TW: Geburt, Vergewaltigung, Armut, häusliche Gewalt, PTSD, Drogenmissbrauch, Social-Media-Sucht
Roz, ihres Zeichens pensionierte Polizistin, befindet sich auf dem Weg nach Fort William, um ihrer hochschwangeren Tochter beizustehen. Doch der Zug hat Verspätung, der Schnee und ein umgefallener Baum sorgen für Chaos und dann taucht die erste Leiche auf...
Weihnachten! Schottland! Ein kuschliger Zug! Schnee! Die Prämisse klang vielversprechend, doch leider konnte das Versprechen nicht gehalten werden.
Die Kapitel sind aus der Sicht von Roz geschrieben. Das ist etwas verwirrend, wenn man davor "Die Queen ermittelt" gelesen hat, wo die Hauptperson auch Roz heißt und die Autorin bei diesem Krimi eine Empfehlung im Klappentext ausspricht. Das will ich aber natürlich niemandem vorwerfen, ich habe mir eingeredet, das spielt einfach nach Roz' Zeit mit der Queen.
Was mich mehr gestört hat, waren die Kapitel, die aus der Sicht von "Killa" geschrieben wurden und bereits im vierten Kapitel klar ist, wer dahintersteckt. Ich lasse mich gerne überraschen und versuche, nicht zu viel mitzudenken, aber bei einem Krimi achtet man auf Details und hier waren sie einfach unübersehbar.
Dann die Sache mit dem Atropa. Jeder, der den Namen kennt, weiß sofort, was los war und daher war auch diese Auflösung nur ein weiteres "Na endlich!" für mich.
Wegen des Untertitels "18 Passagiere, 7 Stopps, 1 Killer" hatte ich etwas Sorge, ob es auch 18 Hauptcharaktere geben würde. Da nur aus Sicht von Roz und Meg erzählt wird, wird das etwas aufgefangen, aber es gibt tatsächlich 22 wichtige Charaktere (2 Influencer, 4 Nerds, 5-köpfige Familie, 3 schäbig Bekleidete, eine bekloppte Alte und ihr Sohn sowie ein blinder Passagier und "Killa"). Überhaupt ist der Untertitel furchtbar irreführend - es gibt erheblich mehr Passagiere und es gibt nur einen Halt in Edinburgh, bevor der Zug entgleist und das Chaos ausbricht (danach hält er an einem Kaff, das nicht auf dem ursprünglichen Plan stand und endet in Fort William). Der erste Mord passiert übrigens auch erst nach der Hälfte des Buches, man bekommt also immerhin ausreichend Zeit, alle Beteiligten kennenzulernen, bevor es ernst wird.
Falls ihr euch, wie ich, auf einen schottischen winterlichen Cozy Krimi im Stile Christies gefreut habt, muss ich euch enttäuschen. Ja, es gibt viele Anspielungen auf das schottische Leben und sogar Gälisch und ja, sie sind eingeschneit und alles ist kalt und weiß, aber cozy ist daran nichts. Roz hat immer wieder Flashbacks wegen einer 30 Jahre alten Vergewaltigung und der traumatischen Geburt ihrer Tochter. Weitere traumatische Themen sind Gewalt in der Ehe, Nahrungsarmut und Präeklampsie. Harter Tobak. Im Gegensatz dazu ist das Ende ziemlich kitschig geworden.
Schön war dafür das Cover, mit den glänzenden Schienen und der tropfenden Schrift ist das gut gelungen. Auch Mary, eine ältere Dame, die kein Blatt vor den Mund nimmt, hat mich sehr amüsiert. Die nebensächliche Erwähnung von Bisexualität und Diversität sowie die akkurate Erwähnung von BDSM-Fakten und die deutliche Abgrenzung zu häuslicher Gewalt war angenehm unaufdringlich. Auch die schottischen Aspekte haben mir zugesagt, es gibt Scots und Gaidhlig und ich glaube, ich würde gern mal ins Original reinlesen, ob manche Passagiere auch Akzente haben - in der Leseprobe war das nicht ersichtlich. Dann wiederum bedankt sich die Autorin bei Val McDermid für die netten Zitate über das Buch, die aber im Deutschen fehlen.
Alexandra Benedict scheint sich auf Weihnachtskrimis spezialisiert zu haben, dies ist schon ihr zweiter, der dritte erscheint im November auf Englisch.
Wer also gern einen winterlichen Krimi mit schottischem Flair lesen möchte, dem sei dazu geraten, aber nur, wenn er mit den schweren Themen klarkommt.
"#Christmasiscancelled"