Bewegender Briefroman
Wo die Freiheit wächst„...Hier bei uns lassen sich die Leute mit jedem Monat, den der Krieg dauert, neue Halunkenstreiche einfallen, um ordentlich was zwischen die Zähne zu bekommen. Den ganzen letzten Sommer haben Opi und ...
„...Hier bei uns lassen sich die Leute mit jedem Monat, den der Krieg dauert, neue Halunkenstreiche einfallen, um ordentlich was zwischen die Zähne zu bekommen. Den ganzen letzten Sommer haben Opi und die anderen in den Schrebergärten in Ossendorf Wache geschoben, damit die Gurken und Möhren keine Beine kriegen...“
Wir schreiben den März 1942. Die 16jähige Lene lebt mit ihrer Mutter und den beiden kleinen Geschwistern in Köln. Ihr Vater gilt als gefallen. Ihr Bruder Kalli ist gerade in einem Ausbildungslager der HJ in Gleiwitz. Ihre beste Freundin Rosi hat mit der Familie Köln verlassen und arbeitet in Detmold in der Landwirtschaft. Lenes älterer Bruder Franz kämpft an der Ostfront.
Das Buch ist ein Briefroman, das heißt, die Geschichte wird durch die Briefe der Protagonisten erzählt.
Obiges Zitat stammt aus dem ersten Brief von Lene an Rosi. Sie bedankt sich für die Nahrungsmittel, die ihr die Freundin geschickt hat. Schon die wenigen Zeilen zeigen, dass Lene ihren jugendlichen Humor noch nicht verloren hat. Das ist keinesfalls selbstverständlich, denn aus den Briefen geht auch hervor, dass sie fast jede Nacht im Luftschutzkeller verbringen. Köln ist das wiederholte Ziel von Bombenangriffen. Doch noch hat Lene ihre Lehrstelle als Friseuse.
Die nächsten Briefe erzählen davon, dass sie Erich kennenlernt. Mit ihm und seinen Freunden geht es am Wochenende in die Natur. Sie kleiden sich anders, als es der Zeitgeist oder das Regime vorschreibt und singen ihre eigenen Lieder. Sie werden als Edelsteinpiraten in die Geschichte eingehen. Von dem politischen Geschehen allerdings möchte Erich Lene aus Sicherheitsgründen fernhalten. Das aber gelingt ihm nicht. Das junge Mädchen geht mit offenen Augen durch die Welt. Die Verfolgung der Juden ist für sie unverständig. Auch dem Krieg kann sie nichts abgewinnen.
„...Warum machen die Männer immer wieder Krieg? Sogar so Kerlchen wie Kalle, die noch keine richtigen Männer sind, führen sich auf – da bleibt einem doch die spucke weg...“
Dadurch werden ihre Briefe ernster. Es verliert sich zunehmend die Leichtigkeit.
Rosi trifft auf dem Gut auch Fremdarbeiter. Obwohl sie Lenes Haltung nicht nachvollziehen kann, was ab und an zu Verstimmungen zwischen den Freundinnen führt, muss sie erkennen:
„...Wenn ich den armen Kerlen aus Russland und Polen in die Augen sehe, denke ich: Gnade uns Gott, wenn wir den Krieg verlieren! So viel Hass! So viel Wut!...“
Franz redet Lene ebenfalls ins Gewissen, sich auf keine Risiken einzulassen. Er weiß, dass die Feldpost gelesen wird. Nur wenn er Vertrauten Briefe mitgeben kann, die Heimaturlaub erhalten, wird er deutlicher. Das klingt dann so:
„...Gerade 19 ist der Junge. Hat sich freiwillig gemeldet und dann zu spät gemerkt, dass der Krieg nichts mit dem Soldatspielen im Wehrertüchtigungslager zu tun hat...“
Franz hat dem Jungen das Leben gerettet, als der sich in den Oberschenkel schoss, um heimgeschickt zu werden.
Lene, Rosi, Erich und Franz sind jung. Sie träumen von einer Zukunft nach dem Krieg, von beruflichen Wünschen und Familie. Auch das kommt in den Briefen zum Ausdruck. Dabei ahnen sie nicht, in wie weiter Ferne diese Zukunft noch liegt. Es sind Briefe voller Gefühl, sei es Zuneigung, Sorge, Angst, Hoffnung. Es sind aber auch Briefe einer zerstörten Jugend, die Dinge gesehen und erlebt hat, die ich tief ins Gedächtnis einbrennen werden.
Ein inhaltsreiches Nachwort, ein würdigender Überblick über die Geschichte der Edelweißpiraten und eine Zeitleiste ergänzen das Buch.
Die Geschichte hat mir ausgezeichnet gefallen. Sie setzt den Jugendlichen ein Denkmal, die ich nicht vom Naziregime vereinnahmen ließen. Ein Zitat von Lene möge meine Rezension beschließen:
„...Es mag dich erschrecken, aber eines ist für uns ganz gewiss: Wir laden schwere Schuld auf uns, wenn wir nicht mit offenem Auge durch die Welt gehen und auch verkünden, was wir sehen...“