„Die Totenärztin - Wiener Blut“ von René Anour ist der erste Fall für Fanny Goldmann, einer junger Ärztin, die als Prosekturgehilfin in der Gerichtsmedizin Anfang des 20. Jahrhunderts arbeitet. Erschienen ist der Roman im Juli 2021 bei Rowohlt.
Wien, 1908: Der Fall scheint zunächst klar zu sein, als ein obdachloser Toter in die Gerichtsmedizin eingeliefert wird. Auf den ersten Blick deutet nichts auf einen Mord hin. Doch die junge Ärztin Fanny Goldmann hat einen Blick für die Details und so fällt ihr einiges auf, dass nicht ins Bild passen will. Sie entschließt sich die Leiche heimlich in der Nacht zu obduzieren und gerät so in eine Verschwörung, in der Diebe, windige Grafen und ein verschwundener Diamantstern Kaiserin Sisis eine große Rolle spielen. Ihre Ermittlungen führen Fanny an die unterschiedlichsten Schauplätze Wiens und bringen sie nicht nur einmal in Gefahr.
Ich kann freudig verkünden: Ich habe einen Krimi gelesen, in diesem Fall sogar historisch, und dieser hat mir richtig gut gefallen. Es gab schon den ein oder anderen Krimi, den ich ok fand, aber so richtig begeistern konnte mich dieses Genre bisher nicht. Mein Experiment mit den Krimi-Kurzgeschichten und der richtigen Erwartungshaltung finden, ist also geglückt.
Das Buch lässt sich nicht lange bitten und startet direkt mit der Obduktion einer Leiche. Mir hat es den Einstieg erleichtert, da es gleich zu Beginn viele interessante Informationen gibt und ich konnte mir alles sehr gut vorstellen. Das hier Medizinhistorie mit einem Kriminalfall verbunden wird, war eine der Dinge, die mich schon vor dem Lesen angesprochen haben. Darüber hinaus schafft es René Anour das Wien des 20. Jahrhunderts einzufangen und alles durch Humor aufzulockern. Mir hat diese Mischung wahnsinnig gut gefallen.
Fanny war mir sehr sympathisch und ich habe sie gerne begleitet. Anfang des 20. Jahrhunderts war es nicht selbstverständlich für eine Frau zu studieren und zu arbeiten. Sie hat sich dennoch für den Weg entschieden, der ihrem Wesen entspricht, auch wenn dies nicht den Konventionen der Zeit entsprach. Die Freundschaft von ihr und Tilde hat mir sehr gut gefallen. Tilde hat den Fokus so manches Mal etwas anders gelegt, aber sie war immer an Fannys Seite und sie hatte so manche hilfreiche Idee. Vielleicht tue ich den anderen Büchern in dieser Hinsicht unrecht, aber so eine Freundschaft zwischen zwei Frauen so wirklich frei von Missgunst und Konkurrenzdenken ist mir selten in Büchern begegnet.
Die gesamte Mischung an Charakteren war super. Fanny hat einen tollen Vater. Franz arbeitet mit ihr gemeinsam in der Gerichtsmedizin und begegnet ihr dort auf Augenhöhe. Schlomo war sein ganz eigenes Kaliber und konnte Fanny mit seinen besonderen Talenten bei den Ermittlungen helfen. Fannys Tante war altmodisch, manchmal etwas nervig, aber dennoch irgendwie liebenswert. Und natürlich gab es auch einige wenige Charaktere, die mir eher unsympathisch waren. Der Institutsleiter, der Fanny nicht ernst nimmt und sie nur als Gefallen an seine Ehefrau eingestellt hat, sei hier stellvertretend als Beispiel genannt.
Alte Hasen des Krimi-Genres konnten wahrscheinlich sehr schnell sagen, wer der Täter ist. Für mich war es sehr gut gemacht. Ich hatte Spaß daran als am Ende das gesamte Puzzle zusammengesetzt wurde und man sich dann an die Hinweise darauf erinnert hat. Es kam nicht ganz überraschend, aber es war immer noch interessant genug die Hintergründe dazu zu erfahren. Wäre es anders gewesen, dann hätte mich das Buch denke ich gelangweilt. Ich finde das immer schade, wenn ich die Auflösung einer Geschichte schon sehr früh ahnen kann.
Das Ende des Romanes hat mich dann nochmal kalt erwischt. Ihr werdet ziemlich sicher direkt weiterlesen wollen. Ich wollte es zumindest, habe mich allerdings zusammengerissen, da ich mein Glück in Bezug auf Krimis nicht überstrapazieren wollte. Ich bin sehr froh endlich einen Zugang zu diesem Genre gefunden zu haben, bin mir aber ziemlich sicher, dass ich jetzt nicht gleich unzählige Krimis hintereinander lesen möchte.
Bezüglich des Zusatzmaterials hat mich dieses Buch vollkommen zufrieden gestellt. Es gibt eine Karte von Wien im Buch, ein Glossar zu medizinischen und österreichischen Begriffen, ein Nachwort, das Fiktion und Wahrheit voneinander trennt sowie eine Danksagung. Die Anzahl der Personen ist übersichtlich, so dass es keines Personenverzeichnisses bedarf.
Fazit: Ein historischer Krimi, der mir von Anfang bis Ende gefallen hat und den ich in zwei Tagen durchgesuchtet habe. Die Mischung aus Medizinhistorie, Humor und Krimi im Wien des 20. Jahrhunderts hat mir wahnsinnig gut gefallen und ich bin sehr gespannt auf die Fortsetzungen. Wer einen Krimi mit einer tollen Freundschaft zwischen zwei Frauen lesen möchte, ist bei René Anour an der richtigen Adresse.