Vorsichtige Annäherung
Bernhard Schlinks neuer Roman "Die Enkelin" ist so einiges: ein Roman über einen Verlust, über eine verlorene und wiedergefundene Tochter, eine Ost-West-Geschichte, ein Road-Movie, ein Buch über Nazis ...
Bernhard Schlinks neuer Roman "Die Enkelin" ist so einiges: ein Roman über einen Verlust, über eine verlorene und wiedergefundene Tochter, eine Ost-West-Geschichte, ein Road-Movie, ein Buch über Nazis im Osten und nicht zuletzt über eine verlorene Liebe.
So richtig ist "Die Enkelin" aber nichts von alledem. Der Verlust der Ehefrau spielt bald schon eine äußerst untergeordnete Rolle, die Suche nach der unbekannten Tochter erweist sich keineswegs als Road-Movie, sie ist einfacher als gedacht. Die Ost-West-Thematik spielt nur anfangs eine Rolle, wenn das Kennenlernen von Kaspar und Birgit erzählt wird und später dann Birgits Flucht aus der DDR.
Dass Kaspar, die Hauptfigur des Romans, tatsächlich in seinen jungen Jahren so voller Elan und Wagemut war, dass er die Flucht seiner Freundin aus der DDR organisierte: man glaubt es kaum, wenn man den staubtrockenen, nüchternen und langweiligen Buchhändler Kaspar kennenlernt. Nach dem Tod seiner Frau findet er heraus, dass sie ein Kind in der DDR zurückgelassen hat. Bald schon findet er seine Stieftochter und seine Enkeltochter.
Mit letzterer, Sigrun, baut er eine Verbindung auf, auch mithilfe von taktischem Geschick und finanziellen Verlockungen, denen ihre Eltern nicht widerstehen können. Dass Sigrun wie ihre Eltern im rechten Milieu Ostdeutschlands verankert ist, macht die Verbindung nicht einfach. Freilich: eine tragische Fallhöhe, wie man vielleicht erwarten könnte, entsteht nicht.
Kaspar ist einer, der Überzeugungen hat. Aber er will sie niemandem aufzwängen, auch scheint er es nicht gewohnt zu sein, zu widersprechen. Insgesamt ist dieser Roman überraschend gefühlskühl erzählt, ja fast schon gefühlskalt. Nur wenige Szenen prägen sich ein, wie etwa wenn Kaspar nach der ersten Begegnung mit Sigrun und ihren Eltern völlig erschöpft im Auto übernachtet.
Der Erzähler gönnt seiner Figur keine großen Gefühle. Kein Entsetzen, keine Enttäuschung, allenfalls einmal ein paar Tränen. Auch Sigrun, die (anfangs) 14-jährige Enkeltochter, ist die Selbstbeherrschung in Person. Ihr Abgleiten in die radikalere rechte Szene: man nimmt es ihr nicht ab.
"Die Enkelin" bleibt ein leises Buch, das immer neue Kreise um die Großvater-Enkel-Beziehung zieht. So sehr diese vorsichtige Annäherung der beiden aneinander ihren Reiz hat: mich hat Bernhard Schlink mit "Die Enkelin" nicht in seinen Bann ziehen können.