Schwächer als Band 1
Nachdem mir „Die Akte Adenauer“ so gut gefallen hatte, musste ich natürlich auch den Nachfolger über Philipp Gerber lesen, „Ein Präsident verschwindet“. Wieder geht es um reale Geschehnisse, die in einen ...
Nachdem mir „Die Akte Adenauer“ so gut gefallen hatte, musste ich natürlich auch den Nachfolger über Philipp Gerber lesen, „Ein Präsident verschwindet“. Wieder geht es um reale Geschehnisse, die in einen fiktiven Thriller verwoben werden, und wieder war der historische Teil sehr stark. Leider konnte mich der zweite Band aber nicht mehr ganz so begeistern wie der erste.
Geschichtsstunde mit farbenfrohen Figuren
Anders als der erste Band spielt sich in diesem Buch ein Großteil der Geschichte in Berlin ab – sowohl in West- als auch in Ostberlin. Damit ist der Hintergrund schon ein anderer und von Beginn an viel brisanter. Obwohl in den 50er Jahren die allgemeine Bevölkerung wohl noch nicht ahnen konnte, wie sich die Trennung Deutschlands in der Zukunft noch gestalten würde, ist die Anspannung auf jeder Seite mit den Händen zu greifen. Gerber ist dieses Mal auch noch mehr persönlich verwickelt in den Fall, und einige Figuren, die man schon vom ersten Teil kennt, treten auch wieder auf.
Die erste Hälfte des Buches ist stark und wird vor allem dadurch getragen, dass die internen politischen Intrigen zwischen den verschiedenen westdeutschen Organisationen, die den Fall aufklären wollen, durch menschliche Zwiste zu einem Pulverfass werden. Auch wenn Eva Herden im Mittelpunkt des Konflikts zu stehen scheint, hat sie kaum Auftritte, und in meinen Augen macht es den Plot stärker. Das Rätseln über ihre Handlungsmotivation auf der Seite von Gerber im Kontrast zu den offensichtlichen Verdächtigungen seiner Gegenspieler gibt dem historischen Konflikt eine mitreißende, persönliche Note.
Eine schwache zweite Hälfte
Umso enttäuschter war ich, als Eva schließlich selbst auftreten, denken, sprechen und handeln durfte. Hier wurde schnell klar, dass sie erneut praktisch keine agency hat. Interessanterweise hat das in diesem Buch auch Auswirkungen auf Gerber selbst. Obwohl er ein hochintelligenter und durchaus kampferprobter BKA-Ermittler ist, verliert er sich ebenso im Plot wie Eva. Immer wieder hatte ich das Gefühl, dass die Handlungsfreiheit aller Figuren eingeschränkt wurde, um die historischen Umstände darzustellen. Nicht die Motive von Gerber geben dem Plot Richtung, sondern äußere Umstände und weit entfernte Randfiguren.
Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, dass einige dieser Randfiguren – und auch Eva selbst – zwischendrin die Chance bekommen, über ihr eigenes Leben oder ihre Motive zu sprechen. Jedes Mal erscheint dies unnatürlich, ein langer Monolog über die Vergangenheit inmitten einer Szene, die eigentlich Tempo benötigt. Es wirkt ungelenk, als wollte man die ausgearbeitete Biografie der Figuren im historischen Setting noch einmal schnell unterbringen. Entsprechend ist das Ende unbefriedigend, da einerseits immer wieder das Tempo verloren gegangen ist, andererseits und viel schwerwiegender jedoch der Beitrag der Protagonisten zu gering erscheint.
Fazit
Der historische Thriller „Ein Präsident verschwindet“ fängt wie der erste Band stark an, verliert dann aber Richtung und Tempo. Obwohl Philipp Gerber als Ermittlerfigur nach wie vor spannend ist, gehen seine Beiträge zum Plot beinahe verloren vor dem historischen Hintergrund. Wo der erste Band noch wie ein Thriller, der zufällig zur deutschen Geschichte passt, gewirkt hat, nimmt der historische Kontext hier so viel Raum ein, dass die Geschichte selbst darunter leidet. Dennoch hat mir der zweite Band genug gefallen, um mich auf den dritten Teil, der 2023 erscheinen wird, freue.