Cover-Bild Ein zögerndes Blau
20,00
inkl. MwSt
  • Verlag: Braumüller Verlag
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: Soziales
  • Genre: Romane & Erzählungen / Sonstige Romane & Erzählungen
  • Seitenzahl: 220
  • Ersterscheinung: 01.02.2019
  • ISBN: 9783992002306
Claudia Sammer

Ein zögerndes Blau

Ein Leben zwischen zwei Namen, zwei Sprachen, zwei Identitäten. Kann man alles verlieren, ohne ein anderer Mensch zu werden?
Zwei Kinder, Leon und Teres, stranden in den Wirren eines Krieges in einem fremden Land. Sie bleiben fremd unter Fremden, deren Sprache sie nicht sprechen, und erhalten von der Bauernfamilie, die sie aufnimmt, neue Namen und einen neuen, nie zuvor gedachten Lebensweg. Während Teres ein Leben lang mit Selbstzweifeln und Minderwertigkeitsgefühlen ringt, kämpft Leon für ein besseres Leben, bis auch er an seine Grenzen stößt und sich dem Zwiespalt und der Verleugnung stellen muss. Es ist die Geschichte zweier Menschen, die jenseits aller Selbstverständlichkeiten lernen müssen, ihr Leben neu zu denken.

Textauszug:
Mit ihren müden Händen umklammerte Lea Kapries zwei kleine Kinderhände. Sie hatte drei Söhne und zwei Hände, eine verhängnisvolle Ungleichung. Leon war außen. Er hielt sich an seinem älteren Bruder fest, als er in der Menge einen Stoß versetzt bekam, stolperte und ins Leere griff. Seine Hand hastete, tastete panisch nach der Hand des Bruders, seine Augen suchten verzweifelt nach dem Gesicht der Mutter und der Geschwister, doch Augen und Finger fanden nur Fremdes. Fremde erschöpfte Augen und verzerrte Münder, fremde knöcherne und schwitzende Hände. Seine Schreie blieben ungehört, weil sie in den Schreien der übrigen Verlorenen untergingen.
Leon wollte rennen und suchen, finden und umarmen und war eingesperrt in dem unwillkürlichen Wogen der Menge, das seinen Körper in alle Richtungen verschob. Irgendwann wurde er an den ausfransenden Rand gespült und floh schluchzend auf eine Bank. Er winkte und rief, doch er sah nichts Bekanntes.

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Lesejury-Facts

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 01.02.2019

Zwei Lebenswege.

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„Zwei Lebenswege, einer bei Geburt vorgezeichnet, der andere tatsächlich beschritten.“ (S. 5)

Der Titel des Romans, der sich mir lange Zeit nicht erschloss, erklärt sich für mich aus folgender Textstelle:
„Doch ...

„Zwei Lebenswege, einer bei Geburt vorgezeichnet, der andere tatsächlich beschritten.“ (S. 5)

Der Titel des Romans, der sich mir lange Zeit nicht erschloss, erklärt sich für mich aus folgender Textstelle:
„Doch die Nacht wird wieder ihre schwarzen Röcke heben [...] und in der Ferne erhascht das suchende Auge ein erstes zögerndes Blau.“ (S. 140)

Inhalt und meine Meinung:
In den Wirren eines Krieges wird der Junge Leon im wahrsten Sinne des Wortes seiner Familie aus den Armen gerissen.
[ „Mit ihren müden Händen umklammerte Lea Kapries zwei kleine Kinderhände. Sie hatte drei Söhne und zwei Hände, eine verhängnisvolle Ungleichung. Leon war außen. Er hielt sich an seinem älteren Bruder fest, als er in der Menge einen Stoß versetzt bekam, stolperte und ins Leere griff.“ (S. 16) ]
Das Mädchen Teres ist ebenfalls einsam gestrandet und heftet sich hilfesuchend an Leon. Gemeinsam und auf sich alleine gestellt, versuchen die beiden Kinder in einem fremden Land (mit einer fremden Sprache) Fuß zu fassen.

Die Autorin hat gemäß ihrer Vita Literarisches Schreiben studiert und bisher Gedichte veröffentlicht – ich finde dies merkt man diesem Roman an – im positiven Sinne.

Sehr beeindruckend fand ich Leons Betrachtungen über Sprache, die sich quasi entweder in Mauerritzen zurückziehe oder sich ungewollt über einen ergießen würde.
„Da war diese unbändige Lust, die Sprache zum Leben zu erwecken, die Sätze explodieren und expandieren zu lassen.“ (S. 174)

Mit dichterischer Ausdruckskraft gelingt es der Autorin dem Leser die seelischen Verwundungen, die das Leben ohne Familie, ohne Geborgenheit, in den Protagonisten hinterlassen hat, nahe zu bringen und gibt so einen tiefen Einblick in deren Emotionen, die oftmals unausgesprochen oder unbewusst vorhanden ihre Seelen vergiftet haben.

Veröffentlicht am 01.05.2019

ein Buch, das erst zögernd den wahren Wert freigibt

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In den letzten Wochen ist mir aufgefallen, dass ich in letzter Zeit sehr gerne Bücher lese, bei denen es zwar auch um die Geschichte geht, die transportiert werden soll, jedoch muss in dieser Geschichte ...

In den letzten Wochen ist mir aufgefallen, dass ich in letzter Zeit sehr gerne Bücher lese, bei denen es zwar auch um die Geschichte geht, die transportiert werden soll, jedoch muss in dieser Geschichte nicht passieren, sondern geht es vielmehr um den Erzählstil und wie die Geschichte erzählt wird. „Ein zögerndes Blau“ von Claudia Sammer ist ein sehr gutes Beispiel hierfür.

Leon wird in den Kriegswirren bei der Flucht von seiner Mutter getrennt. Doch damit ist er nicht allein, und er kämpft mit vielen andren kleinen Kindern im Wald ums nackte überleben. Ein kleines Mädchen, das er Teres nennt, folgt ihm auf Schritt und Tritt. Und so werden beide von einer Familie aufgenommen, und groß gezogen. Leon und Teres – durch die Jahre aneinander geknüpft – gründen eine Familie, bekommen Nachwuchs und bauen sich eine Existenz auf. Doch Leon fragt sich, ob dies wirklich alles war? Beide machen sich Gedanken über ihre Identität, wie das Leben ohne den Verlust der Mutter verlaufen wäre. Leon lässt die Frage nach dem „was, wenn?“ nicht in Ruhe, und begibt sich auf die Suche, und findet tatsächlich noch seinen Bruder.

„Ein zögerndes Blau“ ist ein sehr emotionales Buch. Wie erlebt ein Kind die Trennung seiner Mutter? Wie entwickeln sich Menschen weiter ohne die Prägung der eigenen Familie? Wie kann sich ein Leben ändern durch eine Entscheidung oder einen Zufall? Wie hätte es anders ausgesehen?

Diesen Fragen geht Claudia Sammer nach. Und doch kann man sie nicht abschließend beantworten, da jeder Fall doch so anders ist. Während Leon sich zwar ebenso seine Gedanken macht wie Teres, wirkt Leon stärker, und geht dennoch selbstsicherer mit der Situation um. Teres hingegen wirkt unsicher und wird doch durch die Situation schneller aus der Bahn geworfen. Leon ist für sie der Anker, den sie in ihrem Leben benötigt, und Teres bleibt lebenslang emotional verunsichert.

Der Schreibstil von Claudia Sammer ist erzählerisch sehr gut. Die Umgebung und die Protagonisten werden mit Leben eingehaucht. Die Geschichte hängt durchaus nach mit der Frage „was, wenn?“.

Da dieses Buch keine Zeitangaben verwendet, ist nicht ganz klar, in welchem Zeitfenster dieses Buch spielt. Die Geschichte könnte während des ersten, doch auch während des zweiten Weltkrieges begonnen haben. Durch diese fehlenden Zeitangaben fällt es zu Beginn des Buches etwas schwer, die Protagonisten mit den dazugehörigen Zeitfenstern einzuordnen. Erst zögernd finden die einzelnen Puzzleteile zueinander. Ein Buch, was sich lohnt, ein zweites Mal zu lesen.