Spannend!
„Die Schwestern von Sherwood“ ist nicht nur aufgrund seines Umfangs, sondern auch aufgrund seines Inhalts ein richtig schöner Schmöker. Wer spannende und mysteriöse Familiengeschichten liebt, denen nach ...
„Die Schwestern von Sherwood“ ist nicht nur aufgrund seines Umfangs, sondern auch aufgrund seines Inhalts ein richtig schöner Schmöker. Wer spannende und mysteriöse Familiengeschichten liebt, denen nach und nach auf den Grund gegangen wird, der wird hier ganz bestimmt fündig.
In den Jahren 1948 und folgende begleitet der Leser Melinda, eine aufstrebende Journalistin, die in dem zerstörten Nachkriegsberlin lebt. Sie erhält eines Tages ein Paket, in dem sie Briefe, eine Schachfigur sowie Bilder einer Moorlandschaft entdeckt. In dem Paket findet sich keine Erklärung dazu, noch ist ein Absender erkennbar. Nicht nur Melindas Reporterherz schlägt aufgrund dieses rätselhaften Päckchens höher, sondern sie vermutet zudem, dass die Vergangenheit ihrer Familie mit dieser Sendung zusammenhängen könnte. Und so begibt sie sich auf die Spurensuche, reist dabei zusätzlich in die Vergangenheit und stößt auf die Sage der Sherwood-Schwestern, die beide auf rätselhafte Art und Weise innerhalb von kurzen Abständen im Moor von Dartmoor ums Leben gekommen sein sollen. Nicht jeder ist darüber erfreut, dass Melinda Nachforschungen anstellt und so sieht sie sich bald einer Bedrohung ausgesetzt, die sie in Gefahr bringt.
In dem zweiten Erzählstrang reist der Leser nicht nur in die Vergangenheit - in die Jahre 1881 und folgende - sondern auch nach England, wo er die Familie Sherwood kennenlernt, die mühsam und mit vielen Rückschlägen zu Reichtum gelangt ist, aber von der hohen Gesellschaft nicht anerkannt wird. Die beiden Schwestern Amalia und Cathleen sind ein Herz und eine Seele, und die schwere Krankheit, die dafür sorgt, dass Amalia ihren Hörsinn verliert, schweißt die beiden nur noch enger zusammen.
Der Autorin ist es hervorragend gelungen, anschaulich darzustellen, wie Amalia lernt, mit ihrer Beeinträchtigung klarzukommen, wie sie und ihre Schwester eine Zeichensprache entwickeln, wie Amalia sich dennoch ständig benachteiligt und einsam fühlt. Den Leser erwarten hier sehr emotionale und bewegende Szenen und es fällt leicht, das Gefühlsleben der Charaktere nachzuvollziehen. Weniger verständlich wirken dagegen die Reaktionen der Eltern, die Amalia total aus dem öffentlichen Leben ausschließen, aus Angst davor, dass ihre Tochter den Ruf ihrer Familie noch mehr zerstört.
Doch Amalia lässt sich nicht unterkriegen und schöpft neuen Lebensmut, als sie im Moor, in das sie sich zum Malen immer mehr zurückzieht, einen Unbekannten trifft, mit dem sie mehr und mehr Zeit verbringt und in den sie sich schließlich verliebt. Zu ihrer großen Freude bleibt diese Liebe nicht unerwidert und Amalia erfährt endlich, was es heißt, aus tiefstem Herzen geliebt und begehrt zu werden. Doch das Glück der beiden steht unter keinem guten Stern und sorgt für jede Menge Schicksalsschläge.
Als Leser hat man das Gefühl, Melindas Nachforschungen immer ein wenig voraus zu sein, da man durch den Erzählstrang aus den Jahren 1881 und folgende schon mehr erfährt, als Melinda durch ihre Recherchen herausfindet. Die beiden Erzählstränge laufen praktisch aufeinander zu und erst am Ende werden alle Rätsel aufgedeckt. Als Leser glaubt man, die Lösung schon zu sehen, aber sie ist immer noch etwas im Nebel und lässt sich nicht ganz greifen. So rätselt man während des Lesens mit und die Auflösung ist gleichzeitig nicht zu offensichtlich, auch wenn man teilweise schon Kleinigkeiten erahnen kann. Aber die Handlung ist insgesamt so rund und toll konstruiert, dass die Spannung bis zum Schluss aufrecht erhalten bleibt.
Zwei kleine Kritikpunkte bleiben am Ende:
Es gibt einen klitzekleinen Teil der Handlung, den ich doch etwas zu konstruiert und irgendwie auch überflüssig fand. Dazu kann ich jetzt nicht mehr verraten, aber das Buch werden bestimmt einige von euch auch bald mal lesen und dann können wir darüber ja noch mal diskutieren.
Und außerdem fand ich den Schluss etwas übereilt. Klar, man muss als Autor bzw. Autorin einfach irgendwann mal zum Schluss kommen, aber nachdem sich die Handlung auf über 500 Seiten so schön ausgebreitet hatte und dabei doch keine Szene unnötig war (bis auf meine kleine Kritik von gerade eben), ging es mir auf den letzten 50 Seiten dann doch etwas zu schnell.
Was ich abschließend unbedingt noch lobend erwähnen möchte, ist der mitreißende und bildhafte Schreibstil der Autorin. Schon von der ersten Seite an schafft Claire Winter es damit, ihre Leser an das Buch zu fesseln und bildhafte Eindrücke von der Handlungsumgebung, der Handlung selbst und den Charakteren zu vermitteln. Besonders das zerstörte Nachkriegsberlin und die mystische Landschaft des Dartmoors werden von der Autorin überaus anschaulich beschrieben und vermitteln eine tolle Atmosphäre.
Trotz der Tatsache, dass sich dieser Roman schön leicht weglesen lässt, verlangt er doch einige Konzentration. Das liegt zum Einen an den vielen Zeitsprüngen, zum Anderen aber auch an der Vielzahl der Personen, deren Beziehung zueinander nicht aus den Augen verloren werden darf. Als anspruchsvoll würde ich das Buch dennoch nicht bezeichnen. Aber man sollte dran bleiben und nicht zu lange Pausen zwischen den Leseabschnitten einlegen, um an der Handlung dranzubleiben und die Zusammenhänge nicht zu vergessen.
Mein Fazit:
Ein vielseitiger und von der ersten bis zur letzten Seite spannender Roman, der durch den mitreißenden Erzählstil der Autorin und die toll konstruierte Handlung begeistert.