Inhaltlich interessante Kurzgeschichten
Wenn man 8 Jahre in Asien gelebt hat, bleibt einem nicht verborgen, dass Süd-Korea der ‚big Influencer‘ in dieser Region ist. Alle wollen so schön, schlau und erfolgreich sein wie die großen Vorbilder ...
Wenn man 8 Jahre in Asien gelebt hat, bleibt einem nicht verborgen, dass Süd-Korea der ‚big Influencer‘ in dieser Region ist. Alle wollen so schön, schlau und erfolgreich sein wie die großen Vorbilder aus dem eher kleinen Land. Doch diese Perfektion hat einen hohen Preis. Davon erzählt die Autorin Cho Nam-Joo bereits in ihrem letzten Bestseller-Roman ‚Kim Jiyoung, geboren 1982‘, den ich begeistert verschlungen habe. Als ich entdeckte, dass mit „Miss Kim weiß Bescheid“ ein neues Werk der Autorin erschienen ist, habe ich natürlich sofort zugegriffen und in meiner großen Freude übersehen, dass es sich um eine Sammlung von Kurzgeschichten handelt, die so gar nicht mein Format sind. Da die Autorin aber im letzten Roman so eindrücklich den sozialen Druck, der auf Frauen in Süd-Korea ausgeübt wird, beschrieben hat, entschloss ich mich, dem Format „Short Story“ eine Chance zu geben.
Gleich vorweg, auch Cho Nam-Joo konnte mich nicht zu einem großen Fan kürzerer Erzählungen machen. Alles, was ich daran nicht schätze, mochte ich auch an den Geschichten dieses Buchs nicht: Wenn man sich erst auf die Story eingelassen hat, ist sie auch schon wieder vorbei. Das Ende hängt mir meist zu sehr in der Luft…
Thematisch haben mich die Geschichten dagegen alle, wenn auch nicht alle gleichermaßen, überzeugt. Sie lassen die gesellschaftlichen Zwänge und den enormen Druck erkennen, denen gerade Frauen in diesem Land ausgesetzt sind. Besonders berührt hat mich die letzte Geschichte im Buch ,Erste Liebe, 2020‘, da man hier den extremen Stress erkennen kann, dem Schüler in Süd-Korea und - wegen der fatalen Vorbildfunktion - ganz Asien ausgesetzt ist. Meine Tochter besuchte 8 Jahre lang Schulen in China. So einiges kenne ich also aus erster Hand. So ist der Besuch diverser Nachhilfe-Institute, wo im Anschluss an den Unterricht und in den Ferien Stoff für die Schule vorgepaukt wird, das tägliche Brot südkoreanischer Schüler. Wahrscheinlich hat mich diese Geschichte deshalb besonders berührt, weil ich es in so vielen Fällen miterlebt habe und irrsinnig fand, wie viel diese Kinder vorlernen mussten, und zwar nicht in der Schule, wie viele Kritiker des deutschen Schulsystems, das sicher auch Verbesserungspotenzial hat, immer glauben. Vielleicht tragen Geschichten wie diese auch dazu bei, nicht immer nur einen Aspekt aus einem anderen Land hervorzuheben, ohne das ganze Bild zu kennen. Sondern genauer hinzuschauen, welchen Preis in diesem Fall die Kinder und Jugendlichen für die vermeintliche intellektuelle Überlegenheit zahlen.
Auch die anderen Kurzgeschichten greifen interessante Aspekte der Rolle der Frau in der südkoreanischen Gesellschaft auf: Perfektion um jeden Preis und immer die Bedürfnisse hinter denen des Mannes anstellen.
Natürlich haben wir auch in Deutschland noch „still way to go“, um gleiche Chancen für Männer und Frauen zu schaffen. Aber vielleicht können wir im Vergleich auch erkennen, dass die Bemühungen der Vergangenheit durchaus schon einiges zum Positiven verändert hat.
Kurzum, wenn Geschichten wie die im Buch auch nur dazu beitragen, dass wir uns nicht immer nur vom schönen Schein trügen lassen, sondern auch hinter die Fassaden blicken, dann hat diese Sammlung schon einen großen Beitrag geleistet.
Wer sich zwischen den beiden in Deutschland erschienen Büchern der Autorin entscheiden muss, dem würde ich aber doch eher zu ,Kim Jiyoung, geboren 1982‘ raten.