes Leben brauchen, um uns davon zu befreien. Wie kann es sein, dass wir unseren Wert anhand von Männern definieren, warum sind wir dazu da, dass es ihnen gut geht? Das Patriarchat haut so dermaßen durch in diesem Werk. Erschreckend, dass die Protagonistin zu keinem Zeitpunkt wirkliche Lust erlebt oder Selbstbestimmung. Selbst als sie sich daran versucht, opfert sie sich nur und dreht das System nur scheinbar um, schadet sich dadurch aber nur noch mehr. Viele Teile davon kenne ich auch, kennt jede Frau. Hier auf die Spitze getrieben in einer endlosen Reihung. Wie sogar eine klare Vergewaltigung noch mit Täter-Rhetorik bagatellisiert wird durch sie selbst, es ist einfach erschütternd. Ruth-Maria Thomas beschreibt das so gut, schreibt so dicht und so nüchtern, daraus entsteht eine karge Härte, die mich total berührt.

Ich weiß nicht, ob auch von anderen Menschen verfolgt wird, wie sehr aktuell Gewalt gegen Frauen wieder zunimmt. Nicht, dass sie je wenig gewesen wäre. Wenn mensch sich durch dieses Buch gekämpft hat, dann ist klar, warum es so wichtig ist, Femizide genau so zu bezeichnen und nicht als Beziehungstat oder Eifersuchtsmord. Die Zahl der Femizide und der täglichen Gewalttaten an Frauen ist auch in Deutschland viel zu hoch (jede Zahl mehr als 0 wäre das), die Euphemismen, die täglich gebraucht werden, unendlich, die psychische Gewalt und Diskriminierung, die wir erfahren, einfach unerträglich. Wir leben in einer strukturell misogynen Gesellschaft. Das muss endlich aufhören. Ruth-Maria Thomas schreibt dieses Elend einfach perfekt zusammen. Und auch wenn sie mich gegen Ende einmal kurz verloren hat, weil ich eine Volte, die sie schlägt, wirklich nicht mehr glaubhaft und begründbar fand:

Vor uns liegt ein bewegendes, aufrüttelndes Buch, dem ich viele Leser:innen wünsche, vor allem aber viele Leser. Es ist Zeit, aufzustehen gegen die Misogynie, gegen das, was wir von klein auf lernen: Dass wir gefallen sollen – und dass es unsere Schuld ist, wenn das nicht klappt. Und, das ist das Schlimmste: Dass wir dann nichts wert sind. Beenden wir das. Nicht die schönste Version sein. Wir sind genug. Wir müssen niemandem gefallen. Außer uns selbst.

Warum es Feminismus braucht? Lest dieses Buch.

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Veröffentlicht am 13.09.2024

Falsch gelabelt

Die Abschaffung des Todes
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„Die Abschaffung des Todes“, der neue Thriller von Andreas Eschbach, erschienen 2024 bei Bastei Lübbe, scheitert vielleicht an dem Label, das der Verlag ihm gegeben hat. Viel mehr Wissenschaftsroman als ...

„Die Abschaffung des Todes“, der neue Thriller von Andreas Eschbach, erschienen 2024 bei Bastei Lübbe, scheitert vielleicht an dem Label, das der Verlag ihm gegeben hat. Viel mehr Wissenschaftsroman als Thriller, weist der enorm ausführlich recherchierte 650-Seiten-Brecher leider neben einer Menge spannender Informationen und Gedanken erhebliche Längen und leerlaufende Plotstränge auf. Zudem war für mich die Handlung und Entwicklung durchweg sehr vorhersehbar. So bin ich nach mehrfachen Abbruchüberlegungen, da zu keiner Zeit bei mir Thrill aufkam, aus dem Buch gegangen mit dem Gefühl, dass hier entweder ein Lektorat dem Werk mit deutlichen Straffungen hätte helfen sollen – oder der Verlag sich für vielleicht geringere Verkaufszahlen aber dafür eine etwas ehrlichere Einordnung in ein anderes Genre hätte entscheiden müssen.

Der Thriller beginnt mit einer netten Grundkonstruktion, die Hauptfigur, der Journalist James Henry Windover schreibt ein Buch im Buch, in dem er uns über seinen wilden Ritt durch die Untiefen der Neurologie und Existenzphilosophie erzählen wird. Dieser kleine Trick sorgt im Verlauf des Buches immer wieder für Comic Relief – nur dass ich leider zu keinem Zeitpunkt Relief brauchte. Windover wird beauftragt, sich für eine Investorin ein neues Geschäftskonzept vorstellen zu lassen, Youvatar, und soll seine Einschätzung geben, ob sich hier eine Investition lohnen würde. Ich will nicht spoilern, aber sagen wir mal so: Der Titel des Buches lässt in der Tat ein wenig erahnen, worum es vielleicht geht. Von diesem Punkt aus wird Windover im Versuch, das Geschäftskonzept und den damit zu erlangenden Profit genau zu entschlüsseln, in eine Verkettung von Kontakten und Erkenntnissen gestürzt, die dazu führt, dass er um sein Leben fürchten muss.
Klingt nach Thriller – stellt sich aber im Buch nicht so dar, da Eschbach, der selbst sagt, noch nie hätte er für ein Buch so viel recherchiert (und das stimmt gewiss!!!), gefühlt auch all sein recherchierter Wissen in den Roman pressen will, was zu einer enormen Verlangsamung der, sowieso eher dürftigen, Handlung führt und einfach keine Suspense aufkommen lässt. Zudem sind die scheinbaren Plottwists allesamt so klar aus der Vorhandlung ablesbar, dass auch hier keine Überraschung aufkommt. Leider bleiben auch Figuren, die spannend eingeführt werden, dadurch auf der Strecke, wahrscheinlich war einfach kein Platz mehr, auch noch für sie die Handlung weiterzuführen (und hier trifft es vor allem die Frauenfiguren, was feministisch gesprochen besonders schade ist, da Eschbach hier eigentlich mit aufregenden Charakterisierungen startet, für die am Ende dann doch nur 50er Jahre Problematiken übrigbleiben).

Gut gefallen haben mir die Diskussionen von Werten und Moral, die existenzphilosophischen Aspekte und Debatten, die Eschbach wirklich hervorragend herauskristallisiert, jedem Philosophie Leistungskurs würde ich dieses Buch ans Herz legen wollen! Und auch der Humor, der sich immer wieder kurz zeigt, hat mich ein bisschen bei der Stange gehalten. Aber für einen Thriller fehlt mir einfach fast alles, was das Genre ausmacht. Als es dann doch einmal kurz zu einer Verfolgungsjagd kommt, wirkt diese eher wie reingepropft, huch, ach ja, es ist ja ein Thriller!

Ich glaube wirklich, hier wurde sich leider nicht klar für ein Genre entschieden im Vorfeld und so hängt das Buch zwischen allen Stühlen. Großer Respekt vor der enormen Rechercheleistung, wie immer schreibt Eschbach auch fluffig und elegant und dröselt die Sachzusammenhänge enorm klug auf. Es fehlt aber an Tempo, Handlung und einem wirklichen überraschenden Clou am Ende, nachdem über 600 Seiten lang darauf hingearbeitet wurde. Thematisch stark, Fans der Neurowissenschaften sollten hier unbedingt reinschauen. Als Thriller leider am Ziel vorbei.


Ein großes Dankeschön an lesejury.de und Bastei Lübbe für das Rezensionsexemplar!

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Veröffentlicht am 10.09.2024

Zwischen Nostalgie und Hoffnung

Verlassene Nester
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„Verlassene Nester“ von Patricia Hempel, erschienen 2024 bei Tropen und nominiert für den Alfred-Döblin-Preis 2023, ist ein Roman, der sich anfühlt wie einer dieser letzten Spätsommertage, warm, aber auch ...

„Verlassene Nester“ von Patricia Hempel, erschienen 2024 bei Tropen und nominiert für den Alfred-Döblin-Preis 2023, ist ein Roman, der sich anfühlt wie einer dieser letzten Spätsommertage, warm, aber auch schwer, der Herbst schon spürbar, es liegt ein letztes Bienensummen in der Luft und die Menschen sind etwas träge, der nahende Winter macht alle ein wenig melancholisch, aber noch ist es ja Sommer.

Es ist 1992, noch relativ kurz nach der Wende, wir befinden uns in den neuen Bundesländern, recht grenznah der ehemaligen Grenze zwischen DDR und BRD. Pilly, ein 13-jähriges Mädchen, befindet sich mitten im Umbruch, einerseits kickt die Pubertät, andererseits kickt die Wiedervereinigung. Pillys Mutter ist vor einigen Jahren unter nicht geklärten Umständen verschwunden, Pillys Vater ist alkoholsüchtig und hat das Herz am rechten Fleck, aber auch einen Koffer, der ein großes Geheimnis birgt und den Kopf voll mit Sorgen, die ihn davon abhalten, sich gut um Pilly zu kümmern. Das Leben tropft vor sich hin, der Westen rückt irgendwie immer näher, und die Dagebliebenen pendeln zwischen sehnsuchtsvoller Verheißung und Festhalten am Alten, von dem ja vieles auch schön und gut war. Zwischen Spielplatz, Kleingartenparzelle und Plattenbau entspinnt sich das Leben mit all seinen Grausamkeiten – aber auch mit einer tief verwurzelten Gemeinschaft.

Hempel schreibt sehr atmosphärisch und lässt mit vielen Details die beschauliche und übersichtliche Kindheitswelt von Pilly entstehen. Beschaulich ist diese nur auf der Oberfläche, darunter brodeln die Konflikte – aber man hat gelernt: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Jede Menge Zeitkolorit und ausführliche Beschreibungen lassen die Zeit kurz nach der Wende sehr lebendig werden, allerdings gibes wenig Erläuterungen, so dass für Menschen ohne DDR- oder Geschichtswissen Google wahrscheinlich der beste Freund beim Lesen dieses Buches wird; hier wäre ein Glossar vielleicht eine hilfreiche Maßnahme gewesen. Die Beobachtungen sind nüchtern und unsentimental, ich hatte teilweise beim Lesen eine Dokumentarfilm-Erzählerstimme im Kopf, aber das war für mich stimmig. Das Erzähltempo ist langsam, was sich zu Beginn des Romans noch gut anfühlt, mit zunehmendem Handlungsfortgang dann aber doch etwas anstrengend wird. Es werden sehr viele Handlungsstränge und Figuren aufgemacht, die leider nicht alle und nicht einmal fast alle zu einem Ende geführt werden. Dabei bleiben auch einige zentrale Fragen offen, was mich in diesem Fall doch sehr gestört hat, da die Antworten auf die offenen Fragen entscheidend wären. Das Ende des Buches war für mich sehr herbeigeholt, fast hatte ich das Empfinden, die Autorin hat keinen anderen Ausstieg aus einer Geschichte gefunden, die sie nicht weiter am gleichen Ort fortschreiben wollte. Das fand ich schade, denn der Konflikt der Dagebliebenen hätte mich gerade vor Ort weiter interessiert.

Es ist ein Buch, dass ich über weite Strecken sehr gern gelesen habe und in dem ich wirklich viel über die DDR und das Leben nach der Wende gelernt habe. Aber auch ein Buch, das mich irgendwann ein bisschen verloren hat und sehr unbefriedigt zurücklässt, weil es keine wirklichen Entscheidungen treffen möchte. Was mir gut gefallen hat, ist die immer wieder auftretende Einbindung des Buchtitels in die Handlung – und dass zu keinem Zeitpunkt gewertet wird. Wir müssen noch heute die Wiedervereinigung, die doch eher ein Verschlucken war, aufarbeiten. Dass das nicht geschieht, ist ein großer Fehler, der sich aktuell in Wahlergebnissen darstellt. Die Wurzeln davon kann man in diesem Buch spüren. Insofern auf jeden Fall eine Leseempfehlung und der Vorschlag, sich in die Köpfe der Menschen hineinzuversetzen, die noch beide Systeme erlebt haben. Insgesamt reicht es leider dennoch nur für 3,5 Sterne, da ich die gleichbleibende Ausführlichkeit irgendwann ermüdend fand und mir ein starkes Ende fehlt.

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Veröffentlicht am 08.09.2024

Ein Buch wie eine Glasperle

Das Geheimnis der Glasmacherin
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Tracy Chevalier legt mit „Das Geheimnis der Glasmacherin“, erschienen 2024 bei Atlantik/Hoffmann und Canmpe, einen sehr besonderen historischen Roman vor, der insbesondere für Venedig-Liebhaber:innen ein ...

Tracy Chevalier legt mit „Das Geheimnis der Glasmacherin“, erschienen 2024 bei Atlantik/Hoffmann und Canmpe, einen sehr besonderen historischen Roman vor, der insbesondere für Venedig-Liebhaber:innen ein Must-Read ist. Das Buch kommt mit einem motivisch zauberhaften Schutzumschlag und ist zudem mit einem Farbschnitt versehen, der seinesgleichen sucht, eine Pracht im Bücherregal!

Erzählt wird die Geschichte von Orsola Rosso, Tochter einer Glasmacherfamilie auf der Insel Murano vor Venedig im Jahr 1486, die nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters heimlich die Kunst des Glasmachens und der Glasperlenherstellung erlernt, um den Familienbetrieb zu retten. Der besondere Kniff dieses Romans, der sehr viele Informationen über die Kunst des Glasherstellens behält und einen tollen Einblick in die Historie und viel Lokalkolorit der Lagungenstadt Venedig und der Insel Murano bietet, ist, dass Chevalier dabei die Zeit auf der Insel Murano in einem anderen Tempo als auf dem Festland und in Venedig vergehen lässt – was ihr die Gelegenheit gibt, ein zeitliches Panorama vom 15. Jahrhundert bis in die heutige Zeit zu spannen – ein wirklich beeindruckendes Projekt. Dabei werden insbesondere die Ereignisse rund um die Lagunenstadt seziert und die Lesenden lernen viel über die besondere Beziehung der Lagunenbewohner zu den Festland-Italienern. Auch lässt Chevalier immer wieder italienische Worte einfließen, was als Stilmittel genutzt die Lesenden sehr das italienische Flair spüren lässt.

Ich fand es sehr spannend, über die strikten Regeln der Glasmacherkunst zu lesen, die eine ganz eigene Welt formen – und natürlich hat auch Orsolas Geschichte ihre Besonderheiten, über die ich nicht zu viel verraten will. Insgesamt war es mir manchmal fast ein bisschen viel der Information, weshalb ich mich nicht ganz zu 5 Sternen durchringen kann, aber ich habe diesen Roman insgesamt sehr genossen und bin vor allem von dem Formexperiment (diese lassen sich ja bei historischen Romanen doch eher selten finden) sehr begeistert. Eine klare Leseempfehlung für dieses Buch, das selbst wie ein wunderschönes Muranoglas schimmert.

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Veröffentlicht am 02.09.2024

Löst leider sein Versprechen nicht ein

Kleine Monster
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„Kleine Monster“, der zweite Roman von Jessica Lind, erschienen 2024 im Goya Verlag, hat mich über weite Strecken sehr gefesselt, aber dann leider zweigespalten und enttäuscht zurückgelassen. Vielleicht ...

„Kleine Monster“, der zweite Roman von Jessica Lind, erschienen 2024 im Goya Verlag, hat mich über weite Strecken sehr gefesselt, aber dann leider zweigespalten und enttäuscht zurückgelassen. Vielleicht ist daran auch einmal mehr ein Klappentext Schuld, der eine Leseerwartung erzeugt, dem die Geschichte dann einfach nicht gerecht wird, fehlgeschlagenes Marketing also, aber insgesamt sind die Fragezeichen am Ende des Buches so groß, dass es doch auf keinen Fall nur daran liegt.

Was uns der Klappentext verspricht:
Pia und Jakob werden in die Grundschule zitiert, es gab einen Vorfall, mit einem Mädchen, einen Übergriff durch ihren siebenjährigen Sohn Luca. Pia und Jakob können zunächst nichtr glauben, was ihrem Sohn vorgeworfen wird. Aber Pia entfremdet sich im weiteren Verlauf immer mehr von ihrem Sohn und wird dabei schließlich auch mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert.
Mich hat der erste Teil des Buches sehr gepackt, ich stelle mir das schon immer sehr schlimm vor, wenn sich das eigene Kind von einem entfernt (oder mensch sich von dem Kind?) und ein Misstrauen einzieht, das dann einfach alles und jeden Moment immer wieder in Frage stellt. Jessica Lind schreibt atmosphärisch sehr dicht und beklemmend, mir zog sich alles zusammen, immer wieder kommt es auch zu übergriffigen Szenen, die schwer zu ertragen sind. Anders als erwartet zeigt sich jedoch schon schnell, dass es einen psychologisch komplexen Zusammenhang mit den Elternpersonen gibt, was die Situation einerseits vielleicht verständlicher macht, andererseits hätte mich eher interessiert, wie eine solche Konstellation sich verhält, wenn es keinen Befund in der Elternfamilie gibt. Zunehmend wird deutlich, dass wir auf die Szenerie nur durch Pias Augen schauen, die sich als unzuverlässige Erzählerin erweist, weswegen sich immer mehr Fragen über Fragen stellen – was ist die objektive Wahrheit? Was ist geschehen, sowohl im Heute als auch in Pias Vergangenheit?
Dabei wechselt der Fokus sehr schnell fast komplett in Pias Vergangenheit hinüber und das Jetzt wird immer hinfälliger, ist nur Ausgangspunkt für eine Beschäftigung mit Pias Traumata.

Und dann kommt ein Ende, das ganz einfach nichts aufklärt. NICHTS. Da muss ich sagen, das hat mich wirklich verärgert zurückgelassen, denn so sehr ich offene Enden mag, das hier ist für mich dann doch Betrug am Leseerlebnis gewesen. Wir werden es also nie erfahren, was vorgefallen ist, im Heute, im Gestern. Somit werden wir auch nie ergründen können, schauen wir hier auf eine epigenetische Weitergabe von Trauma oder auf eine schlicht komplett psychotische Person? Das lässt mich ratlos zurück, davon konnte ich leider nichts mitnehmen.
Es gibt auch so einige Ungereimtheiten, heutzutage würde mensch immer eine Beratungsstelle hinzuziehen, da laufen eigentlich Standardprotokolle ab, davon ist im Buch nichts zu finden.

Die Autorin schreibt gut, dicht und spannungsgeladen, aber von der Beschreibung her habe ich etwas ganz anderes erwartet. Es wird über eine sehr lange Strecke sehr viel aufgebaut und am Ende verpufft das alles im Nirwana. Und so kann ich mich leider nur bei müden 3 Sternen einfinden und nicht wirklich eine Leseempfehlung aussprechen, es sei denn, die lesende Person mag den Flug ins Nirgendwo.

Ein kleines Highlight aber zur Versöhnung: Ich mag es sehr, wie der Titel des Buches in den Roman eingebunden ist – und ich bin begeistert davon, wie das Cover tatsächlich mal im Buch sinnstiftend auftaucht, statt „nur“ eine Illustration zu sein. Das Bild vom Spiegelwald und die Sehnsucht, dass es eine Welt geben könnte, in der diese noch heil und idyllisch ist, finde ich sehr eindrücklich.

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