Es ist erschreckend, wie schnell sich Deutschland, Berlin und die Menschen verändern. Das pulsierende Leben im Berlin der Zwanziger Jahre ist verschwunden und man hat das Gefühl, sich in einer grauen, bedrohlichen Wolke zu befinden. Das bemerkt auch Charly, als sie feststellt, dass alles piefiger wird. Ihr hat man die Zukunft genommen und sie muss sich als Anwaltsgehilfin und Privatdetektivin durchschlagen. Frauen gehören halt an den Herd und haben Kinder zu gebären. Sie hadert mit allem und besonders damit, dass ihr Pflegesohn Fritze sich bei der HJ engagiert. Das nimmt sie ihm übel und lässt ihn das spüren, vor allem als der sich aufmacht zum Reichsparteitag nach Nürnberg.
Gereon Rath versucht sich mit den politischen Verhältnissen zu arrangieren und, auch wenn sie ihm nicht gefallen. Er ist inzwischen befördert worden, aber auch nicht zufrieden, da ihn Gennat nach dem letzten Fall ziemlich kaltgestellt hat. Nur noch unspektakuläre Fälle bekommt er zugeteilt. Als er zu einem merkwürdigen Verkehrsunfall gerufen wird, entdeckt er etwas, an dem er sich die Finger verbrennen könnte. Obwohl er dies Problem auf Rath-Art beseitigt, lässt ihm der Fall keine Ruhe, denn es gibt zu viel, das ihm seltsam vorkommt. Ein Besuch von Wilhelm Böhm bei den Raths bringt dann eine Sache in Gang, die viele aufschreckt und gefährlich wird. Auch Charlys Vergangenheit, die Volker Kutscher in „Moabit beschrieben hat und die Charly so beharrlich weggeschoben hat, spielt nun eine Rolle. Doch wie hängt die Vergangenheit mit dem jetzigen Fall zusammen? Auch als er zum LKA versetzt wird, lässt Gereon die Geschichte keine Ruhe.
Gereon ist froh, dass er schon ein Jahr lang nichts mehr von Marlow gehört hat, auch wenn ihm und seiner Familie die Geldspritzen fehlen. Doch diese Freude wird nicht anhalten, denn Marlow ist wieder in Berlin und wird auch Gereons Weg kreuzen. Johann Marlow ist wie ein Chamäleon. Er kann sich dem Umfeld gut anpassen, wenn es ihm und seinen Geschäften dient. Seine illegalen Geschäfte hat er abgestoßen und nutzt nun die Notlage anderer aus. Damit seine Aktivitäten nicht gestört werden, geht er auch über Leichen.
Zwischendurch erfahren wir in einem weiteren Handlungsstrang etwas aus der Vergangenheit der Familie Larsen, die im Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin das Gut Altendorf besessen hat. Aus Tsingtau brachte der Vater eine Chinesin mit aufs Gut, die dann dort mit ihrem kleinen Sohn lebte.
Mir sind Rath und Familie ans Herz gewachsen, auch wenn ich Gereon manchmal schütteln möchte bei seinen sehr speziellen Aktionen. Aber er ist ein guter Kriminalist, der seine Fälle klären möchte, auch wenn seine Wege dorthin nicht immer ganz astrein sind. Ihn verbindet so viel mit Wilhelm Böhm, schade, dass sich die beiden nicht grün sind. Böhm imponiert mir, mit dem was er tut.
Gereon und Charly haben über die Zeit hin immer wieder Geheimnisse voreinander, was ihrer Ehe nicht unbedingt guttut. Wenn sie dann gezwungen werden, miteinander zu reden und offen zu sein, bahnt sich gleich wieder eine neue Geheimnistuerei an. Ganz besonders tut es mir für Fritze leid, der schon so viel hinter sich hat und nun in einem Alter ist, wo er Halt und Sicherheit braucht. Das finde er zwar teilweise bei der HJ, nicht aber im emotionalen Bereich.
Wie immer ist es Volker Kutscher ausgezeichnet gelungen, durch die vielen authentischen Details den Leser in die damalige Zeit zu versetzen. Wir erleben eine Zeit, in der man seine Meinung nicht äußern darf, Denunziantentum gang und gäbe ist, Recht und Gesetz keine große Bedeutung mehr haben und die Presse ihren Aufgaben als vierte Gewalt nicht mehr wahrnimmt.
Ich fand es ganz erschreckend, dass sogar ein Gereon Rath beim Reichsparteitag in Nürnberg mitgerissen wurde, obwohl ihm selbst danach übel war. Wie können Menschen behaupten, sie hätten nicht gewusst, was vor sich geht, wenn dort das Gedankengut des Regimes ganz offen verkündet wurde?
Ein großartiger, gut recherchierter Kriminalroman, den ich nur empfehlen kann.