Worte sind Erinnerungen an seelisches Leid
"Die Vergangenheit war niemals eine festgelegte und ruhige Landschaft, sondern man betrachtete sie stets neu. Ob wir wollen oder nicht, wir bewegen uns in einer Spirale fort und erschaffen Neues ...
"Die Vergangenheit war niemals eine festgelegte und ruhige Landschaft, sondern man betrachtete sie stets neu. Ob wir wollen oder nicht, wir bewegen uns in einer Spirale fort und erschaffen Neues aus dem, was vergangen ist."
Inhalt
Little Dog, ein junger Mann, der zusammen mit seiner Mutter und Großmutter in die USA immigriert ist, vertraut sich und seine Gedanken einem Brief an, den er an seine Mutter richtet, obwohl diese überhaupt nicht lesen kann. Deshalb wirkt der Text vielmehr wie ein Tagebuch, in dem sich der vietnamesische Mann mit seiner Kindheit, seinen Erfahrungen mit körperlicher Gewalt und den gelebten homosexuellen Empfindungen zu seinem drogenabhängigen Freund Trevor auseinandersetzt. Sehr viel schwermütiger Inhalt, gepaart mit einer poetischen aber schnörkellosen Sprache ergibt eine Art intellektuellen Kunstroman, der sich intensiv und philosophisch mit der Frage nach der Zumutbarkeit des Lebens beschäftigt.
Meinung
„Auf Erden sind wir kurz grandios“ ist ein ungewöhnlicher, bemerkenswerter Debütroman des vietnamesischen Autors Ocean Vuong. Weniger eine zusammenhängende Geschichte, die sich chronologisch offenbart, als vielmehr „ein Schiffswrack – die Teile dahintreibend, endlich lesbar.“ Für meinen Geschmack existieren zu viele, zu unstrukturierte Gedankengänge in diesem Buch, so dass die Handlung immer fortschreitet, ohne tatsächlich vorwärts zu kommen. Dadurch erscheinen mir auch die dramatischen Lebensumstände von Little Dog weniger krass, egal ob es sich dabei um den Zwiespalt zwischen einer liebevollen oder gewalttätigen Mutter-Sohn-Beziehung handelt oder der Aussichtslosigkeit auf Lebensglück in Anbetracht von Armut und Außenseitertum.
Dennoch halt der Text nach, vor allem wegen der Melancholie, der philosophischen Betrachtungen und der unbeschreiblichen Last eines Lebens komprimiert auf einen Brieftext, der weder bittet noch anklagt, der nicht trauert und zögert aber auch keine Ansprüche stellt.
Fazit
Ich vergebe 3 Lesesterne für diesen ungewöhnlichen Roman, der für die gesamte menschliche Gefühlspalette ein mächtiges, erdrückendes Bild entwirft, obwohl er mir stets zu distanziert blieb. Inhaltlich empfand ich ihn mühsam und bitter, während er sprachlich überzeugen konnte. Ganz klar erfüllt er nicht meinen Anspruch an ein bewegendes Leseerlebnis, weil er mir innerlich so fremd blieb und keine konkrete Form annimmt. Es fiel mir schwer, mich auf die Gedankenspiele einzulassen und das Gewicht der markanten Worte nachzuempfinden – wem das allerdings gelingt, der hält einen kleinen Schatz in den Händen.