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Veröffentlicht am 08.09.2024

Menschen können das Leben eines Anderen leben

Das Leben eines Anderen
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Rechtsanwalt Akira Kido, Ende 30, ist unzufrieden mit seinem Leben und nicht glücklich in seiner Ehe. Eines Tages sucht ihn eine Klientin auf, die er acht Jahre zuvor bei ihrer Scheidung von ihrem ersten ...

Rechtsanwalt Akira Kido, Ende 30, ist unzufrieden mit seinem Leben und nicht glücklich in seiner Ehe. Eines Tages sucht ihn eine Klientin auf, die er acht Jahre zuvor bei ihrer Scheidung von ihrem ersten Ehemann vertreten hatte. Rie hat ihren zweiten Mann Daisuke Taniguchi nach nicht einmal vier Jahren glücklicher Ehe durch einen Arbeitsunfall bei einer Baumfällung verloren. Ihr Mann hatte ihr viel von seinem früheren Leben erzählt, ihr aber ausdrücklich untersagt, Kontakt zu seinem Bruder aufzunehmen. Ein Jahr nach seinem Tod trifft sie den unsympathischen Kyoichi und erfährt, dass ihr Mann nicht der war, für den er sich ausgegeben hat. Rie beauftragt den Anwalt mit den Ermittlungen. Dieser sucht nun mit großem persönlichen Einsatz nach der wahren Identität des Verstorbenen und nach dem echten Daisuke. Dabei entdeckt er, dass es Menschen gibt, die Identitätstausch zu einem Geschäftsmodell gemacht haben und viele Kunden, die davon Gebrauch machen, einige sogar mehrfach. Manche wünschen einfach den radikalen Bruch mit ihrer Familie, andere wollen nicht Sohn oder Tochter eines bekannten Mörders sein. Auch Kido findet die Idee, das Leben eines anderen zu führen, nicht unattraktiv, eröffnet sie doch die Möglichkeit, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und eventuell eine neue Beziehung einzugehen, zumal seine Ehe in einer schweren Krise steckt: „Menschen können das Leben eines Anderen leben“ (S. 88). Auch der Leser wird sich bei der Lektüre vielleicht fragen, was ihn zu dem macht, der er ist und möglicherweise die eigene Existenz in Frage zu stellen.
Kido ist insofern in einer besonderen Situation, als er als Japaner mit koreanischen Wurzeln bei zunehmendem Rechtsextremismus in der japanischen Gesellschaft immer noch Anfeindungen befürchten muss, obwohl er voll integriert ist und seit seiner Schulzeit einen japanischen Pass besitzt. Ihn stört es empfindlich, wenn Menschen in typischem Schubladendenken nicht in ihrer Gesamtheit gesehen, sondern auf einzelne Merkmale reduziert werden: Koreaner, Rechtsanwalt.

Der Roman ist kein Thriller, aber er liest sich hervorragend, zumal er noch eine Reihe weiterer Themen behandelt: die Todesstrafe, durch die sich der Staat von jeder Verantwortung für die Taten eines Individuums freispricht, Erdbeben und Tsunami-Flutwellen inklusive Schäden an Atomkraftwerken, insbesondere die Katastrophe von 2011, durch die Tausende von Menschen starben, das Massaker an Koreanern von 1923, die Erfassung und Sicherung aller persönlichen Daten durch den Staat. Hiranos Roman gewährt Einblick in die japanische Kultur und Lebensart und ist sehr empfehlenswert.


Veröffentlicht am 01.09.2024

Das soll Liebe sein?

Mein Mann
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In Maud Venturas Roman „Mein Mann“ geht es um eine attraktive 40jährige, die als Lehrerin und Übersetzerin arbeitet. Sie ist seit 15 Jahren verheiratet und hat zwei Kinder. Sie könnte rundherum glücklich ...

In Maud Venturas Roman „Mein Mann“ geht es um eine attraktive 40jährige, die als Lehrerin und Übersetzerin arbeitet. Sie ist seit 15 Jahren verheiratet und hat zwei Kinder. Sie könnte rundherum glücklich sein, wenn da nicht ihre Obsession wäre. Sie liebt ihren Mann wie am ersten Tag, hat aber Angst, dass er sie irgendwann verlässt und sich scheiden lässt. Jeden Tag soll er seine Liebe in Wort und Tat beweisen, sonst wird er nach einem ausgeklügelten System bestraft. Im schlimmsten Fall betrügt sie ihn mit irgendeinem Bekannten, der für sie keine Rolle spielt außer als Mittel zum Zweck: der Bestrafung. Der Leser folgt der Beschreibung einer typischen Woche im Leben dieser Frau, die nicht einmal eine normale, liebende Mutter sein kann, weil die Kinder eigentlich nur stören und viel zu viel Zeit beanspruchen, die sie allein mit ihrem Mann verbringen könnte, wenn sie kinderlos wäre.
Es gibt nicht viel Handlung in diesem Roman. Da geht es in vielfacher Wiederholung immer nur um die Besessenheit und krankhafte Kontrollsucht der Protagonistin, die eigentlich nur auf ein Scheitern der Beziehung hinauslaufen können. Am Schluss wartet die Autorin in einem Epilog allerdings mit einer großen Überraschung auf, die mich mit dem Roman versöhnt hat.
Auch wenn die Geschichte stellenweise gewöhnungsbedürftig ist, ist sie interessant, gerade weil sie so anders ist als alles, was man kennt. Deshalb spreche ich dennoch eine Empfehlung aus.

Veröffentlicht am 01.09.2024

Eine Mordserie in einem verfluchten Dorf

Das Dorf der acht Gräber
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Der vorliegende Roman ist der dritte aus einer Serie von 77 um Privatdetektiv Kosuke Kindaichi. Tatsuya Terada, 28 kommt auf Einladung seines Großvaters in ein kleines japanisches Dorf, weil dieser ihn ...

Der vorliegende Roman ist der dritte aus einer Serie von 77 um Privatdetektiv Kosuke Kindaichi. Tatsuya Terada, 28 kommt auf Einladung seines Großvaters in ein kleines japanisches Dorf, weil dieser ihn zum Erben einsetzen möchte. Dieses Dorf hat eine bemerkenswerte Geschichte. Jahrhunderte zuvor wurden acht Samurai, die hier Schutz gesucht hatten, von den Dorfbewohnern ermordet, weil diese ihren Goldschatz an sich bringen wollten. Seitdem liegt ein Fluch über dem Dorf. 27 Jahre vor dem Einsetzen der Romanhandlung ereignete sich erneut ein Blutbad. Tatsuyas Vater Yozo aus der Tajimi-Familie tötete mehr als 30 Dorfbewohner. Sein vom Stiefvater aufgezogener Sohn Tatsuya ist deshalb nicht willkommen, weil man eine Wiederholung der furchtbaren Ereignisse befürchtet. Diese Furcht scheint nicht unbegründet, denn Tatsuyas Großvater stirbt durch Gift in der Gegenwart des Enkels, danach noch weitere Familienmitglieder, außerdem zwei Nonnen und ein Arzt. Die örtliche Polizei ermittelt, außerdem Privatdetektiv Kosuke Kindaichi. Auch Tatsuya versucht herauszufinden, wer hinter den Taten steckt. Er ist gleichzeitig der Hauptverdächtige. Der Leser verfolgt diese Ermittlungen mit unzähligen falschen Fährten und begleitet den jungen Mann durch unterirdische Gänge und Höhlen, wo er nicht nur Gold findet, sondern auch eine mumifizierte Leiche.

Die Geschichte ist wegen der unübersichtlichen Handlung und der ungeheuren Personenvielfalt nicht leicht zu lesen. Ich habe streckenweise den Überblick verloren. Bedauerlicherweise spielt Privatdetektiv Kosuke Kindaichi keine wesentliche Rolle in der Handlung. Er bleibt eine Nebenfigur. Dennoch hat mir der Roman insgesamt gefallen, und ich habe vor, weitere Titel der Serie zu lesen, wenn auch vielleicht nicht alle 77.

Veröffentlicht am 21.07.2024

Hollywood in den 30er Jahren

Eve
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Im neuen Roman von Amor Towles steht eine attraktive junge Frau im Mittelpunkt: Evelyn Ross genannt Eve. Sie reist mit dem Zug von New York nach Los Angeles und wohnt in einem Hotel in Beverley Hills. ...

Im neuen Roman von Amor Towles steht eine attraktive junge Frau im Mittelpunkt: Evelyn Ross genannt Eve. Sie reist mit dem Zug von New York nach Los Angeles und wohnt in einem Hotel in Beverley Hills. Sie lernt eine Reihe von Männern kennen, wie zum Beispiel den älteren, nicht mehr aktiven Schauspieler Prentice Symmons und Charlie, den Polizisten im Ruhestand und freundet sich mit der Schauspielerin Olivia de Havilland an, die auf den Beginn der Dreharbeiten von “Vom Winde verweht“ wartet. Eve wird von einem Studio engagiert, um den jungen Star zu beschützen. Die beiden Frauen gehen oft zusammen aus, besuchen viele angesagte Lokale. Eines Tages erhält Olivia einen Erpresserbrief mit einer hohen Geldforderung. Wenn sie nicht zahlt, ist sie ruiniert. Unbekannte haben in einer Umkleidekabine eine versteckte Kamera eingebaut, die junge Frauen ohne ihr Wissen nackt fotografiert. Eve forscht nach, wer hinter der Sache steckt und davon profitiert. Auch Ex-Polizist Charlie ist informiert und beobachtet die Übergabe des Geldes, wird aber außer Gefecht gesetzt, bevor er aktiv werden kann.

Der Roman entwickelt erst in der zweiten Hälfte ein bisschen Spannung, wirkt aber insgesamt mit den Episoden um unterschiedliche Figuren und ihrer Sicht auf Eve ziemlich zusammenhanglos und beliebig aneinandergereiht. Manche Szenen sind ganz amüsant, aber das reicht mir nicht. Von “Ein Gentleman in Moskau“ war ich begeistert. “Eve“ hat mich enttäuscht.

Veröffentlicht am 21.07.2024

Lügen und Geheimnisse

Die Sache mit Rachel
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Im Mittelpunkt von Caroline O´Donoghues Roman “Die Sache mit Rachel“ steht eine Frau namens Rachel Murray - als 21jährige Studentin und später in den 30ern als verheiratete Frau. Rachel studiert englische ...


Im Mittelpunkt von Caroline O´Donoghues Roman “Die Sache mit Rachel“ steht eine Frau namens Rachel Murray - als 21jährige Studentin und später in den 30ern als verheiratete Frau. Rachel studiert englische Literatur bei Dr. Fred Byrne, einem Spezialisten für viktorianische Literatur. Sie hat sich in den attraktiven verheirateten Mann verliebt und hofft, ihn bei einer Buchvorstellung in der Buchhandlung in Cork für sich zu gewinnen, wo sie einen Job angenommen hat, um ihr Studium zu finanzieren. Dort hat sie auch James Devlin kennengelernt, mit dem sie eine immer engere Freundschaft verbindet. James ist schwul, will es aber nicht zugeben. Fred Byrne stellt sein Buch über die irische Hungersnot im 19. Jahrhundert vor, aber die Dinge entwickeln sich nicht so, wie Rachel es sich gewünscht hätte. Sie lernt James Carey kennen und lieben, aber die Beziehung zerbricht bald wieder. Erst Jahre später werden sie sich in London wiederbegegnen.
Der Roman erzählt von Komplikationen und personellen Verflechtungen zwischen den zentralen Personen. Als zeitweilige Assistentin von Fred Byrnes Ehefrau muss Rachel mehrere Geheimnisse wahren und wird Opfer einer Verleumdung, die ihren Ruf ruiniert und sie zwingt, Cork zu verlassen. Niemand glaubt ihr, dass sie keine Affaire mit dem Professor hatte. Es geht in dieser Geschichte jedoch nicht nur um das ausschweifende Leben von jungen Studenten, sondern auch um Liebe und Freundschaft, Lügen und Verrat und nicht zuletzt um die Spätfolgen der großen Hungersnot, die Rezession von 2009/2010 und den langen Kampf irischer Frauen um das Recht auf Abtreibung. Es ist eine brillant erzählte Geschichte, die mich sehr beeindruckt und gefesselt hat. Eine absolute Leseempfehlung.