Rasante Lektüre!
Ich habe eine zwiespältige Meinung zu Yellowface von R.F. Kuang, übersetzt von Jasmin Humburg, denn einerseits habe die Geschichte rund um die weiße Autorin June „Juniper Song“ Hayward, die einer Autorin ...
Ich habe eine zwiespältige Meinung zu Yellowface von R.F. Kuang, übersetzt von Jasmin Humburg, denn einerseits habe die Geschichte rund um die weiße Autorin June „Juniper Song“ Hayward, die einer Autorin of Colour, Athena Liu, das Manuskript stiehlt und es als ihr eigenes ausgibt, verschlungen! Zwischendurch hatte ich den Satz „it sucked me in like a juicy twitter drama“ im Kopf, denn so hat sich das Lesen angefühlt – witzig, denn das Buch hält den Twitter-Dramatiker:innen ganz schön den Spiegel vor. Andererseits hatte Yellowface aber nicht ganz den Nachhall, den ich mir erhofft hatte.
Ich habe erwartet, dass das Thema der kulturellen Aneignung und Ausbeutung von Diversität erkundet wird – wer darf welche Geschichten schreiben? Welche Intersektionen spielen eine Rolle? Athena Liu ist zwar Asian-American, kommt aber aus einem reichen Elternhaus und hatte einen privilegierten Bildungsweg. Sie schreibt dramatische, herzzerreißende Romane mit chinesischem Setting, ohne jedoch länger in China gelebt zu haben (die Parallelen zu Kuangs eigenem Hintergrund und Schaffen sind recht eindeutig). Teilweise verletzt sie ihre Familie damit, denn auch deren persönliche Geschichten bleiben von Athenas schonungsloser kreativen Verwertung nicht verschont. Mit welchem Recht dürfen diasporische Autor:innen über die Erfahrungen “anderer” schreiben, welche Rolle spielen postgenerationale Traumata? Diese komplexe Diskussion geriet im Verlauf des Buchs in den Hintergrund, was ich schade fand. Aber vielleicht war es auch zu viel erwartet, dass sich ein traditionell veröffentlichter, extrem gehypter Roman der neoliberalen Logiken einer ausbeuterischen Kreativindustrie entzieht?
Die angekündigte Kritik war für mich nicht konsequent zuende gedacht - dafür fand ich aber die Kritik, die auf individuelle Ebene ausgearbeitet wurde, spannend. Im Nachwort schreibt Kuang, dass Yellowface eine Geschichte über Einsamkeit als Schreibende, als „creative worker“, in der Buchindustrie ist - und das, das nehme ich dem Buch komplett ab.
June, aus deren Sicht erzählt wird, fängt an, ihren Selbstwert über bloße Zahlen zu definieren. Sie flüchtet sich in die Welt von Social Media und Oberflächlichkeiten, um sich immer und immer und immer wieder selbst zu bestätigen; ihre Bemühungen, sich wieder mit der Realität, mit ihren Mitmenschen zu befassen, scheitern. Kollegiale und freundschaftliche Beziehungen können von June nicht aufrechterhalten werden. Das ganze System ist auf Bewertung ausgelegt, was macht das mit einer kreativen Person? Was bedeutet es, produzieren zu müssen, ohne Pausen und mit viel Prekarität? Nebenbei lässt sie ihre Privilegien als weiße Autorin total aus, hat rassistisches Gedankengut verinnerlicht und verhält sich dementsprechend.
Gegen Ende gab es für meinen Geschmack zu viel Küchenpsychologisches, aber die Übertreibungen haben zum satirischen Ansatz gepasst. Und auch Athena hatte ein unfassbar einsames Leben, denn ihre Arbeit wird zwar vom Publikum wertgeschätzt, doch definierte sie sich über diesen Erfolg und insbesondere ihre Außendarstellung und Reichtum. Interessant, denn Kuang hat in einem Interview erwähnt, dass Athena all das verkörpert, was sie selbst hofft, niemals zu werden. Keine der beiden Figuren ist sympathisch und mir hat es Spaß gemacht, ihnen zu folgen und entlang ihrer moralischer Fragwürdigkeiten zu lesen.
Mein persönliches Fazit ist, dass es breite, intersektionale Bündnisse braucht, überall, auch - oder gerade bei - Personen, die kreativ tätig sind.
Vielen Dank an Vorablesen und den Verlag für das Rezensionsexemplar.