Die Feenkönigin Potilla ist eine sehr streitbare kleine Person, so ganz anders, als man sich Feen vorstellt, nicht zart und verletzlich sondern viel mehr machtvoll, sie kann zickig, launisch und richtig wütend werden! Das bekommt der schüchterne Arthur, der noch nicht gelernt hat, für sich einzustehen, zu spüren, als er eben jene Potilla im Wald in einer alten Socke findet und mit nach Hause nimmt. Zuhause – das ist im Moment allerdings das Heim seiner Tante und seines Onkels, bei denen er die Ferien verbringen muss. Das hasst er aus tiefstem Herzen, denn leider gehören zu den Verwandten auch noch die beiden ungeliebten Zwillingsbrüder Benno und Bruno, richtige Rüpel, die ihm mit ihren ständigen Schikanen das Leben schwer machen.
Doch zum Glück gibt es das mutige Nachbarsmädchen mit den langen roten Haaren, Esther, in das Arthur heimlich verliebt ist und mit dem er so viel Zeit wie möglich verbringt!
Aber zurück zu der tyrannischen Fee! Was macht sie, dazu noch bewusstlos, in einer alten, stinkigen Socke? Das erfährt der ängstliche Arthur recht bald, denn er nimmt sie, wie gesagt, mit nach Hause, wo sie langsam wieder zu sich kommt und dem erstaunten Jungen eine geradezu ungeheuerliche Geschichte erzählt: es gibt da nämlich einen Unhold, der den Feenhügel, ihre Heimstatt draußen im Wald, überfallen und sie und ihr Volk vertrieben hat. Dieser Bösewicht hat das nicht zum ersten Mal getan, weiß also genau, wie man sich Zutritt zum Reich der Feen verschafft – indem man sie nämlich ihrer roten Mützen beraubt! Warum aber macht er das, fragt sich Arthur, und die Fee klärt ihn über die wundersamen Eigenschaften auf, die so ein Feenhügel besitzt. Zum Beispiel kann man darin seine Jugend wiedererlangen, was genau die Absicht des garstigen Mannes ist.
Durch den Eindringling aber sind die nun mützenlosen Feen nicht nur ihrer Heimat beraubt, sondern werden auch sterben müssen, genauso wie der Wald und alle seine Bewohner! Das muss um jeden Preis verhindert werden, die Folgen wären in vielerlei Hinsicht verhehrend! Früh klingt hier schon an, was heute auf keiner politischen Agenda fehlen darf: Schutz und Bewahrung unseres Lebensraumes und seiner Flora und Fauna!
Ein Glück, dass Potilla ausgerechnet auf ein Kind wie Arthur gestoßen ist, wie sich schnell herausstellt. Der Junge hat zwar keinen Schneid, aber den hat seine Freundin Esther reichlich – und aus deren roten Haaren stellt die findige Potilla nun flugs Mützchen her, die es ihr ermöglichen, zurück in den Feenhügel zu gelangen und den Eindringling zu verjagen! Ganz klar, dass Esther nicht davon abzuhalten ist, Potilla zu begleiten – und da er vor ihr nicht als der Feigling und Zauderer dastehen möchte, der er leider nun mal ist, muss Arthur notgedrungen auch mit! Wenn da nur nicht die dreisten Zwillinge wären, die extrem interessiert sind an Potilla, die Arthur auf seinem Arm umherträgt, ihnen vorgaukelnd, dass so ein Püppchen gerade der letzte Schrei sei und dass jeder in der Stadt mittlerweile damit herumliefe ( pfiffig ist Arthur also schon! ). Doch so recht trauen die ungebärdigen Brüder der Sache nicht und schleichen der kleinen Prozession, die sich des Nachts zum Feenhügel aufmacht, hinterher – was für sie freilich fatale Folgen haben wird, denn Potilla, die in ihnen einen gefährlichen „Doppling“ sieht, lässt sie flugs zu Gummibärchengröße schrumpfen, bequem in ein kleines Schächtelchen passend, das Arthur in seiner Hosentasche verschwinden lässt.
Ja, und nun kann dem Abenteuer eigentlich nichts mehr im Wege stehen, im Laufe dessen Arthur über sich selbst hinauswächst, seine Angst besiegt und lernt, dass es sich lohnt, für seine Freunde einzustehen, selbst wenn diese ein wenig seltsam sind. Schließlich wird er, ausgerechnet er, den alle hänseln und nicht für voll nehmen, zum Retter des Feenvolkes – denn dass es genau darauf hinauslaufen würde, weiß der junge Leser natürlich, zumal dann, wenn er mit Cornelia Funkes Kinderbüchern ein wenig vertraut ist, in denen eigentlich immer das Gute über das Böse siegen darf, in dieser Hinsicht treu der Märchentradition folgend.
Und dieses frühe Kinderbuch der Autorin, 1992 erstveröffentlicht, lange also vor ihren großen Erfolgen, mit denen sie sich auch international etablieren konnte, dazu noch mit ihren eigenen anschaulichen Illustrationen versehen, hat alles, was wir aus ihren späteren Büchern kennen, ist voller Magie, sprühender Einfälle und Humor, wundersamer Ereignisse und viel, viel Herz. Ein kleines Meisterwerk der Erzählkunst, denn auch Funkes Sprache hat noch nie etwas zu wünschen übriggelassen, ist kraftvoll und zart gleichzeitig, voller Poesie und Wärme. Kinderherz, was willst du mehr?
Interessant ist auch, dass Funke ausgerechnet einen Jungen zum Retter der Feenwelt macht, denn eigentlich steht so etwas traditionell doch nur Mädchen zu, nicht wahr? Aber die Autorin hält sich auch in Bezug auf ihre Protagonisten nicht an Klischeevorstellungen, genauso wenig, wie sie ihre Potilla nicht als das gewohnte zarte, flatternde Wesen darstellt sondern es mit schillernden Facetten ausstattet, mit denen die energische kleine Chefin ihres Volkes immer wieder überrascht.
Nein, Mainstream-Bücher schreibt die von der Buchillustratorin zur Buchschreiberin aufgestiegene – was ein großes Glück für die Kinder- und Jugendbuchwelt ist! - Autorin gewiss nicht. Mutig weicht sie von den eingetretenen Pfaden ab, und der Erfolg gibt ihr Recht!
Fazit: „Potilla“ ist ganz entschieden eines der Bücher, die in keiner guten Büchersammlung für Kinder fehlen sollten!