Ein Roman zur Cancel Culture, bei der die Anklägerin zur Angeklagten wird
Hella Karl arbeitet seit zwölf Jahren in Berlin für die Abendpost, davon sieben als Leiterin des Feuilletons. Als sie die Nachricht erreicht, dass sich der Theaterintendant Kai Hochwerth in Sydney während ...
Hella Karl arbeitet seit zwölf Jahren in Berlin für die Abendpost, davon sieben als Leiterin des Feuilletons. Als sie die Nachricht erreicht, dass sich der Theaterintendant Kai Hochwerth in Sydney während eines Opernauftritts seiner Frau hinter den Kulissen das Leben genommen hat, ist sie nicht sonderlich erschüttert, fand sie ihn doch alles andere als sympathisch. Sie verfasst einen Nachruf und betrachtet das Thema als journalistisch verarbeitet. Doch dann werden Stimmen laut, die behaupten, dass Hella eine Mitschuld an seinem Tod trägt: Sie ist es, die vor einiger Zeit den Artikel „Intendant treibt Schauspielerin zur Abtreibung“ verfasst hat, was dazu geführt hat, dass Hochwerth zur Kündigung gedrängt wurde. In einem auf den Suizid folgenden Interview macht Hella keine gute Figur. Während sie versucht, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen und nicht glaubt, etwas falsches getan zu haben, muss sie feststellen, dass nun sie es ist, die gecancelt werden soll.
Zu Beginn des Romans erfährt Hella vom Suizid Hochwerths in Sydney. Sie rekapituliert die erste unangenehme Begegnung mit ihm bei einer Theaterpremiere kurz nach ihrem Amtsantritt als Feuilletonchefin. Die berufliche Beziehung der beiden hatte ihre Höhen und Tiefen, doch sonderlich sympathisch ist er Hella nie geworden. Dabei sagt sie in der Selbstreflektion, dass sie sich oft Männern näher fühlt als Frauen. Im Rahmen der #MeToo-Debatte hat sie Männern eine Plattform zur Gegendarstellung gegeben und sich in Funk und Fernsehen gegen den Trend des Verurteilens und Cancelns ausgesprochen. Nun soll ihr ausgerechnet ein Artikel, in dem sie Hochwerth Machtmissbrauch vorwirft, weil er zu einer Schauspielerin „Sieh zu, dass du das wegmachen lässt“ gesagt hat, zum Verhängnis werden.
Der Roman ist gänzlich aus der Perspektive von Hella geschrieben. Sie gibt sich nüchtern und distanziert, nichts scheint sie aus der Ruhe bringen zu können. Erst als der Sturm, der sich allmählich zusammenbraut, nicht nachlässt, und auch ihr Privatleben aus dem Takt gerät, beginnt sie, ihre Entscheidungen stärker zu reflektieren. War es richtig, sich bei den Vorwürfen gegen Hochwerth auf die Seite der Schauspielerin zu stellen und die Anschuldigungen als Erste mit solch einem reißerischen Artikel zu veröffentlichen? Oder ist sie tatsächlich zu weit gegangen? Darüber geriet auch ich als Leserin ins Grübeln. Auf den letzten Seiten gibt es schließlich überraschende Entwicklungen, welche mir nochmals neuen Stoff zum Nachdenken gaben und die Lektüre nachhallen lassen. Für mich ist „Der Einfluss der Fasane“ ein gelungener Roman zur Cancel Culture und ihren Konsequenzen, bei dem die Anklägerin zur Angeklagten wird.