Erinnern? Ja unbedingt, aber richtig!
Political correctness ist in. Wer politically correct ist, „hat sich schlau“ gemacht… Leider vergisst der politisch korrekte Mensch heute oft, dass es immer zwei Seiten einer Medaille gibt, und so einiges ...
Political correctness ist in. Wer politically correct ist, „hat sich schlau“ gemacht… Leider vergisst der politisch korrekte Mensch heute oft, dass es immer zwei Seiten einer Medaille gibt, und so einiges zwischen schwarz und weiß. Denn „political correctness“ ist viel zu oft eine Schublade unseres gesellschaftlichen Bewusstseins, die nichts über die Richtigkeit oder Falschheit unseres Denkens und Handelns aussagt, sondern über die Angst vor dem Verlust unseres sozialen Ansehens und über die Angst, uns angreifbar und zum Gegenstand kollektiven Zorns zu machen.
Vielleicht deshalb machen viele Abhandlungen zum Thema der „Frauen im nationalsozialistischen Deutschland“ den weiblichen Teil der Bevölkerung in der Zeit ab 1933 zu glühenden, überzeugten, eifernden Nazis, zu kategorischen Mitwisserinnen und Mittäterinnen, ohne Ansehen der Person, ohne Berücksichtigung der Einzelschicksale, ohne Empathie oder wenigstens den Versuch einer Dokumentation des Leidens, des Grauens und der Entbehrungen, die die meisten Frauen während und nach den Jahren des 2. Weltkriegs in Deutschland durchleben mussten.
Der Geschichts-, Literatur- und Medienwissenschaftler Dr. phil. Christian Hardinghaus nun hat 13 Zeitzeuginnen eine Stimme gegeben und damit einen Raum für ihre Zeitberichte in dem 2. Band seiner Dokumentationsreihe, die sich mit dem 2. Weltkrieg auseinandersetzt (der 1. Band „Die verdammte Generation“ ist mindestens genauso empfehlenswert!), geschaffen.
Alle erzählenden Frauen, Geburtsjahrgänge zwischen 1920 und 1931, haben den 2. Weltkrieg auf ihre ganz individuelle Weise erlebt, individuelle Verluste und individuelle Verletzungen, psychischer wie physischer Natur, erlitten. Was sie jedoch alle eint, ist das Vergessen-Werden durch eine Gesellschaft, die zwischen Schuld und Verantwortung nicht (mehr) unterscheiden kann und damit eine Erinnerungskultur praktiziert, die der Vergangenheit nicht gerecht wird.
In vier Kapiteln, beginnend mit „Die deutsche Angst vor der Erinnerung“ über „Frauen im Zweiten Weltkrieg: verführt, verbraucht, verraten und vertrieben“ und „Flucht und Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten“, endend mit dem Kapitel „Bombenkrieg gegen Deutschland“ schreibt Hardinghaus auf 335 Seiten kenntnisreich und differenziert mit unterstützenden Fakten und viel Hintergrund-Information gegen die Verharmlosung des Holocausts durch sich auf gleiche Stufe mit den Holocaust-Opfern stellenden Impfgegner genauso an wie gegen die Vertreter der Kollektivschuldthese, die die Flächenbombardements auf Deutschland als adäquates Mittel gegen „Nazi-Deutschland“ rechtfertigen.
Einzig ein differenzierter Blick in die Vergangenheit unter Berücksichtigung aller Aspekte macht deutlich, dass es in Kriegen nur Verlierer geben kann, bleiben doch Moral und Humanität auf allen Seiten auf der Strecke.
Christian Hardinghaus und seine mutigen Zeitzeuginnen, die sich im Rahmen ihres Erinnerns auch durchaus ideologischen Unbequemlichkeiten zu stellen bereit waren, machen deutlich, wie wichtig eine Erinnerungskultur ist, die den nachfolgenden Generationen weit über eine „Schuld-Frage“ hinaus ermöglicht, ‚die Vergangenheit dieses Landes verstehen und … daraus Erklärungen für aktuelle Krisen und Spannungen gewinnen zu können‘.
In seinem Nachwort fasst der Autor zusammen, was uns alle bewegen und motivieren sollte: das kollektive Erinnern nicht zu verlernen, weiter aufrichtig an den Holocaust und die vielen Verbrechen der Nazis im Dritten Reich zu erinnern, der Fehlsicht und -interpretation sowohl Rechts- als auch Linksextremer keinen Raum zu lassen und dadurch in uns die Fähigkeit zu fördern, zukünftige Kriegsverbrechen und Verbrechen wider die Menschlichkeit zu erkennen und ihnen entgegenzutreten.
Zu dieser notwendigen, differenzierten Erinnerung trägt dieses wichtige Buch bei und gleichzeitig lässt es die Unsäglichkeiten, denen viele Frauen im 2. Weltkrieg ausgesetzt waren, nicht vergessen werden.
„Die verratene Generation“ ist ein „must read“ und eine Empfehlung für die Schullektüre der nachfolgenden Generationen!