Verhaltenstherapeutin Jule Hansen lebt in München und hat gerade mit dem Ende ihrer Beziehung zu kämpfen, als der plötzliche Tod ihrer Mutter, der Künstlerin Marie, sie hart trifft. Für sie und ihren Bruder Thomas war Marie immer eine liebe- und aufopferungsvolle Mutter und ihrem Mann eine gute Ehefrau. Jule übersteht die Beerdigung mehr schlecht als recht, denn die letzten Schicksalsschläge beuteln sie doch sehr. Deshalb ist sie auch recht empfänglich für die Avancen, die ihr ein Mann in einer Bar macht und geht darauf ein, um kurz danach doch wieder an ihren eigenen Gefühlen zu zweifeln. Als sie bei der Sichtung von Maries Nachlass Fotos von einem fremden Mann vor der Kulisse Manarolas in Italien findet, wo sie gemeinsam vor langer Zeit den Urlaub verbracht haben, ist Jule völlig durcheinander. Zudem vermisst Jule die blaue Gemäldeserie ihrer Mutter, die Marie immer behalten wollte. Die Bilder sind spurlos verschwunden und Jule will unbedingt herausfinden, was es mit dem Mann auf dem Foto auf sich hat und wo die Gemälde ihrer Mutter sind. Sie hat schon jetzt das Gefühl, ihre Mutter nicht wirklich gekannt zu haben, deshalb macht sie sich, nachdem sie ihren Job gekündigt hat, auf die Reise nach Italien, um auf den Spuren ihrer Mutter zu wandeln und einige Fragen zu klären…
Stefanie Gregg hat mit ihrem Buch „Der Sommer der blauen Nächte“ einen Roman vorgelegt, der zum Nachdenken anregt und gleichzeitig im Leser auch eine Menge Gefühle weckt. Der Schreibstil ist flüssig, dabei farbenfroh und voller Bilder, die sich im Kopf des Lesers regelrecht festsetzen und die Lektüre recht bunt gestalten. Durch die Erwähnung sämtlicher Farbschattierungen fängt die Autorin Stimmungen ein und transportiert sie direkt an den Leser weiter, wodurch sie indirekt auch die jeweilige Stimmung der Situation oder Aussicht wiedergibt. Die Handlung wird aus der Sicht von Jule erzählt, und der Leser darf Jule unsichtbar auf ihren Wegen, bei ihren Gedanken und Gefühlen begleiten, wobei er eine Achterbahn von Emotionen während einer recht abenteuerlichen Reise nach Italien und nach Frankreich erlebt. Durch kleine Einschübe aus der Vergangenheit bekommt der Leser auch Einblick in Maries Gefühlswelt, die einige Dinge klarer werden lassen. Die Landschaftsbeschreibungen sind bildgewaltig und vermitteln dem Leser das Gefühl des Vorortseins, um alles mit eigenen Sinnen zu erleben. Der Spannungsbogen ist zuerst recht niedrig angelegt, um dann ab der Mitte des Buches immer weiter anzusteigen. Die Geschichte lässt leider eine tiefere Auseinandersetzung mit Marie und die Beziehung zwischen Jules Eltern im Besonderen vermissen, während sie sich in Allgemeinplätzen verläuft und weniger wichtige Dinge in den Fokus rückt.
Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und in Szene gesetzt worden. Sie wirken aufgrund ihrer individuellen Eigenschaften real und mit Leben versehen. Jule ist eine Frau, die unzufrieden und nicht mit sich selbst im Reinen ist. Gleichzeitig wirkt sie unsicher und verwirrt, denn ihr Leben steht Kopf. Die neuen Erkenntnisse über ihre Mutter kann sie nur schwer verkraften, ihre unterschwellige Wut darüber ist ständig zu spüren. Das neugewonnene Wissen lässt Jule auch an sich selbst zweifeln und zwingt sie dazu, über ihr eigenes Leben nachzudenken und Weichen für die Zukunft zu stellen bzw. neue Wege einzuschlagen oder alte Verhaltensmuster abzulegen. Marie ist eine Frau, die immer für ihre Familie da war, doch sich insgeheim nach etwas anderem sehnte, was auf andere wie Melancholie wirkte. Sie war zwar egoistisch in Bezug auf ihre Kunst, aber auch hingebungsvoll und immer da, wenn sie gebraucht wurde. Gleichzeitig versagte sie sich eine Liebe, die sie von ihrer Familie getrennt hätte, um ein Leben lang darunter zu leiden. Auch die übrigen Protagonisten können durchaus mit ihrem Erscheinen überzeugen und beleben die Handlung.
„Der Sommer der blauen Nächte“ ist ein nachdenklich stimmender und gefühlvoller Familien- und Liebesroman, der vor allem durch seine wunderschöne Sprache besticht. Die Handlung kann allerdings nicht restlos überzeugen, da wichtige Dinge ungesagt bleiben, um Nebensächlichkeiten Platz zu machen. Deshalb gibt es hier nur eine eingeschränkte Leseempfehlung!