Eine Herausforderung in Romanform
Der irische Autor Paul Murray wird gerne mit Jonathan Franzen, dem Meister des amerikanischen Familienromans, verglichen. Im Großen und Ganzen kann man dieser Aussage zustimmen, aber Murrays Tonfall ist ...
Der irische Autor Paul Murray wird gerne mit Jonathan Franzen, dem Meister des amerikanischen Familienromans, verglichen. Im Großen und Ganzen kann man dieser Aussage zustimmen, aber Murrays Tonfall ist wesentlich sarkastischer und die Probleme, die er seinen Protagonisten mit auf den Weg gibt, sind um ein Vielfaches herausfordernder als bei Franzen. Und ja, dabei überspannt er manchmal auch den Bogen, vor allem dann, wenn er in den individuellen Biografien wühlt und Verborgenes an die Oberfläche zerrt.
2008, die Zähne des keltischen Tigers sind stumpf, die Finanzkrise hat Irland im Griff und zerstört Existenzen. Auch die Familie des Autohändlers Dickie Barnes ist betroffen, aber anstatt sich an den Haaren aus dem Sumpf zu ziehen und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, entwickelt jede/r einzelne von ihnen eine individuelle Art, um mit dieser geänderten Situation umzugehen. Dickie steckt den Kopf in den Sand und bereitet sich lieber auf den Weltuntergang vor als sich den Problemen zu stellen, seine Frau Imelda ist da zumindest schon etwas pragmatischer und versucht durch den Verkauf ihres Schmucks Geld in die Haushaltskasse zu spülen. Cassie, die Tochter, trinkt sich die Lage schön, Sohn PJ verkriecht sich in Videospielen und will nur noch abhauen. Jede/r kämpft mit seinen eigenen Dämonen, angelegt in der Vergangenheit und in inneren Monologen und alternierenden Kapiteln etwas zu ausführlich dargestellt. Aber auch wenn das gegenwärtige Leben noch so deprimierend erscheint, gibt es doch immer wieder ein kurzes Aufblitzen von Hoffnung, von dem, was möglich scheint, um der scheinbar aussichtslosen Situation eine Wendung zu geben.
Ist „Der Stich der Biene“ mit seinen 700 Seiten ein typischer Familienroman? Nein, das ist kein Schmöker und keine Feelgood-Lektüre, denn dafür ist der Stil zu herausfordernd und die Bandbreite der behandelten Themen viel zu groß: familiäre Beziehungen, Lebenslügen und Geheimnisse, gesellschaftlicher Aufstieg und die damit einhergehenden Probleme, die gesellschaftliche Realität auf der grünen Insel nach dem wirtschaftlichen Abschwung, aber auch der verantwortungslose Umgang mit Ressourcen und Umweltschutz.
Murray hat Spaß am Fabulieren, aber auch wenn das stellenweise ausufert und geschwätzig erscheint, mischt er doch perfekt und entlarvend Tragik und Ironie. Er kriecht in die Köpfe seiner Protagonisten, erzählt deren Geschichten, das Ganze eher assoziativ als linear und verbeugt sich damit vor James Joyce und dessen Erzähltechnik (Stream of Consciousness), indem er sich auf Gedanken des Moments konzentriert. Anstrengend zu lesen, erfordert es Durchhaltevermögen und Konzentration plus die Bereitschaft, sich darauf einzulassen.
Sprachlich auf hohem Niveau und brillant übersetzt von Wolfgang Müller. Chapeau!