Vom nur scheinbaren Aufstieg aber der Psyche im freien Fall
In Amir Gudarzis Debütroman „Das Ende ist nah“ entwirft er die Geschichte des jungen Mannes A., welcher nach den Protesten 2009 in seinem Heimatland Iran eigentlich nach Kanada flüchten will, aber in Österreich ...
In Amir Gudarzis Debütroman „Das Ende ist nah“ entwirft er die Geschichte des jungen Mannes A., welcher nach den Protesten 2009 in seinem Heimatland Iran eigentlich nach Kanada flüchten will, aber in Österreich hängen bleibt. Wir begleiten ihn nun nicht nur auf seinem Weg durch den unbarmherzigen Dschungel der Bürokratie und des gesellschaftlichen Lebens in Österreich hin zum anerkannten Asyl, sondern auch durch Rückblicke in seine Vergangenheit und zu den Geschehnissen, die ihn letztlich zur Flucht gezwungen haben.
A. ist Student des Faches „Szenisches Schreiben“ in Teheran als die Proteste gegen das Mullah-geführte Regime immer dringlicher und auch gefährlicher für die Teilnehmenden wird. Im sozialen Brennpunkt im Süden Teherans aufgewachsen, geht A. den Weg der Bildung, der ihn mitten ins Herz der Proteste führt und damit auch zu polizeilichem Arrest und Folter. Als ihm später eine Gefängnisstrafe droht, verlässt er das Land und landet in Österreich. Dort wird zwar zum Glück keine Folter mehr angewandt, trotzdem scheint der Aufenthalt im Transit zwischen anerkanntem Asyl und einer unvorhersehbaren Ausweisung zurück nach Iran psychisch immer belastender für A. zu werden. Häufig mit Ignoranz und Hass konfrontiert und nur selten mit Mitmenschlichkeit und Wärme verschlechtert sich A.s Zustand rapide. Die wankelmütige Beziehung zur deutschen, in Wien lebenden Sarah scheint A. eine Zeit lang Halt zu bieten, ihn jedoch auch zunehmend zu belasten.
Amir Gudarzi, dessen Erlebnisse aus seinem eigenen Leben sicherlich in diesem Roman mit eingeflossen sind, wobei das Ausmaß nicht abzuschätzen ist, brilliert in seinem im Deutschen verfassten Debütroman mit einer überraschenden Romankonstruktion und einer fesselnden Sprache zwischen poetischen Formulierungen und berichtartigen Beschreibungen von grauenvollen Erlebnissen sowohl im Iran als auch in Österreich. Wie klar und ungeschönt sich Gudarzi mit seinem Heimatland aber auch der österreichischen Gesellschaft und ihre Reaktion auf den Geflüchteten A. auseinandersetzt, ohne ausschließlich einseitig zu erzählen, hat mich vollends überzeugt. Ist der Roman noch zu Beginn von schwer verdaulicher, physischer Gewalt geprägt, nimmt mit dem Wechsel nach Österreich immer stärker die psychische Gewalt zu, die auf A. trifft. Grandios ist letztlich gemacht, wie Gudarzi unter anderem durch die Einteilung des Buches in die Abschnitte von „Mezzanin“ (für alle, die es nicht wussten – ich gehöre dazu – ist dies ein in Österreich gebräuchlicher Begriff für ein Halbgeschoss) bis „Vierte Etage“ den bürokratischen Aufstieg A.s bis zur Anerkennung des Asylantrags darstellt und gleichzeitig in einer Gegenbewegung sich der psychische Zustand der Figur aufgrund der massiven Belastungen, unter denen er zu leiden hat, zunehmend verschlechtert. Die Figur Sarah, welcher immer ausgedehntere Kapitel für ihre Sichtweisen zur Verfügung gestellt werden, spielt dabei eine wichtige Rolle. Sind teilweise ihre Passagen durchaus anstrengend in der Lektüre, hat das alles doch einen Sinn, den wir allerdings erst zum Schluss erfahren. Somit lohnt sich bei diesem Roman eine Zweitlektüre ganz besonders.
Mir hat der Roman wirklich ausgesprochen gut gefallen. Sowohl der Erzählstil als auch die Konstruktion des Romans haben mich von Beginn an ganz fest gepackt und bis zuletzt nicht mehr losgelassen. Ich konnte mit jedem Szenenwechsel sofort in die Atmosphäre der Szenerie, ob nun Rückblick in die Vergangenheit oder Geschehen in der Gegenwart des Romans, eintauchen und habe alles bildlich vor mir gesehen. Gudarzi spielt auch mit den Zeitformen und den Erzählperspektiven, begründet dieses Spiel aber ganz klar mit Hinweisen Text:
„Ich schreibe auch jetzt im Präsens, weil ich versuche, alles zu rekonstruieren, alles aufs Neue zu erleben. Ich könnte auch in der Vergangenheitsform schreiben, aber ich schaffe es nicht, weil ich offensichtlich etwas verloren oder vergessen habe und es dort wiederfinden muss. Beim Schreiben springe ich immer zwischen den Zeiten hin und her – die Sprache als Zeitmaschine.“
Ich habe durch den Roman von Amir Gudarzi wirklich sehr viel Neues sowohl über die Zustände im Iran als auch bezogen auf die Zeit nach dem Ankommen in einem Land, welches noch nicht das Asylgesuch einer geflüchteten Person anerkannt hat, entdecken können, weshalb er von mir definitiv die volle Punktzahl bekommt. Diesen Autor werde ich auf jeden Fall im Blick behalten, denn er ist eindeutig für unkonventionelle Überraschungen gut.
5/5 Sterne