Der historische Roman „Die englische Fürstin“ von Sabine Weigand ist am 28. August 2019 im FISCHER Krüger - Verlag erschienen und spielt die meiste Zeit in Deutschland, aber auch in England und Frankreich.
Daisy (Mary Theresa Olivia Cornwallis West) ist Tochter einer langsam verarmenden Adelsfamilie aus England und wird aus diesem Grund mit dem deutschen Fürsten von Pless verheiratet. Doch ihr Leben verläuft dann ganz anders, als sie erwartet hatte. Zwar lebt sie im Luxus, geht auf Bälle und reist viel, sie erkennt aber worauf dieses Leben gestützt ist, nämlich die Ausbeutung der „kleinen“ Menschen. Gegen derlei Ungerechtigkeiten will Daisy vorgehen, doch ihr Ehemann ist nicht bereit, sie dabei zu unterstützen. Also sucht sie nach Wegen, um gegen die Armut zu kämpfen und für annehmbare Lebensumstände zu sorgen. Vor Daisy liegt eine schwierige Zeit, die geprägt ist von großen Enttäuschungen, aber auch Dankbarkeit und ihrem inneren Konflikt, ob man auf Kosten anderer glücklich sein darf.
Drei Tage habe ich für dieses Buch gebraucht, das mich zufrieden zurücklässt, aber zum Teil auch mit Verständnislosigkeit zurücklässt. Dass das Wohl des Volkes von den Launen einer einzelnen Person abhängig ist und sich niemand wirklich traut, auf diese Person einzuwirken, ist immer wieder unfassbar.
Das Cover gefällt mir sehr gut und passt sowohl zur Geschichte als auch zum Genre.
Auch der Klappentext sprach mich sofort an. Er führt die Hauptfigur und den Hauptkonflikt ein und schafft eine erste Stimmung beim Leser/ bei der Leserin.
Daisy ist eine junge, schöne Frau, die als Debütantin heiß umworben ist. Dem ausufernden Lebensstil ihrer Eltern hat sie es zu verdanken, dass sie mit einem älteren, reichen Fürsten verheiratet wird, denn nur so kann das Leben der Familie weiterhin gewährleistet werden. Und auch wenn es Daisy widerstrebt diesen Mann zu heiraten, gibt sie sich dann aber große Mühe, den Erwartungen, die an sie gerichtet sind gerecht zu werden. Dabei hat sie so einige Hürden zu nehmen, ist sehr aktiv und macht eine großartige Entwicklung durch. Ich empfinde sie in ihrer Art sehr authentisch und habe Daisy wirklich lieb gewonnen.
Auch alle anderen Figuren mag ich wirklich sehr. Von jeder ist ein einzigartiges Bild gezeichnet worden, jede hat ein Ziel und jede hat eine eigene Motivation. Natürlich ist manches mit unseren Augen (von heute) sehr befremdlich, wenn z.B. Daisy’s Mutter ihr aus Eigennutz und zur Wahrung des eigenen Rufes gut zuredet, als sie über die Probleme mit ihrem Ehemann berichtet, doch es ist für die dargestellt Zeit wirklich realistisch. Der Fürst ist eine sehr eigenwillige Person und auch der Kaiser ist sehr speziell, aber genau das macht diese Geschichte aus.
Ganz besonders gefallen hat mir, wie Daisy erkennt, dass der Fürst nichts für sein Volk tut und sie daraufhin ihr eigenes Weltbild korrigiert und aktiv anfängt dagegen vorzugehen, auch wenn es eine Gefahr für sie selbst darstellt.
Die Handlung fand ich ebenfalls gelungen. Es wurde eine ansteigende Spannungskurve mit vielen kleinen und großen Konflikten entwickelt, die auch überraschende Wendungen vorhält. Und trotz der gewählten Romanform vermittelt Sabine Weigand mit ihrem Werk viel Wissen über die vorherrschende Zeit. Auch die Liebesgeschichte ist für meinen Geschmack sehr schön gezeichnet worden. Damit meine ich die Beziehung zu Großherzog Adolph Friedrich von Mecklenburg - Strelitz. Auch die Nebenhandlung zu Joschi fand ich sehr interessant und es hat die Haupthandlung wirklich gut ergänzt. Trotzdem muss ich gestehen, dass ich die Geschichte an manchen Stellen etwas langatmig fand. Das Ende hat mir dann sehr gut gefallen und mir kamen vor Freude die Tränen. Daisy musste in ihrem Leben ganz schön leiden. Und sie dann am Ende glücklich zu sehen, hat mich echt gerührt.
Die Settings haben mir auch sehr gut gefallen. Es ist zu weiten Teilen mal etwas anderes als sonst in diesem Genre, also nicht nur England und Frankreich und es ist sehr abwechslungsreich.
Aber wie liest sich das Buch nun?
Es sind 4 Teile mit häufig längeren Leseabschnitten, Zeitungsartikeln und Briefen. Die Leseabschnitte sind meist in der ICH-Form im Präteritum aus Daisy’s Sicht geschrieben. Das hat mir sehr gut gefallen. Die Zeitungsartikel und Briefe lockern das Ganze ein wenig auf und durch die gewählte Perspektive kann man Daisy’s Denken und Handeln sehr gut verstehen und nachvollziehen.
Der Schreibstil hat mir gut gefallen. Das Buch liest sich sehr flüssig und ist sehr bildreich geschrieben. Auch die Beschreibungen der Settings und die atmosphärischen Beschreibungen fand ich gelungen und konnte mir alles gut vorstellen. Die Dialoge haben sehr gut zum Genre gepasst und im Ausdruck für jede Figur mit einer gewissen Individualität entwickelt. Insgesamt hätte ich mir aber noch etwas mehr Tiefe bzw. Den Ausbau der emotionalen Ebene gewünscht.
Mein Fazit nach 576 Seiten:
„Die englische Fürstin“ zeigt sehr eindrucksvoll, wie eine Frau sich in der Zeit des Kaisers bereits über Grenzen und Regeln hinweggesetzt hat und aus dem „typischen“ Rollenmuster der Frau ein Stück weit ausgebrochen ist. Jeder kann etwas bewegen, wenn er es möchte.
Wer einen interessanten und spannenden historischen Roman (Biografie) sucht, der zu großen Teilen in Deutschland in der Zeit von 1883 bis zum Abdanken des Kaisers spielt, in dem auch die Liebe nicht zu kurz kommt und der die Themen „die Rolle der Frau“ und „die Lebensumstände in der vorherrschenden Zeit“ verarbeitet, der dürfte mit diesem Roman gut beraten sein.
Von mir erhält dieser Roman eine Kaufempfehlung (4/5 Sternen), weil Daisy eine wirklich starke und beeindruckende Figur ist, die ein sehr bewegtes Leben hatte. Überhaupt ist es sehr interessant dieses Buch zu lesen, denn es wird viel Wissen in Form eines Romans vermittelt. Ein halbes Sternchen ziehe ich ab, weil es zum Teil etwas langatmig war. Ein weiteres halbes Sternchen ziehe ich ab für die emotionale Ebene. Hier hätte ich mir noch mehr Tiefe gewünscht.
Trotzdem ist es ein sehr gelungener Roman, den ich nur weiterempfehlen kann.
Vielen Dank an Sabine Weigand für diese Geschichte.