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Veröffentlicht am 11.07.2021

Ein spannender Krimi mit einer interessanten Erzählweise

Tannöd
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Inhalt: Tannöd. Auf einem abgelegenen Hof hat sich eine schreckliche Tat ereignet. Die gesamte Familie Danner, die den Hof bewirtschaftete, ist ermordet worden. Die Dorfgemeinschaft steht vor einem Rätsel. ...

Inhalt: Tannöd. Auf einem abgelegenen Hof hat sich eine schreckliche Tat ereignet. Die gesamte Familie Danner, die den Hof bewirtschaftete, ist ermordet worden. Die Dorfgemeinschaft steht vor einem Rätsel. Was hat sich auf dem Hof zugetragen? Eine Spurensuche beginnt.

Persönliche Meinung: Der Kriminalroman „Tannöd“ von Andrea Maria Schenkel ist eine literarische Verarbeitung des bis heute ungeklärten Hinterkaifeck-Sechsfachmordes (Im Jahr 1922 wurden die sechs Bewohner des Einödhofes Hinterkaifeck von einem Unbekannten mit einer Hacke getötet. Im Vorfeld und im Nachgang des Mordes kam es zu einzelnen seltsamen Begebenheiten, die bis heute nicht aufgeklärt werden konnten). Dementsprechend finden sich in „Tannöd“ Versatzstücke des realen Mordfalles. Auch die Handlung orientiert sich an dessen Chronologie. Der Krimi ist allerdings keine Dokumentation und kein Sachbuch, weshalb er sich literarische Freiheiten nimmt. So spielt die Handlung nicht 1922, sondern im Deutschland der Nachkriegszeit. Auch bleibt der Fall nicht ungelöst; zuletzt wird ein Täter präsentiert. In diesem Kontext besonders interessant ist die Erzählweise von „Tannöd“, da sie vergleichsweise komplex und fast schon experimentell ist. Erzählt wird die Handlung von unterschiedlichen Erzählinstanzen. Angestoßen wird das Ganze von einem unbekannten Ich-Erzähler, der als Kind seine Ferien in Tannöd verbracht hat, und nun als Erwachsener zurückkehrt, um von den Einheimischen zu erfahren, was auf dem Hof der Danners geschehen ist. Im Folgenden tritt der Ich-Erzähler aber völlig zurück und taucht nicht mehr auf. Zu Wort kommen andere Figuren: die einzelnen Dorfbewohner – und zwar in Form von Zeugenaussagen (Ich-Form). Interessant ist dabei, dass die Figuren jeweils andere Vermutungen haben, was sich auf dem Hof zugetragen haben könnte, sodass sie sich auch widersprechen. Während die Meinung der Krämerin bspw. von dem dörflichen Klatsch und Tratsch beeinflusst ist, sieht der Priester den Fall aus einer religiös geprägten Perspektive. Die Zeugenaussagen unterscheiden sich außerdem sprachlich: Jede Figur schlägt einen individuellen Ton ein, der sich in Wortwahl, Satzbau und Erzählduktus niederschlägt. Dadurch ist „Tannöd“ gewissermaßen – unabhängig von der Krimihandlung – ein Sittengemälde bzw. eine kleine Charakterstudie des dörflichen Mikrokosmos. Doch zurück zur Erzählweise: Im Wechsel mit den Zeugenaussagen finden sich Sequenzen, die in der Mordnacht spielen. Hier nimmt ein personaler Erzähler nach und nach die Perspektiven der Mitglieder der Danner-Familie ein und erzählt ihre letzten Stunden. Durch dieses diskontinuierliche Erzählen bricht „Tannöd“ bewusst immer wieder mit dem Handlungsfluss, wodurch es leicht experimentelle Züge erhält. Auch wird die Handlung nicht linear erzählt. Die Zeugenaussagen und die Sequenzen, die in der Mordnacht spielen, entfalten sich nicht chronologisch, sondern von hinten nach vorne. Wie die tatsächliche chronologische Reihenfolge der Sequenzen ist, offenbart sich er nach und nach. „Tannöd“ ist also kein Detektivroman, in der wir einer Ermittlerfigur in einem mehr oder weniger linearen Handlungsstrang folgen und mit ihr rätseln. Er ist allerdings dennoch sehr gut durchdacht und komponiert. Die Sequenzen sind kleine Steinchen, die Stück für Stück ein Mosaikbild entstehen lassen. Nicht immer weiß man direkt, welches Steinchen auf welchen Platz gehört, aber am Ende entsteht ein stimmiges und vollständiges Bild. Insgesamt ist „Tannöd“ eine interessante literarische Bearbeitung des Hinterkaifeck-Mordfalles, die durch eine spannende Erzählweise, bei der jede Figur ihre eigene Stimme erhält, besticht.

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Veröffentlicht am 07.07.2021

Ein spannender Kurzthriller mit einem überraschenden Ende

Eins, zwei, drei - vorbei
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„Eins, zwei, drei – vorbei!“ von Mel Wallis de Vries ist ein Kurzthriller, der an die Handlung von „Da waren’s nur noch zwei“ anknüpft. Fünf Jahre sind seitdem vergangen, das Ferienhaus in den Ardennen ...

„Eins, zwei, drei – vorbei!“ von Mel Wallis de Vries ist ein Kurzthriller, der an die Handlung von „Da waren’s nur noch zwei“ anknüpft. Fünf Jahre sind seitdem vergangen, das Ferienhaus in den Ardennen hat seinen Besitzer gewechselt und mit Melanie, Lizzy und Dominique möchte eine andere Clique dort ihre Ferien verbringen. Erzählt wird der Kurzthriller aus der Ich-Perspektive von Melanie. Die Figuren und ihre Konstellation erinnern an „Da waren´s nur noch zwei“: Dominique ist neu in die Klasse von Melanie und Lizzy gekommen und hat sich besonders mit Lizzy angefreundet. Melanie hat – wie schon Kim im Vorgängerband – das Gefühl, das fünfte Rad am Wagen zu sein, und Angst, ihre beste Freundin zu verlieren. „Eins, zwei drei – vorbei!“ ist ansonsten aber kein einfacher Abklatsch im Kurzformat. Spannend ist, dass Dominique, Lizzy und Melanie auf den Spuren von Kim, Feline, Abby und Pippa wandeln, was insgesamt schön gemacht ist. So finden sie einerseits Überbleibsel der vier Freundinnen im Ferienhaus und besuchen andererseits einen Handlungsort aus „Da waren’s nur noch zwei“. Auch ist das Ende von „Eins, zwei, drei – vorbei!“ ganz anders als das des Vorgängerromans: Es ist in gewisser Weise drastischer und erschreckender. Der Thriller besitzt eine schöne Spannungskurve, wobei diese zum Ende hin besonders stark wird. Wie von Mel Wallis de Vries gewohnt, lässt sich die Erzählung sehr flüssig lesen. Insgesamt ist „Eins, zwei, drei – vorbei!“ ein spannender Kurzthriller mit einem überraschenden Ende.

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Veröffentlicht am 06.07.2021

Mystery, leichter Horror und Coming of Age

Gwendys Wunschkasten
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Inhalt: Castle Rock. Auf ihrer täglichen Laufroute wird die 12-jährige Gwendy plötzlich von einem Mann mit Melone angesprochen. Er beschenkt sie mit einer wundersamen Kiste, die dazu in der Lage ist, Gwendys ...

Inhalt: Castle Rock. Auf ihrer täglichen Laufroute wird die 12-jährige Gwendy plötzlich von einem Mann mit Melone angesprochen. Er beschenkt sie mit einer wundersamen Kiste, die dazu in der Lage ist, Gwendys Wünsche zu erfüllen. Gleichzeitig geht mir der Kiste allerdings auch eine große Verantwortung einher…
Persönliche Meinung: „Gwendys Wunschkasten“ von Stephen King und Richard Chizmar ist eine Castle Rock-Novelle (ca. 120 Seiten), in der sich Mystery, leichter Horror und Coming of Age mischen. Erzählt wird die Handlung von einem auktorialen Erzähler, der Gwendys Jugend begleitet und mehrmals süffisant kommentiert. Meist schlägt er einen eher gemächlichen Ton ein. Gwendys Jugend wird nicht in voller Gänze dargestellt: Der Fokus der Erzählung liegt auf besonderen Ereignissen in ihrem Leben wie die erste Liebe, Konflikte mit Freunden oder das Erkunden der Funktionen der Kiste. Daher kommt es innerhalb der Handlung häufig zu Zeitsprüngen, wodurch die Erzählung an Unvorhersehbarkeit gewinnt. Die Stärke der Novelle ist, dass sie über die ganze Handlung hinweg im vagen lässt, wie die Kiste einzuordnen ist. Ist sie Fluch oder Segen für Gwendy? Was verlangt die Kiste von ihr? Wie nutzt Gwendy sie „richtig“? Ihre tiefere Bedeutung erhält die Novelle rückwärts motiviert: Was es tatsächlich mit der Kiste auf sich hat, wird zuletzt angedeutet, wodurch rückwirkend leicht moralisch-philosophische Gedanken in die Handlung getragen werden. Insgesamt ist „Gwendys Wunschkasten“ eine spannende Mystery-Novelle, die bis zuletzt einen unheimlichen Sog ausstrahlt.

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Veröffentlicht am 06.07.2021

Ein spannender Kurzthriller

Blutkristalle
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Inhalt: Ella plant mit ihrem neuen Freund Paul eine Winterwanderung. Wolfram begleitet sie – heimlich und ohne deren Zustimmung. Er muss Ella nämlich beschützen. Denn wenn Wolfram Ella rettet, wird sie ...

Inhalt: Ella plant mit ihrem neuen Freund Paul eine Winterwanderung. Wolfram begleitet sie – heimlich und ohne deren Zustimmung. Er muss Ella nämlich beschützen. Denn wenn Wolfram Ella rettet, wird sie endlich erkennen, dass nur er der Richtige für sie ist.

Persönliche Meinung: „Blutkristalle“ ist ein Kurzthriller (ca. 70 Seiten) von Ursula Poznanski, der in der Reihe „Eiskalte Thriller“ erschienen ist, in der noch weitere namhafte Autoren Kurzthriller präsentieren (z.B. Veit Etzold oder Michael Tsokos). Erzählt wird „Blutkristalle“ aus der (Täter-)Perspektive von Wolfram, einem Stalker, der es auf Ella abgesehen hat. Die wirren Gedanken Wolfram werden dabei glaubhaft und anschaulich dargestellt. Spannung entsteht besonders durch die Stimme, die Wolfram permanent hört und mit der er im Disput ist. Zuletzt endet die Handlung mit einem kleineren, überraschenden Twist. Der Thriller lässt sich sehr flüssig lesen. Insgesamt ist „Blutkristalle“ ein unterhaltsamer Thriller für einen spannenden Leseabend.

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Veröffentlicht am 02.07.2021

Ein dystopischer Klassiker

1984
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Inhalt: In einer Welt, in der der Große Bruder durch Teleschirme alles sieht und die Mitmenschen potenzielle Denunzianten sind, versucht Winston Smith seine Nische zu finden. Er ahnt, dass nicht alles ...

Inhalt: In einer Welt, in der der Große Bruder durch Teleschirme alles sieht und die Mitmenschen potenzielle Denunzianten sind, versucht Winston Smith seine Nische zu finden. Er ahnt, dass nicht alles so ist, wie die Sozialistische Partei Englands (kurz: Engsoz) es behauptet, doch wirklich greifen kann er diese Gedanken nicht. Auch, wem er wirklich vertrauen kann, ist unklar. Dies ändert sich, als Winston Julia trifft, wodurch sein Leben eine unerwartete Wendung nimmt…

Persönliche Meinung: Der dystopische Klassiker „1984“ ist das bekannteste und vielzitierteste Werk von George Orwell. Orwell behandelt hier, beeinflusst von den diktatorischen Regimen seiner Zeit, in einer Art Zukunftsvision die Strukturen des totalitären Einparteienstaates „Ozeanien“. Diesen erleben die Leser*innen aus der Perspektive von Winston Smith, eines Angestellten des Ministeriums für Wahrheit (das Ministerium ist dafür zuständig, in medialen Erzeugnissen die Vergangenheit umzuschreiben, sodass sie den gegenwärtigen Bedürfnissen der Partei entspricht und eine gültige „Wahrheit“ geschaffen wird). Viele Kerngedanken, die Orwell in „1984“ einbaut, finden sich bereits in „Farm der Tiere“. So decken beide verschiedene Macht- und Repressionsmechanismen eines totalitären Staats wie z.B. Manipulation, psychische Gewalt und Propaganda auf. Dabei geht „1984“ aber noch einige Schritte weiter als „Farm der Tiere“. Die Mechanismen sind ausgefeilter, in einen größeren (Staats)Zusammenhang eingebettet und stärker darauf bedacht, das Individuum zu brechen und das kollektive Gedächtnis systematisch zu eliminieren. Wie z.B. der alltägliche „Zwei Minuten Hass“: Durch eine zweiminütige Videosequenz soll mithilfe eines akustisch-visuellen Primings der Hass auf den Staatsfeind Nummer 1 gesteigert und die Bindung an die Engsoz erhöht werden. Selbst reflektiertere Menschen, wie Winston Smith, erliegen den infernalischen Lauten und beginnen zu hassen. Auf bedrückende Art faszinierend ist "1984" vor allem aufgrund des Überwachungsstaates "Ozeanien". Dieser ist total, dringt ins Innerste vor und sieht sich selbst als Perfektion des nationalsozialistischen und des sowjetischen Regimes an. In der Welt von "1984" ist nichts mehr privat. Alles, selbst das Ich und seine Gedanken, ist öffentlich und Nischen existieren nicht. Auch in die Sprache greift das Regime in Form von „Neusprech“ ein: Der Wortschatz soll drastisch reduziert, Wörter in ihrer Bedeutung eingeschränkt und durch prägnante Neologismen ersetzt werden, sodass man sich mit einer minimalistischen Anzahl von Begriffen verständigen kann, wodurch letztlich die Freiheit des Denkens vollends verhindert werden soll (ausführlicher thematisiert Orwell „Die Prinzipien von Neusprech“ im Anhang, was aus linguistischer Sicht interessant ist. Die deutsche Übersetzung von Gisbert Haefs ist übrigens sehr gut gelungen und fängt „Neusprech“ gut ein). „1984“ ist im Vergleich zu „Farm der Tiere“ ausufernder, weniger pointiert und handlungsstrukturell nicht so stark durchkomponiert. Dadurch zieht sich die Handlung stellenweise; andererseits werden durch die ausführlichen Beschreibungen die Repressionsmechanismen des Staats eindrücklich und deutlich; die Beklemmung nimmt dabei stetig zu.

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