Eine kriminelle Zeitreise in das historische Hamburg von 1896
Anja Marschall hat mit „Tod in der Speicherstadt“ ihren 4. Krimi um Kommissar Hauke Sötje und seiner Verlobten Sophie Struwe vorgelegt – und ich war mal wieder vollkommen begeistert! Für mich war es das ...
Anja Marschall hat mit „Tod in der Speicherstadt“ ihren 4. Krimi um Kommissar Hauke Sötje und seiner Verlobten Sophie Struwe vorgelegt – und ich war mal wieder vollkommen begeistert! Für mich war es das 2. Buch mit diesen beiden sympathischen Protagonisten, man kann jedes Buch einzeln lesen, die Geschichten sind in sich abgeschlossen.
Die Autorin schafft es, uns Leser*innen mit „lockerer Feder“ in das Hamburg von 1896 zu entführen: die Speicherstadt ist gerade mal ein paar Jahre alt, Sophie und Hauke „konditorn“ im Alsterpavillon, Sophie bewundert das Angebot im neueröffneten Kaufhaus Tietz. Wir begleiten Sophie und Hauke bei ihren Ermittlungen quer durch die Stadt, erfahren von politischen Intrigen, nehmen die schlechte Arbeitssituation der Hafenarbeiter wahr, lernen einiges über den Kaffeehandel, staunen über den Dovenhof: „Das ist das feinste Kontorhaus in der ganzen Stadt. Hunderte von Büros gibt es dort und einen dieser neuen Pa-ter-nos-ter.“ (S. 77). Aber was mich am meisten verwundert hat: Frau Marschall hat es geschafft, dass ich manchmal sogar meinte, die Gerüche wahrzunehmen: den intensiven Geruch frisch gerösteten Kaffees in der Rösterei oder den – sagen wir mal – unangenehmen Gestank im Hamburger Gängeviertel.
Hauke ermittelt in Hamburg gegen eine Schmugglerbande. Er ist nach Hamburg gereist, da eine wichtige Spur in die Hansestadt führt. Schnell merkt er aber, dass er sich durch seine Ermittlungen nicht gerade beliebt macht: der Leiter der Hamburger Kriminalpolizei kämpft um das Überleben seiner Polizei: „Wussten Sie, dass Verbrecherjagd zu teuer, ja, sogar überflüssig sein kann? Gewisse Kreise in der Stadt würden gern die Kriminalpolizei wieder abschaffen, …“ (S. 26) Und Haukes Spur führt zu einem wohlhabenden Kaufmann...Herr Oberzollinspektor Jensen reagiert auf Haukes Verdacht vollkommen ungläubig und ungehalten:“ 'Schmuggel gibt es bei mir nicht!' brüllte er.“ (S. 65) Keine einfache Situation für Hauke, wie kann er unter diesen Umständen den Fall lösen? Sophie wird währenddessen gebeten, eine vermisste junge Frau und deren Kind zu finden. Wo soll sie ansetzen?
Mit sicherer Hand führt die Autorin Sophie, Hauke und uns durch das Hamburg im ausgehenden 19. Jahrhundert, lässt sie und uns manchmal verzweifeln an dem undurchsichtigen Geflecht aus Intrigen, Macht, Gier und Lügen. Wir wurden im positiven Sinne „gefesselt“ von dem spannungsgeladenen, flüssigen Schreibstil, ich konnte manchmal das Buch nicht aus der Hand legen (schnell, nur noch eine Seite...)!
Als „Sahnehäubchen“ werden allen Kapiteln Originalzitate aus Hamburger Zeitungen vorangestellt, z.B. „Präsidentschaftswahl: Wer in Amerika auf die Massen wirken will, muss sich nicht scheuen, Worte zu gebrauchen, die es zweifelhaft lassen, ob sie mehr in den Bereich des landesüblichen Humors oder des politischen Fanatismus gehören. Bis zur Wählerentscheidung am 4. November wird man sich wohl noch auf manche ähnliche Blüthen der Beredsamkeit von beiden Seiten gefaßt machen müssen.“ (Originalauszug: Hamburger Nachrichten, 21.Oktober 1896), S. 226. Diese Zitate unterstreichen das Lokalkolorit und machen es in meinen Augen authentischer...
Der Schluss ist spannend, dramatisch, rührend, überraschend – zusammengefasst: äußerst befriedigend! Lose Enden waren kunstvoll verknüpft worden, mein Krimileserherz war rundum überzeugt! Ich habe es bedauert, mich von Sophie und Hauke trennen zu müssen – deshalb hoffe ich natürlich auf ein baldiges Wiedersehen und spreche in der Zwischenzeit für „Tod in der Speicherstadt“ eine absolute Leseempfehlung aus!