Cover-Bild Ein anderer Takt
22,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Hoffmann und Campe
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: allgemein und literarisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 304
  • Ersterscheinung: 04.09.2019
  • ISBN: 9783455006261
William Melvin Kelley

Ein anderer Takt

Roman
Dirk van Gunsteren (Übersetzer)

"Der vergessene Gigant der amerikanischen Literatur" The New Yorker

Die kleine Stadt Sutton im Nirgendwo der Südstaaten. An einem Nachmittag im Juni 1957 streut der schwarze Farmer Tucker Caliban Salz auf seine Felder, tötet sein Vieh, brennt sein Haus nieder und macht sich auf den Weg in Richtung Norden. Ihm folgt die gesamte schwarze Bevölkerung des Ortes. William Melvin Kelleys wiederentdecktes Meisterwerk Ein anderer Takt ist eines der scharfsinnigsten Zeugnisse des bis heute andauernden Kampfs der Afroamerikaner für Gleichheit und Gerechtigkeit.

Fassungslos verfolgen die weißen Bewohner den Exodus. Was bringt Caliban dazu, Sutton von einem Tag auf den anderen zu verlassen? Wer wird jetzt die Felder bestellen? Wie sollen die Weißen reagieren? Aus ihrer Perspektive beschreibt Kelley die Auswirkungen des kollektiven Auszugs. Liberale Stimmen treffen auf rassistische Traditionalisten. Es scheint eine Frage der Zeit, bis sich das toxische Gemisch aus Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit entlädt. Mal mit beißendem Sarkasmus, mal mit überraschendem Mitgefühl erzählt hier ein schwarzer Autor vom weißen Amerika. Ein Roman von beunruhigender Aktualität.

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Lesejury-Facts

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 04.09.2019

Exodus der Afro-Amerikaner

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William Melvin Kelleys Debüt versetzt den Leser in die Südstaaten der USA Ende der 1950'er Jahre. Wie auf ein geheimes Signal hin, verlassen alle Schwarzen den unbenannten Bundesstaat. Die weiße Bevölkerung ...


William Melvin Kelleys Debüt versetzt den Leser in die Südstaaten der USA Ende der 1950'er Jahre. Wie auf ein geheimes Signal hin, verlassen alle Schwarzen den unbenannten Bundesstaat. Die weiße Bevölkerung bleibt ratlos zurück, sucht Erklärungen, weiß nicht, ob und wie sie reagieren soll. Es ist klar, dass dieser Exodus einen Wendepunkt bedeutet.

Dabei schreibt der afro-amerikanische Autor ausschließlich aus der Sicht der weißen Bevölkerung, was ein interessanter Schachzug ist – nicht nur, weil die genauen Umstände des massenhaften Aufbruchs mysteriös bleiben. Der tief verwurzelte Rassismus und der Glaube an die Legitimität einer weißen Vorherrschaft wird gerade durch diese Erzählform in verschiedenen Facetten beschrieben und es wird deutlich, dass sich diese Ansichten durch alle Bevölkerungsschichten ziehen. Das ist erschreckend, auch wenn bis zum Schluss die Hoffnung bleibt, dass sich an diesem System doch noch etwas ändern kann.

William Melvin Kelleys im Original bereits 1962 veröffentlichtes Debüt erscheint in Deutschland zu einem Zeitpunkt, in dem der Rassismus nicht nur in den USA wieder auf dem Vormarsch ist. Ein wichtiges, erschreckendes und mahnendes Buch.

Veröffentlicht am 01.09.2019

sehr aktuell und absolut lesenswert

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Alle schwarzen Bewohner eines Ortes verlassen ihre Häuser und Felder, die weißen Einwohner stehen vor einem Rätsel. Es scheint mit einer Geschichte eines übermenschlichen Afrikaners zusammenhängen.

Ein ...

Alle schwarzen Bewohner eines Ortes verlassen ihre Häuser und Felder, die weißen Einwohner stehen vor einem Rätsel. Es scheint mit einer Geschichte eines übermenschlichen Afrikaners zusammenhängen.

Ein spannendes Rätsel ist die Ausgangslage in diesem Buch - was ist der Grund für diese Geschehnisse?
Der Schreibstil passt super dazu - direkt und ohne unnötigen Verschönerungen. Man kommt daher gut in die Geschichte hinein und wird mitgerissen von diesen Geschehnissen. Der Roman bietet viel Tiefgang in dieses Thema. Die Geschehnisse werden fast ausschließlich von den weißen Einwohnern geschildert.
In diesem Buch schwingt viel mit - viel was auf unsere aktuellen Zeiten auch passend ist und daher hoffe ich, dass das Buch viele Leute erreichen wird, denn das Thema der Rassendiskrimierung ist leider nach wie vor aktuell.


Veröffentlicht am 07.11.2019

„Es ist was, das ich tun muss"

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1957, die beschauliche Kleinstadt Sutton im Süden Amerikas. Die weißen Farmer treffen sich, wie fast immer, in dem kleinen Lebensmittelladen. Die Männer stehen beieinander, trinken Bier und reden über ...

1957, die beschauliche Kleinstadt Sutton im Süden Amerikas. Die weißen Farmer treffen sich, wie fast immer, in dem kleinen Lebensmittelladen. Die Männer stehen beieinander, trinken Bier und reden über dies und das, als ein Lastwagen, beladen mit Salz nach dem Weg zur Tucker-Farm fragt. Die Männer geben Auskunft und sind erstaunt, was Tucker, der schwarze Farmer, mit so viel Salz vorhat. Sie machen sich kurze Zeit später selber auf den Weg zur Farm.
Tucker ist inzwischen dabei, das Salz auf seinem Feld auszubringen, wie eine Saat im Frühjahr. Die angereisten Zuschauer sitzen auf seinem Zaun und diskutieren darum, wie sie den Mann dabei aufhalten könnten, sein Land zu zerstören. Als das Salz ausgebracht ist, geht Tucker in den Stall, holt seine Tiere heraus und erschießt sie. Zum Schluss, zündet er sein Haus an. Zusammen mit seiner Frau und seinem Kind verlässt er, während die Zuschauer immer noch auf seinem Zaun sitzen, zu Fuß die Stadt.
Das ist allerdings erst der Anfang. Denn nachdem die Tucker-Familie die Stadt verlassen hat, beginnen sämtliche Afroamerikaner den Landkreis zu verlassen. Die Weißen sehen dabei nur zu und wissen damit nicht umzugehen.

In dem Roman kommen mehrere Personen zu Wort. Und immer ist es, als würden die Erzähler etwas verloren haben, dass sie am Ende wiederfinden. Das Verlorene ist, dass sie vergessen haben auf ihre Intuition, auf ihr Bauchgefühl zu hören. Immer machen sie sich Gedanken darum, ob das der richtige Weg wäre und am Ende hängen sie fest, fühlen sich versteinert und unbeweglich. Sie hätten es einfach machen können.

„Jeder kann seine Ketten abstreifen“ (Seite 147)

Man muss sich nur aus seinen Zwängen befreien…
Immer wieder wird der Konflikt Schwarz-Weiß in dem Buch zum Thema. Doch ist es, für mich, nicht das Grundthema. Das Ende finde ich grausam, wie es in diesen Landstrichen üblich war. Aber das beschreibt wieder den Sarkasmus des Autors. Eben noch schrieb er darüber, dass man sich befreien kann, und im nächsten Moment wird man dafür bestraft, dass man es tat.

„Vielleicht haben wir den Glauben an uns selbst verloren. Wenn wir etwas tun müssen, tun wir‘s nicht einfach, sondern denken darüber nach; wir denken an all die Leute, die sagen, dass man bestimmte Dinge nicht tun soll. Und wenn wir dann darüber nachgedacht haben, tun wir‘s einfach nicht.“

Ein anderer Takt, ist für mich ein absolut satirischer Roman. Doppeldeutigkeit und schwarzer Humor stehen in jeder Sicht, im Vordergrund.

Jessica Kelley, sagte über ihren Vater, dass er für seine experimentelle Prosa und seine satirische Darstellung der Rassenbeziehung in den Vereinigten Staaten bekannt war. William Melvin Kelley, der 1937 auf Staten Island geboren wurde, lebte einige Zeit in New York, Paris und Jamaika, um 1977 wieder in die Staaten zurück zu kehren. Kelley wurde klar, dass die Gerichte in seinem Land Amerika sich niemals vom Staat lösen können. Sie sprechen ihre Urteile in Abhängigkeit zum Staat. Zu diesem Schluss kam er, als er in der erster Reihe den Fall Malcolm X beobachtete.
William Melvin Kelley 1937 geboren, schrieb viele Kurzgeschichten und war Dozent für Kreatives Schreiben am Sarah Lawrence College. Aber nicht nur das Schreiben faszinierte ihn. Er war auch ein begeisterter Fotograf und drehte Kurzfilme. A Different Drummer (Ein anderer Takt) veröffentlichte William Melvin Kelley 1962, als seinen Debütroman. Er starb 2017 in Harlem.

Eines muss ich noch los werden! Ich habe dieses Buch als Ebook gelesen und habe wieder einmal feststellen müssen, dass Bücher sich anders lesen. Ich habe mir den Roman bei meinem Buchdealer angesehen. Die Sätze lasen sich anders und das Vorwort beim Ebook, war im Papierbuch ein Nachwort. Auch die Seiten sahen wesentlich angenehmer proportioniert aus. Warum das so ist, da habe ich keine Ahnung. Tatsächlich tendiere ich doch mehr zum echten Buch.

Veröffentlicht am 16.10.2019

Feinsinnige Analyse

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Kelleys Roman „Ein anderer Takt“ erscheint mit einem Vorwort von Kathryn Schulz und klingt mit einem Statement von Jessica Kelley über ihren Vater aus. Beide stellen uns den recht unbekannten William Melvin ...

Kelleys Roman „Ein anderer Takt“ erscheint mit einem Vorwort von Kathryn Schulz und klingt mit einem Statement von Jessica Kelley über ihren Vater aus. Beide stellen uns den recht unbekannten William Melvin Kelley und seinen Werdegang vor, beschreiben seine Schreibkunst und analysieren die Hintergründe für das In-Vergessenheit-Geraten seines Werkes. Das Wiederentdecken dieses Autors stellt für mich eine echte Bereicherung dar.

Zunächst war es für mich etwas befremdlich, stets und ständig von Negern oder noch schlimmer Niggern zu lesen, weil dieser Sprachgebrauch im hier und jetzt doch sehr anstößig wirkt. Wenn man sich jedoch bewusst macht, dass „Ein anderer Takt“ im Amerika von 1962 erschienen ist, würden durch die Anpassung der Sprache historische Tatsachen beschönigt, verwässert, ganz und gar verändert werden. Der Sinn und die Aussagekraft des Romans würden verloren gehen.

Kelley beschäftigt sich in seinem Roman mit den Herausforderungen der beginnenden Aufhebung der Rassentrennung, mit denen sich sowohl Weiße und Schwarze auseinandersetzen müssen. Er entwirft dafür eine Utopie, wonach beginnend mit dem schwarzen Farmer Tucker Caliban die gesamte Farbige Bevölkerung eines fiktiven Bundesstaats diesen in Richtung Norden verlässt und damit den ansässigen Weißen Landbesitzern die Arbeitskräfte entzieht. Die Schwarzen nutzen die Chance auf ein von Weißen emanzipiertes Leben, wie es in Tuckers Statement von S. 267 ganz besonders deutlich wird: „Man hat nur eine einzige Chance: wenn man kann und wenn man will. Wenn eins davon fehlt, braucht man‘s gar nicht erst zu versuchen.“ Ziemlich hilflos bleiben die Weißen zurück. Wer soll ihre Felder bestellen? Wer die Pacht, von der sie leben, bezahlen?

Mit unterschwellig anhaltendem Spott betrachtet Kelley die wenig gebildeten Weißen, die einem stumpfsinnigen Alltag auf der Veranda eines Ladens frönen. Sie richten ihre Ansichten und sogar ihren gesamten Tagesablauf an einem alten Rollstuhlfahrer aus, so als würden sie dem „Ältesten“ ihrer Art überall hin folgen. Einer echten wertschöpfenden Tätigkeit geht fast niemand nach. Auf mich wirken die Weißen im Boreout gefangen. In diesem Mikrokosmos der Veranda schafft es Kelley, die feinen Unterschiede in der Haltung gegenüber Schwarzen zwischen den einzelnen weißen Charakteren herauszuarbeiten. Er lässt durch bewusste Lücken dem Leser Raum zum Weiterdenken und für eigene Interpretation.

Wohlwissend, dass Kelley zur Veröffentlichung erst Mitte Zwanzig war, möchte ich seiner Feinsinnigkeit verbunden mit der klugen Pointierung höchsten Respekt zollen. Sein Gespür für die Menschen, ihre Haltung und der daraus resultierenden Gefahr, die bis heute aktuell ist, hat mir gefallen.

Veröffentlicht am 30.09.2019

Im Westen nichts Neues...

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Was mich am meisten an dem Buch überrascht hat: Es ist 1962 erschienen. Die Wiederentdeckung des Werks hat sich aber gelohnt, denn man nimmt nur bedingt wahr, dass es in einer anderen Zeit spielt als heute. ...

Was mich am meisten an dem Buch überrascht hat: Es ist 1962 erschienen. Die Wiederentdeckung des Werks hat sich aber gelohnt, denn man nimmt nur bedingt wahr, dass es in einer anderen Zeit spielt als heute. Zu ähnlich sind die Probleme, wenn sie auch an der Oberfläche anders scheinen als damals. Tatsächlich gewinnt man fast den Eindruck, dass durch die Bemühungen der letzten Jahre, eine möglichst inklusive Gesellschaft mit respektvollem Umgang miteinander zu erschaffen, nur wieder Öl ins Feuer des alten Konfliktes gegossen wurde: des Konfliktes zwischen "Weißen" und "Farbigen" - Kategorien, die eigentlich völlig sinnlos sind, da sie eine Homogenität suggerieren, die nicht existiert. Die Ähnlichkeiten sind auch darum so frappierend, weil der Autor als Setting nicht die Zeit gewählt hat, in der es noch Sklaverei in den USA gab, sondern eine Zeit, in der diese eigentlich schon abgeschafft war, in der sich aber viele Dinge kaum bis gar nicht geändert hatten. Gleichberechtigung musste noch erkämpft werden und wo sie auf dem Papier besteht, ist sie teilweise auch heute noch nicht in Köpfen und Herzen der Menschen angekommen.

Die Geschichte wird ausschließlich aus der Sicht der weißen Bewohner von Sutton erzählt, wobei diejenigen ausgewählt wurden, die der farbigen Bevölkerung gegenüber positiv eingestellt sind. Es kommen auch Tagebucheinträge und Briefe vor. Die Erzählweise ist so intim, so authentisch, dass man sich in jede Figur gut hineinversetzen kann und sich über jedes Puzzlestück ihres Lebens und diverse auftauchende Querverbindungen freut. Das Buch ist spannend zu lesen, obwohl gar nicht so viel passiert. Auch die Figur des Tucker Caliban ist gekonnt geschrieben, er bleibt unnahbar und kaum verständlich, irgendwie vage. Das passt dazu, dass Tucker selbst nicht versteht, was ihn antreibt. Vielleicht ist es ihm auch einfach egal und er tut einfach das, was sich richtig anfühlt.

Ich finde, dass das Buch eine wertvolle Aussage enthält, nicht einmal primär zu dem Verhältnis von "Weißen" und "Farbigen", im Großen und Ganzen geht es für mich auch um das Verhältnis von privilegierter Schicht und Unterschicht. Die gesamte farbige Bevölkerung des fiktiven Staates macht es Tucker gleich und wandert aus - und die Weißen bleiben zurück mit viel mehr Land als sie bebauen können und wirtschaftlichen Konsequenzen, die kaum absehbar sind. Einigen besserverdienenden Mitgliedern der Gesellschaft würde es durchaus nicht schaden, einmal darüber nachzudenken, wie es wäre, wenn sie auf z.B. Reinigungskräfte, die gesamte Dienstleistungsbranche verzichten und entsprechende Arbeiten selbst verrichten müssten.

Eines hat mich aber leider gestört: Das Buch hat ein Nachwort, in dem die Lebensgeschichte des Autors von dessen Tochter kurz umrissen wird. Dieses hat mir gut gefallen. Das Vorwort hingegen war nur bedingt nützlich. Zum einen finde ich es nicht zweckdienlich, einen Text mit Spoilern an den Anfang eines Buches zu setzen, obwohl das meistens so gemacht wird. Solche Texte gehören ans Ende. Zum anderen haben mich die ganzen persönlichen Erfahrungen der Autorin des Vorworts mit Kelleys Büchern nicht interessiert. Stattdessen wäre es für deutsche Leser weitaus nützlicher, ein wenig historischen Kontext vermittelt zu bekommen, und zwar systematischer, als es im Buch der Fall war, und nicht so sehr auf den Autor fokussiert, da die entsprechende Zeit je nach Schule kaum behandelt wird. Dafür hätte man auf die biografischen Informationen, die sich mit dem Nachwort der Tochter decken, besser verzichtet. Es ist schlichtweg schade, dass dieses Buch lange in Vergessenheit geraten war. Ohne eine sinnvolle Aufbereitung, die einem möglichst breiten Publikum einen Zugang zum Buch ermöglichen, wird dies allerdings vermutlich nach der Publikation erneut passieren.