Die Ungnade der frühen Geburt
ist es, die Marlene - damals noch ein kleines Kind - und ihre Mutter Eva, die eigentliche Heldin des Romans, an den Bodensee verschlägt, wo sie sich als Schnapsbrennerin einen Namen macht und außerdem ...
ist es, die Marlene - damals noch ein kleines Kind - und ihre Mutter Eva, die eigentliche Heldin des Romans, an den Bodensee verschlägt, wo sie sich als Schnapsbrennerin einen Namen macht und außerdem eine neue Familie gründet.
Dass wir aber überhaupt von Evas Schicksal erfahren, das verdanken wir ihrer Enkelin Nane, die nach jahrelanger Abwesenheit gemeinsam mit ihrer Mutter Vicky zu Evas Beerdigung auftaucht. Die Oma hat ihr ein Tagebuch vermacht, in dem sie ihr Schicksal schildert und das so einige Familiengeheimnisse birgt.
Ich habe gleich aufgehorcht, denn auch in meiner Familie gibt es zahllose unaufgedeckte Geheimnisse, hinter die ich wohl leider nie kommen werde, denn fast alle Träger leben schon längst nicht mehr. So war ich umso begieriger darauf, die von Nane zu erfahren und habe die Lektüre sehr genossen, denn sie wird mit Herz und Verstand von Brigitte Riebe erzählt, die genau dieses exzellent beherrscht - das Schreiben kluger, fesselnder und unterhaltender historischer Romane, von denen man sich wünscht, dass sie nie zu Ende gehen! Ein solches Buch liegt nun vor Ihnen: genau das Richtige für freie Ferientage, an denen man unbegrenzt Zeit zum Schmökern hat.
Eine tolle Geschichte, bei der aber einige Erzählstränge ein wenig unvollendet blieben. Da ich das Buch und die wunderbar gezeichneten Figuren so liebte, dass ich alles über sie erfahren wollte, hat mich das ein bisschen geärgert. Auf der anderen Seite jedoch empfinde ich es als authentisch - genauso ist es im wahren Leben. Auch wenn ich mir eigentlich in einem Buch, das so mitreißend ist wie dieses, wünsche, alles genau zu erfahren, bis aufs letzte Fitzelchen. Weil ich von der Geschichte einfach nicht genug bekommen kann. Aber damit muss ich dann leben.
Trotzdem ein absolut rundes Ende, vor allem für Marlene, Nane und die weiteren Figuren der Gegenwart, denn für sie schließt sich ein Kreis nicht nur im eigenen Leben, sondern auch in Bezug auf die Familiengeschichte. Dies ist der Autorin - wie auch alles andere - absolut großartig gelungen.
Brigitte Riebe ist promovierte Historikerin, und zwar eine, der mit Verstand die Herausforderung, einen historischen Roman zu schreiben, annimmt. Dass sie es auch mit Herz tut, das ist ein weiteres Merkmal dieser ganz wunderbaren Autorin, die es immer wieder vermag, Romane hervorzubringen, in denen man schwelgen kann und dennoch auch eine Menge lernt. Diesmal über das Sudetenland und sein trauriges Schicksal im 2. Weltkrieg, sowie den damit verbundenen Flüchtlingsstrom, der seinen Weg in den Westen Deutschlands hat. Viele von uns Lesern teilen mit der Autorin den Umstand, Nachfahren von solchen Flüchtlingen (wenn auch nicht unbedingt von Sudetendeutschen) zu sein, von Menschen, die - teilweise schon im hohen Alter - ganz neu anfangen mussten in einem Umfeld, dass ihnen oft genug nicht gerade wohl gesonnen war. Da genießt man es als Leser umso mehr, dass die Autorin all dies auf den Punkt bringt. Und zwar - ich werde nicht müde, es zu betonen: mit Herz und mit Verstand, diesmal sicher nicht zuletzt deswegen, weil dies auch ein Teil ihrer eigenen Familienvergangenheit ist!
Ein wunderbares Buch, zu dem mir - man liest es in meinen Elogen - nur Superlative einfallen und das in mir ein warmes, wohliges Gefühl interlässt, weil es so viele meiner (Lese-)Bedürfnisse befriedigt hat: eindringliche Charaktere, literarischer und historischer Anspruch, gute Unterhaltung, ein angenehmer, aber nicht zu glatter Stil - ein Meisterwerk, das mir den Einstieg in den Herbst versüßt hat.