Grausame Erlebnisse
„Als hätte der Himmel mich vergessen: verwahrlost und misshandelt im eigenen Elternhaus“ von Amelie Sander ist ein biographischer Erfahrungsbericht, der am 13.01.2017 bei Bastei Lübbe erschienen ist.
Ich ...
„Als hätte der Himmel mich vergessen: verwahrlost und misshandelt im eigenen Elternhaus“ von Amelie Sander ist ein biographischer Erfahrungsbericht, der am 13.01.2017 bei Bastei Lübbe erschienen ist.
Ich wusste, was mich in diesem Buch erwartet, und trotzdem hatte ich meine Probleme damit, es zu lesen. Das Wissen darum, dass ich keinen fiktiven Roman vor mir habe, sondern die grausamen Erlebnisse einer realen Person lese, hat stellenweise sehr an mir gezerrt, und ich musste immer wieder Lesepausen einlegen, da ich einfach Abstand brauchte zu Amelies Geschichte. Und auch jetzt, nachdem ich das Buch beendet habe, ist das Thema für mich noch lange nicht abgeschlossen, meine Gedanken kreisen immer wieder um das Gelesene. Aber das ist im Grunde auch gut so, denn das Buch soll ja zum Nachdenken anregen, die Leser wachrütteln, und dafür sorgen, dass man hinschaut, nachfragt, etwas unternimmt, wenn man auch nur den Verdacht erlangt, in seinem Umfeld einen Fall von Kindesmissbrauch, Misshandlung oder Verwahrlosung zu haben.
Man möge mir verzeihen, wenn diese Rezension komplett anders ist als andere Rezensionen, die ich sonst schreibe, aber ich habe Mühe, meine Gedanken zu sortieren und zu einem Text zu verfassen. Die Erlebnisse, die Amelie von frühester Kindheit bis hin zu ihrer Flucht hatte, haben mich extrem mitgenommen, haben mich schlucken lassen und an manchen Stellen sind mir die Tränen in die Augen getreten. Es ist mir unverständlich, wie ignorant das Umfeld gewesen sein muss, dass niemand kapiert hat, was da vor sich ging, auf der anderen Seite war es so wahrscheinlich für alle einfacher, wer nichts mitbekommt, muss nichts unternehmen. Dass soetwas in Deutschland geschehen konnte, macht mich fassungslos, umso mehr, da auch heutzutage noch viel zu viele Fälle auftreten, die oft nicht oder zu spät erkannt werden. Daher hoffe ich, dass dieses Buch viele Leute aufrüttelt und die Aufmerksamkeit erweckt, die das Thema haben müsste.
Definitiv muss ich aber sagen, dass das Buch nicht für Menschen mit schwachen Nerven geeignet ist, selbst dann, wenn man weiß, was einen erwartet, ist es absolut hart, dieses Buch zu lesen. Es strotzt nur so vor seelischen und körperlichen Grausamkeiten, die einem wehrlosen Kind angetan werden, und die ein oder andere Stelle hat dafür gesorgt, dass sich mir der Magen umgedreht hat. Mir fehlen die Worte, um meine Eindrücke zu hundert Prozent wiederzugeben.
Das Buch beginnt mit Amelies Flucht aus dem Elternhaus, man spürt deutlich ihre Angst dabei und schon da wird einem bei der Lektüre ganz anders, obwohl man da noch gar nicht die Hintergründe kennt, diese erfährt man im Lauf der Lektüre durch Rückblicke in Amelies Erinnerungen, und mit jeder Erinnerung wächst das Entsetzen. Man fragt sich, wie ein einzelner Mensch all das überstehen konnte, und gleichzeitig freut man sich mit Amelie über jeden kleinen Fortschritt, den sie auf dem Weg in ein freies und glückliches Leben macht.
Mein Respekt gilt Amelie, die sich nicht hat unterkriegen lassen und die ihr Leben gemeistert hat, und ich empfehle dieses Buch jedem, der nicht zu zart besaitet ist, damit das Thema Kindesmisshandlung und Verwahrlosung, das in unserer Gesellschaft immer noch eine Art Tabuthema ist, mehr ins Bewusstsein der Menschen kommt und dadurch vielleicht der in oder andere Fall verhindert werden kann.
Von mir gibt es 5 Sterne.